Spital und Spitex sorgen für Naht- statt Schnittstellen

Sind die Übertritte zwischen Spital und Spitex gut organisiert, vermeidet dies Fehler und schont Ressourcen. Wie das Übertrittsmanagement optimiert werden kann, zeigen ein Projekt im Kanton Graubünden, die «Verbindungs-Pflegefachpersonen» der Neuenburger Spitex oder auch das Gesundheitszentrum des Bündner Puschlavs, das Spitex und Spital in einer Organisation vereint.

Inhalt:
1) Einstieg
2) Graubünden: Verbesserung des Spitalaustritts
3) Neuenburg: der AOL-Dienst von NOMAD
4) Puschlav: Spital und Spitex unter einem Dach

Das Centro sanitario Valposchiavo, das Gesundheitszentrum des Bündner Puschlavs, vereint unter anderem Spitex und Spital in einer Organisation, was die Kooperation zwischen den Leistungserbringern fördert. Bild: Centro sanitario Valposchiavo

FLORA GUERY, KATHRIN MORF. Inkompatible IT-Systeme, unterschiedliche Finanzierungslogiken, unzureichend finanzierte Koordinationsleistungen, unterschiedliche Unternehmenskulturen – die Gründe dafür, wieso das gemeinsame Übertrittsmanagement der Spitex und der rund 280 Spitalbetriebe 1 hierzulande nicht immer gut funktioniert, sind vielfältig (vgl. «Spitex Magazin» 3/2024). Das Problem der Finanzierungslogiken könnte die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS) lösen, über die das Schweizer Stimmvolk am 24. November 2024 abstimmt. Auch die Arbeit am elektronischen Patientendossier (EPD) läuft, breit durchsetzen konnte sich dieses aber bislang nicht. Viele Spitex-Organisationen und Spitäler warten nun aber nicht auf externe Lösungen, sondern optimieren bereits jetzt ihr Übertrittsmanagement: So ziehen manche Spitex-Organisationen in Spitalgebäude, um die Zusammenarbeit durch mehr Nähe zu fördern (vgl. Spitex Magazin 3/2023). Und im Rahmen des Konzepts «Hospital at Home» wird erprobt, wie die Verlagerung von akutmedizinischen Fällen ins ambulante Setting durch die Kooperation von Spital und Spitex gut gelingt (vgl. Spitex Magazin 2/2024). An dieser Stelle sollen indes drei Lösungswege genauer betrachtet werden.

Graubünden: Verbesserung des Spitalaustritts
«Transition Akut- und Langzeitpflege» (ALP) heisst das Bündner Projekt mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zwischen den Spitälern, der Spitex sowie den Alters- und Pflegeheimen zu fördern – und dabei auch den Übergang vom stationären ins ambulante Setting von einer Schnittstelle in eine Nahtstelle zu verwandeln. «Initiiert wurde ALP vor einem Jahr vom Kantonsspital Graubünden, dem Bündner Spital- und Heimverband sowie vom Spitex Verband Graubünden. Denn sie bemerkten, dass wir insbesondere beim Spitalaustritt effizientere und sicherere Prozesse brauchen», erklärt Annina Cadruvi, Pflegeexpertin MScN bei der Spitex Chur und Mitglied des operativen ALP-Gremiums. 

Die hauptsächlichen Herausforderungen seien dabei einerseits die Kurzfristigkeit: Die Spitäler künden Entlassungen teilweise erst sehr spät an. Dies sei eine Belastung, weil die übernehmenden Organisationen die Weiterführung der Versorgung kurzfristig organisieren müssen. «Dank ALP soll die Spitex frühzeitig involviert werden, in komplexen Fällen auch einmal mit einem Rundtischgespräch.» Andererseits seien Spitalaustritte wegen der teilweise fehlenden Informationen eine Herausforderung: Mitarbeitende im Spital wüssten oft nicht, welche Informationen für die Spitex und Heime von Relevanz sind – und die ambulanten Leistungs­erbringer müssten häufig Medikations- und Diagnoselisten genauso «hinterherrennen» wie Wunddoku­mentationen sowie notwendigen Medikamenten und 
Pflegematerialien. Zur Ausmerzung dieser Herausforderungen soll ALP für klare Zuständigkeiten, effiziente Kommunikationsprozesse oder auch Hilfsmittel wie Checklisten sorgen. Zuvor will Annina Cadruvi allerdings genau wissen, wie oft welcher Aspekt der Spitalentlassung nicht gut läuft: Kürzlich haben sie und Brigitte Illien, beide ALP-Vertreterinnen der Spitex, alle Übertritte vom Kantonsspital Graubünden zur Spitex während vier Wochen mittels einer Umfrage evaluiert. Hauptziel war, konkrete Zahlen und Einschätzungen zur Qualität der Spitalaustrittsplanung zu sammeln. «Den wichtigsten Schritt zur Optimierung des Übertrittsmanagements haben wir Leistungserbringer im Rahmen von ALP bereits getan», betont Annina Cadruvi abschliessend. «Wir haben alle die Bereitschaft gezeigt, integriert zu denken, Probleme anzusprechen und gemeinsam an einer Optimierung unserer Zusammenarbeit zu arbeiten.»

Die Spitäler sind unsere wichtigsten Zuweiser und wir versuchen mit ihnen Hand in Hand zu arbeiten, um die Kontinuität der Pflege zu gewährleisten.

JULIA BONNET

Co-Leiterin Dienst ALO, NOMAD

Neuenburg: der AOL-Dienst von NOMAD
Vor allem in der Romandie sind «infirmières de liaison» verbreitet. Auf diese «Verbindungs-Pflegefachpersonen», welche den Übergang vom Spital zur Spitex reibungslos gestalten, setzt seit zehn Jahren der Dienst ALO 2 der Neuenburger Spitex NOMAD («Neuchâtel organise le maintien à domicile»). «Die Spitäler sind unsere wichtigsten Zuweiser und wir versuchen mit ihnen Hand in Hand zu arbeiten, um die Kontinuität der Pflege zu gewährleisten», sagt Julia Bonnet, Co-Leiterin ad interim von ALO. Derzeit kümmern sich drei administrative ALO-Mitarbeitende um eine Triage aller Spitex-Zuweisungen. Neun «infirmières de liaison» stellen dann die Verbindung zwischen Spitex und Spital her. «Die jeweilige Pflegefachperson übernimmt die Rolle als Ansprechpartnerin für alle Beteiligten. Dies zentralisiert alle Informationen und verhindert deren Verlust, spart Zeit, steigert die Effizienz und senkt die Kosten», erklärt Julia Bonnet. Für die tägliche Kommunikation zwischen dem ALO-Team und den Spitälern werden unterschiedliche Kommunikationsmittel verwendet. Beispielsweise hat NOMAD zur Neugestaltung eines computergestützten Tools des Neuenburger Spitalnetzwerkes (RHNE) für die flüssige Übermittlung von Informationen beigetragen.

Auch Rundtischgespräche mit allen Beteiligten würden zu einer guten Zusammenarbeit beitragen, fügt Julia Bonnet an. «Schliesslich hilft ein vorausschauendes Denken beim Austritt, die Zahl der Rehospitalisierungen zu senken.» Dabei sei nicht nur der koordinative, sondern auch der klinische Aspekt der Arbeit des ALO wichtig. Ein weiterer Schlüssel für die erfolgreiche Zusammenarbeit sei das professionelle Einfühlungsvermögen: «Zum Beispiel müssen die Pflegefachpersonen die jeweiligen Zwänge verstehen, denen die Spitäler unterworfen sind – und umgekehrt.»

Dass der Einsatz von Verbindungs-Pflegefachpersonen nicht überall einfach ist, zeigt das Beispiel der ­Spitex von Locarno, ALVAD («Associazione Locarnese e Valmaggese di Assistenza e cura a Domicilio»): Sie beschäftigt zwei Verbindungs-Pflegefachpersonen. «Einen grossen Teil ihrer Arbeit müssen wir allerdings selbst finanzieren, weil die Krankenkassen nur A-Leistungen innerhalb von 24 Stunden vor dem Spitalaustritt bezahlen», berichtet ALVAD-Direktor Gabriele Balestra. 3

Die Zusammenführung von Spital und Spitex in einer Organisation verbessert das Aufnahme- und Entlassungsmanagement erheblich.

GUIDO BADILATTI

Direktor Centro Sanitario Valposchiavo

Puschlav: Spital und Spitex unter einem Dach 
Das Centro sanitario Valposchiavo (CSVP), das Gesundheitszentrum des Puschlavs (GR), hat ein äusserst breites Angebot zu bieten. Möglich machen dies die Institutionen, die dem CSVP angehören: das Spital «Ospedale San Sisto», das Alters- und Pflegeheim «Casa Anziani» und die Spitex. «Die Zusammenführung von Spital und Spitex in einer Organisation verbessert das Aufnahme- und Entlassungsmanagement erheblich», sagt CSVP-­Direktor Guido Badilatti. «Unsere rund 160 Mitarbeitenden kennen sich, arbeiten stark vernetzt und auf direktem Weg zusammen und kooperieren damit ohne Zeitverlust.» Auch kommuniziere das Spital die Entlassung von Patientinnen und Patienten frühzeitig, um «ein gezieltes Case Management unter Berücksichtigung ihrer familiären und sozialen Situation zu ermöglichen». Im Rahmen eines wöchentlichen Rapports ziehen die Spitex und das Spital jeweils Bilanz über gemeinsame Fälle, und in komplexen Situationen organisiert es runde Tische. «Auch der Austausch von Informationen an den Schnittstellen erfolgt im CSVP innert kürzester Zeit und vollständig», versichert Guido Badilatti.

Die finanziellen Hürden könne ein Gesundheitszentrum allerdings nicht vollständig aus dem Weg räumen: «Zwar werden die Leistungen der Spitex rund um den Spitalaustritt von den Krankenkassen finanziert, für manche Verwaltungs- und Managementaufgaben in diesem Bereich muss das CSVP aber selbst aufkommen», bedauert der Direktor. Insgesamt lohne sich das Modell des CSVP allerdings finanziell, weil die Leistungserbringer von erheblichen Synergien profitieren – unter anderem im Qualitätsmanagement, in der Verwaltung – oder im Krisenmanagement, was sich während der COVID-Pandemie zeigte. «Ein Zentrum wie das CSVP fördert die Kooperation und beseitigt die Barrieren zwischen den einzelnen Leistungserbringern», bilanziert Guido Badilatti. «Dies führt zu qualitativ hochwertigen Dienstleistungen, welche der Bevölkerung des Puschlavs zugutekommen.»

  1. 278 Spitalbetriebe sind es gemäss der aktuellsten Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) von 2022. ↩︎
  2. ALO steht für «Accueil, Liaison, Orientation», also für «Aufnahme, Verbindung, Orientierung». ↩︎
  3. Mehr Informationen: Dietisch, Iréne: «Spitalaustritt planen und koordinieren». Workshop vom 8. Dezember 2016. Schlussbericht im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit BAG, März 2017. ↩︎

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