Für frühere Spitalentlassungen eng kooperieren

Im Rahmen des Projekts «Patient  @  Home» des Spitalzentrums Biel sollen akutmedizinische Fälle künftig zu Hause behandelt werden. Bei diesem Vorhaben zum Thema «Hospital at Home» übernimmt die Spitex die Pflege – und kann auf digitale Unterstützung, eine «Digital-Care-Managerin» sowie telemedizinische Visitationen zählen.

Das Spitalzentrum Biel in der Dämmerung. Zu Hause statt hier zu schlafen, soll künftig
auch akutmedizinischen Patientinnen und Patienten ermöglicht werden. Bild: Marco Zanoni / Spitalzentrum Biel

KATHRIN MORF. Die steigende Komplexität bei der Spitex wird unter anderem durch die seit Jahrzehnten voranschreitende Verlagerung von Behandlungen vom stationären ins ambulante Setting verursacht. Dazu passen die Projekte, die in den vergangenen Monaten und Jahren durch verschiedene Spitäler unter dem Motto «Hospital at Home» lanciert wurden: Sie verfolgen das Ziel, eine spitaläquivalente Behandlung von akutmedizinischen Fällen zu Hause zu ermöglichen. Für Spitex Schweiz ist wichtig, dass die Spitex in diese Projekte einbezogen wird – und ein gutes Beispiel hierfür ist das neue Projekt «Patient  @  Home» des Spitalzentrums Biel (SZB).

«Patient  @  Home» statt «Hospital at Home»
Alles begann im Jahr 2021, als Prof. Dr. Hugo Saner von der Nonprofit-Organisation «Strong Age» dem SZB von seiner Vision des Monitorings von Patientinnen und Patienten zu Hause berichtete (vgl. Spitex Magazin 6/2022; 1/2024). «Wir fanden dies äusserst spannend und beschlossen, gemeinsam mit Strong Age ein Projekt zum Thema ‹Hospital at Home› zu lancieren», berichtet Pascal Braichet, SZB-Generalsekretär und Projektkoordinator. «Genauer will das SZB künftig akutmedizinische Fälle zu Hause behandeln, indem es für ein 24/7-Monitoring und damit gewissermassen für eine digitale Nabelschnur zu den Patientinnen und Patienten sorgt. Unsere Ärztinnen und Ärzte kümmern sich um telemedizinische Konsultationen, aber für die Versorgung vor Ort arbeiten wir eng mit Netzwerkpartnern wie der Spitex zusammen.» In anderen «Hospital at Home»-Projekten wird das Pflegepersonal des Spitals zu Hause tätig – deshalb wurde das SZB-Projekt bewusst «Patient  @  Home» benannt. 

Vonseiten der Spitex involviert sind bisher die Spitex Biel-Bienne Regio und Siana24. «Der erste Grund, wieso wir die Pflege der Spitex anvertrauen, ist der Fachkräftemangel. Arbeitet unser Pflegepersonal im ambulanten Setting, fehlt es im Spital», erklärt Pascal Braichet. «Der zweite Grund: Man sollte nicht nur über integrierte Versorgung sprechen, sondern sie auch leben. Und der dritte Grund ist, dass die Spitex und nicht das Spital viel Erfahrung mit der herausfordernden Pflege und Betreuung zu Hause hat.» 

Studie zeigt, was für das Gelingen nötig ist
Der erste Schritt zu «Patient  @  Home» war eine Machbarkeitsstudie, die Hugo Saner 2022 im Auftrag des SZB und in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule (BFH) durchführte – genauer mit PD Dr. phil. Iren ­Bischofberger, die auch Vorstandsmitglied von Spitex Schweiz ist, und Prof. Dr. med. Sang-Il Kim, der auch Verwaltungsratsmitglied der Swiss Hospital at Home Society ist. Die explorative Studie umfasste sechs Workshops mit verschiedenen Beteiligten. Ende 2022 legte der Projektbericht fest, dass ein «Patient  @  Home»-Pilotprojekt unter folgenden Bedingungen umsetzbar wäre:

  • Alle Involvierten werden spezifisch auf ihr Involvement in «Patient  @  Home» vorbereitet. 
  • Eine «systematische digitale Verzahnung» aller Involvierten findet statt. 
  • Die Finanzierung aller benötigten Leistungen ist gesichert.

Zumindest für die ersten beiden Bedingungen hat das Projektteam bereits eine Lösung gefunden.

«Digital-Care-Managerin» und digitale Plattform
Für die Koordination rund um «Patient  @  Home» ist am SZB die Schaffung der neuen Funktion der «Digital-Care-Managerin» vorgesehen, die von einer Pflegeexpertin APN übernommen werden soll. «Ihre Rolle wäre es, die Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen im Spital in der Handhabung aller Geräte für das Monitoring zu Hause zu trainieren», erklärt Pascal Braichet. Dann fährt sie mit den Patientinnen und Patienten nach Hause, installiert dort alle nötigen Tools und verantwortet auch einen detaillierten Übergaberapport samt Medikationsplan an die Spitex.

Für die «systematische digitale Verzahnung» aller Involvierten sorgt die 2023 lancierte digitale Plattform domo.health von DomoHealth, dem Technologiepartner von «Patient  @  Home». Über die Plattform könnten sich alle Involvierten – zum Beispiel künftig auch Apotheken – laufend über verschiedenste Patienteninformationen, Vitaldaten und erbrachte Behandlungsschritte informieren. «So könnten wir alle involvierten Gesundheitsfachpersonen verbinden, was ein Mehr an Sicherheit in der Betreuung schafft», sagt Pascal Braichet. Geplant ist, die Plattform von DomoHealth künftig in eine noch umfassendere Business-to-Business-Plattform zu integrieren.

«Die grosse Herausforderung für ‹Hospital at Home›-Projekte ist die Finanzierung, weil es für solche halb ambulanten, halb stationären Vorhaben noch keine nationale Regelung gibt», sagt Pascal Braichet. Gerne würden das SZB und seine Netzwerkpartner in Biel ein «Patient  @  Home»-Pilotprojekt mit 60 Patientinnen und Patienten starten – vorerst fehlt aber das Geld, vor allem für die digitalen Lösungen. Dazu ist das SZB seit Längerem im Gespräch mit potenziellen Geldgebern wie Versicherungen, Stiftungen und dem Kanton [Stand: 20.03.2024]. 

Patient @ Home wird zentralen Trends wie der Digitalisierung, der
Ambulantisierung und der integrierten Versorgung im Gesundheitswesen gerecht.

PASCAL BRAICHET

Generalsekretär Spitalzentrum Biel

Wie «Patient  @  Home» funktioniert
Im Regelbetrieb soll «Patient  @  Home» künftig wie folgt funktionieren:

  • Geeignete Patientinnen und Patienten aus der Region Biel-Seeland-Berner Jura werden identifiziert. Eine Einschränkung in Bezug auf die Nähe ihres Wohnorts zum Spital, wie sie bei ähnlichen Projekten existiert, gibt es nicht. «Es werden aber vorerst nur vier Diagnosekriterien berücksichtigt: Herzinsuffizienz, Pneumonie, COPD 1 und Hüftgelenks­operation», sagt Pascal Braichet. Für alle vier «Fallvignetten» habe das Projektteam detailliert erarbeitet, wie sich die Versorgung zu Hause gestaltet.
  • Der Zeitpunkt des Spitalaustritts wird durch die involvierten Fachpersonen sowie die Patientinnen und Patienten festgelegt. Möglich ist auch, dass sich ein Spitaleintritt ganz erübrigt.
  • Festlegung der Messgeräte: «Es wird individuell besprochen, welche Messgeräte für die ‹digitale Nabelschnur› benötigt werden», erklärt der Projektkoordinator. Die digitale Infrastruktur wird durch das SZB zur Verfügung gestellt. Dazu gehören «Wearables» wie eine Gesundheitsuhr, Geräte zur Selbstmessung wie ein Blutdruckmessgerät sowie fest installierte Geräte wie ein Bettsensor. «Je nach Fall werden wir damit Herzfrequenz, Mobilität, Körpertemperatur, Blutdruck, Herzströme, Schlafqualität und vieles mehr messen», sagt Pascal Braichet. Eine zentrale Station sammelt alle Messdaten, bereitet sie für die Plattform domo.health auf und meldet Unregelmässigkeiten. «So können wir dank zahlreichen Verhaltens- und Vitaldaten den Krankheitsverlauf erfassen sowie Komplikationen frühzeitig erkennen.»
  • Die Digital-Care-Managerin sorgt für die Einführung der Patientinnen und Patienten und ihrer Angehörigen in die digitalen Unterstützungssysteme. Gleichzeitig wird ein umfassendes Entlassungs­management durch alle involvierten Dienstleister gestartet.
  • Der Transfer nach Hause wird durch die Digital-Care-Managerin begleitet, die auch nötige Tools installiert und die Übergabe vor Ort an die Spitex regelt.
  • Pflege und telemedizinische Visiten: «Die Spitex übernimmt zu Hause nicht nur die Pflege und ­Betreuung – sie führt auch Messungen durch, wenn die Patientinnen und Patienten oder ihre An­gehö­rigen dies nicht können», berichtet Pascal Braichet. Auch die ärztliche Verantwortung sei genau geregelt: Bis die Patientin oder der Patient in die hausärztliche Verantwortung entlassen werden kann, übernimmt eine Spitalärztin oder ein Spitalarzt tägliche telemedizinische Visiten. Alle ­involvierten Personen sind dabei über die digitale Plattform stets über Behandlungen und Messungen informiert.
  • Offizieller Austrittsbericht an die Hausärztin oder den Hausarzt: «Ist die telemedizinische Betreuung durch das SZB abgeschlossen, erfolgt ein Austrittsbericht an die behandelnde Hausarztpraxis», so Pascal Braichet. Die medizinische Verantwortung wird damit von der Spitalärztin oder dem Spitalarzt auf die Hausärztin oder den Hausarzt übertragen.

Was die Spitex Biel-Bienne Regio sagt
«‹Patient  @  Home› ist auch eine Antwort auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten, die lieber zu Hause als im Spital behandelt werden wollen – eine Antwort, die zudem zentralen Trends wie der Digitalisierung, Ambulantisierung und der integrierten Versorgung im Gesundheitswesen gerecht wird», unterstreicht Pascal Braichet, der sich auch im Verwaltungsrat der Spitex Biel-Bienne Regio engagiert. Zudem zeigten Studien, dass die Behandlung zu Hause verschiedene Vorteile hat, etwa ein gemindertes Infektionsrisiko.

«Die Spitex Biel-Bienne Regio unterstützt ‹Patient  @  Home› auch, weil das neu geplante Spital in unserem Einzugsgebiet kleiner sein wird als das bisherige. Darum macht es Sinn, Patientinnen und Patienten mit definierten Diagnosen zu Hause zu versorgen», ergänzt Markus Irniger, Geschäftsleiter der Spitex Biel-Bienne Regio. Er lobt, dass die Spitex durch das Spitalzentrum Biel früh und aktiv einbezogen wurde. «Die langjährige Erfahrung der Spitex in der Pflege zu Hause muss unbedingt genutzt werden. Ich finde es wenig sinnvoll, wenn wie bei anderen Projekten Pflegefachpersonen des Spitals in das ambulante Setting geschickt werden.» Zudem würden im Rahmen von «Patient  @  Home» oft zusätzliche Dienstleistungen wie ein Mahlzeitendienst oder hauswirtschaftliche Leistungen nötig, und auch hier verfüge die Spitex über viel Erfahrung und die nötige Vernetzung. 

Von grosser Bedeutung sei nun, dass die Finanzierung des Projekts geregelt werde. «Sie muss kostendeckend sein – und immer gleich hoch, unabhängig davon, ob Mitarbeitende der Spitex oder des Spitals eine Leistung erbringen», fordert Markus Irniger. Für den Erfolg des Projekts sei schliesslich auch wichtig, dass alle Beteiligten frühzeitig und gut prüfen, wie viele personelle Ressourcen für «Patient  @  Home»-Fälle nötig werden. «Dann können wir auch frühzeitig ­Lösungen finden, um die personellen Ressourcen für diese oft komplexen Fälle bereitstellen zu können», erklärt er.

  1. Eine COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease) ist eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung. ↩︎

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