Digitale Helfershelfer ermöglichen Pflege aus der Ferne

Die Spitex kann ihre Klientinnen und Klienten auch hybrid versorgen, also mit einer Kombination aus Pflege vor Ort und aus Distanz: Dies gilt zum Beispiel für die Spitex Aare (SO), die dank Sensoren rund um die Uhr über die Sicherheit und Gesundheit ihrer Klientinnen und Klienten wacht.


Sensoren können im Rahmen des 24h-Notfalls der Spitex Aare auf die Wohnung verteilt werden, damit die Spitex jederzeit über den Gesundheitszustand der Klientin oder des Klienten Bescheid weiss. Illustration: domo.health

KATHRIN MORF. Die Spitex kann rund um die Uhr und aus der Ferne für ihre Klientinnen und Klienten sorgen – dank digitaler Helfershelfer. Als «Telepflege» wird diejenige Pflege bezeichnet, welche Distanzen mithilfe von Technologien überwindet. 1 Sie kann beispielsweise durch einen einfachen Videocall gewährleistet werden oder aber durch eine komplexere Lösung wie «Telemonitoring» oder «Remote Patient Monitoring (RPM)», also die Überwachung von Klientinnen und Klienten aus der Distanz.

Eine solche Lösung bietet die Spitex Aare (SO) im Rahmen ihres «SPITEX 24-Notrufs» an: Sie rüstet Klientinnen und Klienten bei Bedarf entweder mit den Geräten von SmartLife Care aus, welche auf Knopfdruck einen Notruf aussenden – oder aber mit einem komplexeren Notrufsystem mit Bewegungssensoren und vernetzten medizinischen Geräten, das von domo.health und Strong Age entwickelt wurde.2 «Wir haben dieses System vor zwei Jahren eingeführt, weil unsere Klientinnen und Klienten dadurch noch sicherer sind», sagt Julia Zeller, Zuständige für den 24h-Notruf der Spitex Aare.

Telepflege wird in Zukunft ein wichtiger Teil der Pflege sein.

JULIA ZELLER

Zuständige 24h-Notruf, Spitex Aare

Wie das System funktioniert – auch präventiv
«Erleiden alleinstehende Menschen einen gesundheitlichen Notfall und können den Notfallknopf nicht mehr drücken, droht ihre Notlage lange unentdeckt zu bleiben», erklärt Julia Zeller. Die Sensoren des Systems von domo.health und Strong Age registrierten hingegen, ob eine Person stürze oder lange nicht vom Bett oder Sofa aufstehe. «Vernetzte medizinische Geräte wie ein Bettsensor können integriert werden, um bei Krankheiten wie Parkinson das präzise Monitoring der Atemfrequenz zu ermöglichen», ergänzt Guillaume DuPasquier, CEO und Mitgründer von domo.health. Das System des Lausanner Unternehmens ist in die Plattform «domo.health PRO» integriert, die von künstlicher Intelligenz (KI) bei der Datenauswertung unterstützt wird. Auch eine mobile App gehört zur Lösung, wodurch sich die Klientinnen und Klienten sowie von ihnen autorisierte Fachpersonen und Angehörige jederzeit über die Aufzeichnungen der Sensoren informieren können. «Die Tochter einer demenzkranken Klientin weiss dadurch zum Beispiel stets, dass die Bewegungsmuster ihrer Mutter keinen Anlass zur Sorge geben», berichtet Julia Zeller.

Spitex-Organisationen vermarkten die RPM-Lösung von domo.health unter ihrer eigenen Marke; bei der Spitex Pfannenstiel (ZH) heisst das Angebot zum Beispiel «Spitex digital». Domo.health selbst liefert und installiert die nötige Technik. «Danach erfolgt eine zweiwöchige Konfigurationsphase. In dieser stellen wir zum Beispiel individuell ein, dass das System Alarm schlägt, wenn eine Klientin bis 9 Uhr nicht aufsteht», erklärt Julia Zeller. Bei der Überschreitung aller festgelegten Grenzen sendet die Basisstation einen Notruf an die Medicall AG. Deren Mitarbeitende regeln die Angelegenheit durch einen Anruf bei der überwachten Person oder bieten Drittpersonen wie Rettungssanitäter oder Angehörige auf – oder die Spitex: Im Rahmen des Angebots «Spitex Premium» rückt die Spitex Aare im Notfall aus. «Schliesslich haben nur wenige Menschen Angehörige, die rund um die Uhr auf Meldungen reagieren können», sagt Julia Zeller. Dank Schlüsselsafes kann sich der Pikettdienst der Spitex jederzeit Zutritt zur Wohnung der betroffenen Person verschaffen. Nächtliche Notfälle übernimmt ein fünfköpfiges Nachtpikett-Team der Spitex Aare – auch für die Klientinnen und Klienten der Spitex Wasseramt, Bellach und Grenchen, die mit einem 24h-Notruf ausgestattet sind. «Zehn- bis fünfzehnmal pro Monat rückt unser Nachtpikett-Team für 136 Klientinnen und Klienten aus, sei es wegen Stürzen, gelösten Stoma-Beuteln oder ungewöhnlichen ­Vitalwerten», berichtet Julia Zeller.

Weiter meldet das System auch Unregelmässigkeiten, die keine Notfälle sind. «Dadurch können wir Krankheiten frühzeitig erkennen», sagt die Pflegefachfrau HF, die zweimal wöchentlich alle aufgezeichneten Daten kontrolliert. «Zum Beispiel zeigt mir ein Sensor, dass ein Klient den Kühlschrank kaum noch öffnet, und ein anderer Sensor, dass der Klient plötzlich häufig das WC aufsucht. Dies kann auf eine beginnende Demenz oder einen Harninfekt hindeuten, weswegen die Spitex präventiv das Gespräch mit dem Betroffenen sucht.»

Die Finanzierung und die Hürden des Systems
Rund 60 Franken pro Monat bezahlen die Klientinnen und Klienten für ein Notfallsystem bei der Spitex Aare, «Spitex Premium» kostet zusätzliche 40 Franken und ein Notfall-Einsatz der Spitex 30 Franken bis 50 Franken. «Die Kontrolle der Sensorendaten kann ich zudem als A-Leistung 3 verrechnen», sagt Julia Zeller. Nicht möglich sei Letzteres allerdings bei Klientinnen und Klienten, die nicht über eine ärztliche Verordnung für Spitex-­Leistungen verfügen. «Dennoch freuen wir uns über die Erweiterung unserer Klientel auf Menschen, die derzeit nur einen 24h-Notruf benötigen», betont sie.

Trotz aller Vorteile des komplexen Monitoring-Systems hat die Spitex Aare bisher nur sechs Personen damit ausrüsten können. «Die grösste Hürde für das Angebot ist dessen mangelnde Bekanntheit. Das müssen wir und andere Leistungserbringer ändern», sagt Julia Zeller. Im Weiteren könnten auch die Kosten für manche Menschen eine zu grosse Hürde darstellen. Darum wünscht sie sich, dass das System künftig für die Klientinnen und Klienten genauso adäquat finanziert wird wie für die Spitex. Laut Guillaume DuPasquier würde dies auch deswegen Sinn machen, «weil das System die Gesundheitskosten senken hilft, indem es das Ressourcenmanagement in der Pflege verbessert und den Eintritt in eine Einrichtung der Langzeitpflege erheblich hinauszögern kann».

Eine weitere Hürde für digitale Tools kann sein, dass ältere Menschen die umfassende Überwachung und den mangelnden Datenschutz fürchten (vgl. Infokasten). «Wir konzentrieren uns auf das Monitoring spezifischer Gesundheitsparameter und gewährleisten, dass die Daten sicher sind», versichert Guillaume DuPasquier. Wichtig ist laut Julia Zeller zudem, dass das System keine Kameras oder Mikrophone verwendet. «Dadurch können wir unseren Klientinnen und Klienten die Angst vor einem zu grossen Einblick in ihr Privatleben nehmen. Stattdessen überwiegen für sie die Vorteile für ihre Selbstständigkeit und Sicherheit.»

Die Risiken der Digitalisierung für ältere Menschen
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen birgt viele Chancen, aber auch besonders viele ­Risken für ältere Menschen. Dies erklärten Prof. Delphine Roulet Schwab und Rafael Fink von der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) 2023 im Bericht «Gesund altern – Gesundheitsförderung älterer Menschen in der Schweiz». Folgendes müsse beachtet werden, damit ältere Menschen nicht aus der Gesundheitsver­sorgung ausgeschlossen werden und eine ­«digitale Zweiklassengesellschaft» entsteht:

Tools anpassen: Viele digitale Tools würden nicht an die Bedürfnisse und Einschränkungen älterer Menschen angepasst. Die Tools müssten von älteren Personen getestet und validiert werden und sollten günstig, benutzerfreundlich und intuitiv zu bedienen sein.

Bessere Unterstützung: Die Angebote zur Unterstützung älterer Menschen bei der Nutzung digitaler Technologien würden nicht ausreichend evaluiert. Auch fehlten Angebote, die über die Kaufberatung und das Grundwissen der Gerätenutzung hinausgehen.

Besserer Datenschutz: Die Angst vor der Weitergabe und dem Missbrauch von Gesund­heitsdaten sei bei älteren Menschen oft gross. Daher müssten digitale Tools eine hohe Sicherheit gewährleisten – und alle Risiken sowie Vorsichtsmassnahmen müssten transparent kommuniziert werden.

Alternativen bieten: Um ältere Menschen nicht auszuschliessen, seien analoge, keine Zusatzkosten verursachende Alternativen zu digitalen Zugängen zu Gesundheitsleistungen nötig – etwa eine Hotline oder ­Papierformulare.

«Für die Zukunft gerüstet sein»
Gerne würde Julia Zeller das System auch interprofessionell nutzen – etwa gemeinsam mit Spitälern, um komplexe Fälle noch früher zu Hause behandeln zu können. Die Spitex Aare befindet sich zudem im Gespräch mit einer Hausarztpraxis, der die gesammelten Daten zur Verfügung gestellt werden könnten. Doch was, wenn die Klientinnen und Klienten befürchten, dass die Versorgung aus der Distanz die Versorgung vor Ort eines Tags ganz ersetzt? Die Telepflege sei gerade in Zeiten des Fachkräftemangels eine Chance für die Spitex, Arbeitsstunden oder sogar Einsätze einzusparen, räumt Julia Zeller ein. Noch grösser werde dieses Potenzial, sollte das System künftig um das Monitoring von Blutdruck und Puls erweitert werden.

Die Spitex werde aber nie allein auf Telepflege setzen, sondern auf eine Kombination mit physischer Pflege – also auf eine «hybride Versorgung» 4. «Für Aufgaben wie Körperpflege und Wundversorgung wird die Spitex weiterhin bei den Klientinnen und Klienten vorbeischauen müssen und wollen, denn die Menschlichkeit unserer Besuche kann durch digitale Lösungen nicht ersetzt werden», stellt die Pflegefachfrau klar – und fügt abschliessend an: «Telepflege wird in Zukunft ein wichtiger Teil der Pflege sein. Spitex-Organisationen, die sich bereits jetzt darauf einlassen, sind darum gut für die Zukunft gerüstet.»

Das System von domo.health ist auf Französisch, Italienisch und Deutsch verfügbar, mehr Informationen unter https://de.domo.health. Julia Zeller von der Spitex Aare erteilt gerne Auskunft über das System im Spitex-Alltag: julia.zeller@spitex-aare.ch

Auch die Genfer Spitex setzt auf Telepflege
Die Genfer Spitex IMAD arbeitet an innovativen technologischen Lösungen, die den sicheren Verbleib zu Hause ermöglichen und die 6500 Hausnotruf-Systeme ergänzen, die bereits bei Klientinnen und Klienten installiert worden sind. So hat die IMAD ein Pilotprojekt gestartet, um Wohnungen mit Radar auszurüsten: Mithilfe eines einzigen Sensors überwacht das System kontinuierlich die Aktivität und Mobilität der Bewohnenden und löst automatisch einen Alarm aus, wenn eine individuell bestimmbare Unregelmässigkeit auftritt. Das System ermöglicht laut IMAD eine neue Sicht auf den Gesundheitszustand der Klientinnen und Klienten, vereinfacht die Spitex-Prozesse und fördert einen personenzentrierten Ansatz. Die Technologie sei so gewählt worden, dass die Privatsphäre geschützt wird, während relevante Daten gesammelt und in Echtzeit durch künstliche Intelligenz analysiert werden. Das «Spitex Magazin» wird zu einem späteren Zeitpunkt genauer über das Projekt berichten.

  1. Vgl. z.B. «Telepflege» von Ursula Hüber und Nicole Egbert, erschienen 2017 in «Pflege im Wandel gestalten – eine Führungsaufgabe». ↩︎
  2. Das «Spitex Magazin» hat Sensorensysteme von Strong Age und DomoHealth in den Ausgaben 6/2022 und 1/2024 vorgestellt sowie in Ausgabe 2/2024 in Zusammenhang mit «Hospital at Home». ↩︎
  3. A-Leistungen der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) umfassen Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination. ↩︎
  4. Mit hybriden Versorgungslösungen, die physische und digitale Elemente kombinieren, beschäftigt sich zum Beispiel santeneXt. Unter anderem arbeitet der «Do Tank des Schweizer Gesundheitswesens» an einem Leitfaden zum Thema (www.santenext.ch). ↩︎

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