Die Klientinnen und Klienten sind zufrieden mit den Peers

Forschende der Berner Fachhochschule haben die Peer-Arbeit in der Spitex unter die wissenschaftliche Lupe genommen. Ihre Studie zeigt, dass die Klientinnen und Klienten die Peers als Bereicherung sehen – die Peer-Arbeit sieht sich aber auch mit Herausforderungen konfrontiert.

Peers helfen mit ihrem Erfahrungswissen bei der Betreuung von Menschen mit psychischen Krankheiten. Illustration: Getty Images

KATHIRN MORF. «Der Einbezug von Peers in die psychiatrische Versorgung wird zunehmend empfohlen und gefordert», schreiben Forschende der Berner Fachhochschule (BFH) im Schlussbericht des Projekts «Ambulante psychiatrische Pflege und aufsuchende Peerarbeit» (APPeer). Peers sind «Gleichbetroffene»: Sie haben selbst eine psychische Krankheit bewältigt und können durch ihr Erfahrungswissen andere Betroffene unterstützen. Dennoch ist die Peer-Arbeit laut der BFH im ambulanten Setting der Schweiz noch wenig verbreitet. Ändern will dies seit 2022 der Verein Förderprogramm und Sozialfonds für ambulante Peer-Begleitung (VFSPB) mit seinem Projekt INGA 1. Der Verein hat bisher vier Spitex-Organisationen bei der Implementierung von Peer-Arbeit unterstützt (vgl. «Spitex Magazin» 4/2023 und 1/2022).

Die Forschenden wollten aufzeigen, wie die Peer-Arbeit in den Spitex-Organisationen umgesetzt wird und welchen Herausforderungen dabei auf welche Weise begegnet werden kann. Im Rahmen einer qualitativen partizipativen Studie führten sie zwischen November 2023 und Februar 2024 Fokusgruppeninterviews und Experteninterviews mit unterschiedlichen Beteiligten sowie teilnehmende Beobachtungen in drei Spitex-­Organisationen durch. Im Mitte September 2024 veröffentlichten Schlussbericht von APPeer umreissen sie unter anderem folgende Ergebnisse:

  • Zufriedene Klientinnen und Klienten: Die befragten Spitex-Mitarbeitenden sehen die Nutzung des Erfahrungswissens der Peers als zentralen Aspekt, um einen zusätzlichen Zugang zu den Klientinnen und Klienten auf der Beziehungsebene zu finden. Passend dazu sind die Klientinnen und Klienten sehr zufrieden mit der Peer-Arbeit. Sie empfinden den Wechsel zwischen der Betreuung durch Peers und Pflegefachpersonen als bereichernd und als förderlich für eine effektivere Alltagsbewältigung.
  • Verrechnung: Auch wenn die Ausbildungshintergründe der Peers unterschiedlich sind, haben allesamt einen Pflegehelfenden-Kurs absolviert. So können ihre Leistungen von der Spitex über die Krankenkassen abgerechnet werden – als C-Leistung. Diese Finanzierungsmethode empfanden einige Spitex-Mitarbeitende jedoch als unzufriedenstellend, weil sie den Aufgaben der Peers nicht gerecht werde.
  • Die Peers im Team: Das Arbeitsklima erlebten zwei von drei befragten Peers als gut. Die tiefen Pensen der Peers, ihr von den Spitex-Mitarbeitenden kritisch betrachtetes fehlendes psychiatrisches Fachwissen und ihre auch externe Betreuung durch die INGA-Verantwortlichen erschwere ihre Integration ins Spitex-Team, erklären die Forschenden.
  • Wie die Implementierung gelingt: Die Forschenden identifizierten die INGA-Verantwortlichen sowie besonders engagierte, erfahrene Spitex-Mitarbeitende als wichtige «Change-Agents» für die Implementierung der Peer-Arbeit. Zudem sei für eine gelungene Einführung eine Projektfinanzierung unumgänglich. Weiter leisteten die INGA-Verantwortlichen laut den Spitex-Mitarbeitenden «wichtige Vernetzungs- und Pionierarbeit».
  • Transformation der Gesamtorganisation: Die Forschenden gehen kritisch darauf ein, dass nur selten eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Werten und Haltungen von Recovery 2 und Peer-Arbeit in der gesamten Spitex-Organisation stattfindet. Stattdessen wird die eingeführte Peer-Arbeit eher als Einzelintervention betrachtet. Die Forschenden empfehlen, dass die Organisationen das Erfahrungswissen von Peers stattdessen auf allen Ebenen nutzen. Hilfreich wären hierfür gezielte Aus- und Weiterbildungen rund um Peer-Arbeit und Recovery für alle Spitex-Mitarbeitenden.

Die befragten Spitex-Mitarbeitenden sehen die
Nutzung des Erfahrungswissens der Peers als
zentralen Aspekt, um einen zusätzlichen Zugang zu den Klientinnen und Klienten auf Beziehungsebene zu finden.

AUSSAGE AUS DEM STUDIENBERICHT

Berner Fachhochschule

Bessere Finanzierung gefordert
INGA-Initiant Roger Altmann weist als Reaktion auf den Studienbericht gegenüber dem «Spitex Magazin» darauf hin, dass nicht «nur» die Klientinnen und Klienten von der Peer-Arbeit profitieren. «Wir beobachten bereits nach kürzester Zeit eine klare Zunahme der Zufriedenheit der Spitex-Mitarbeitenden, welche mit den Peers zusammenarbeiten», betont er. Für die Peers sei die Arbeit bei der Spitex zudem eine Gelegenheit, zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu gelangen. Auch Roger Altmann würde sich indes wünschen, dass die Einführung der Peer-Arbeit zu einer Transformation der gesamten Spitex-Organisation führt. «Man muss hier aber die starke Auslastung der Spitex-Organisationen betrachten, die nach Priorisierungen verlangt», sagt er. Weiter betont Roger Altmann, dass bei der Implementierung der Peer-Arbeit und im Regelbetrieb «ein gutes Zusammenspiel interner und externer Unterstützung» unumgänglich sei. Durch die externe Betreuung würden die Spitex-Mitarbeitenden entlastet, was auch wichtig sei, weil die Aufgaben rund um die Peer-Arbeit bei der Spitex in der momentanen Aufbauphase mangelhaft finanziert werden.

«Die derzeitige Finanzierung der Peer-Arbeit ist unzureichend und nicht kostendeckend», bestätigen die Forschenden in ihrem Bericht. Darum schlagen sie weitere Studien vor, welche den Mehrwert der Peer-Arbeit messbar machen und dadurch «Verhandlungen mit Krankenversicherern oder Kantonen unterstützen und zu einer nachhaltigen, zufriedenstellenden Finanzierung beitragen».

Der Studienbericht «Ambulante psychiatrische Pflege und aufsuchende Peerarbeit (APPeer): Qualitative Untersuchung zur Implementierung von Peers in Spitexorganisationen» von Christian Burr, Nora Ambord, Sabine Rühle Andersson, Melina Hasler und Anna Hegedüs ist verfügbar unter www.bfh.ch/de/forschung/forschungsprojekte/2023-326-204-755/

INGA bietet Spitex-Organisationen Unterstützung bei der Integration der Peer-Arbeit durch eine Festanstellung der Peers in der Spitex. Eine andere Lösung offeriert das Peer-Büro von Netzwerk Gesundheit Schweiz durch das Involvement von Peers im Stundenkontingent. Auskünfte erteilt Roger Altmann (roger.altmann@ngch.ch), mehr Informationen unter www.vfspb.ch, www.ngch.ch­

  1. «INGA» steht für für INvolvement von Menschen mit Psychatrie­erfahrung, Genesungsbegleitung sowie Austausch von Erfahrungswissen. ↩︎
  2. Der Recovery-Ansatz fördert Faktoren wie Selbstbestimmung, Lebenszufriedenheit und Selbsthilfe, um die (subjektive) Lebensqualität trotz psychischer Krankheit zu erhöhen. ↩︎

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