Sozialarbeit und Spitex: ein immer wichtigeres Team

Die Spitex sollte immer enger mit Sozialarbeitenden zusammenarbeiten. Dieser Ansicht sind Fachpersonen wie Elisabeth Warzinek, Präsidentin des Spitex Verbandes SG|AR|AI. Die Spitex Bern hat bereits gehandelt und eine Sozialarbeiterin angestellt.

Die sozialen Themen, welche Spitex-Mitarbeitende laut einer Befragung der Berner Fachhochschule antreffen, oft täglich, unterstreichen die Dringlichkeit eines Einbezugs von Sozialarbeitenden. Grafik: BFH

KATHRIN MORF. Immer häufiger werden Forderungen nach einer engeren Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitenden und Spitex laut. Dies stellen die Verfasser der Studie «Sozialarbeit in Spitex-Organisationen» 1 der Berner Fachhochschule (BFH) fest. Der Trend sei unter anderem mit sozialen Herausforderungen wie Einsamkeit, Verwahrlosung und finanziellen Notlagen erklärbar, die unter den Klientinnen und Klienten der Spitex zunehmen. Laut der Paul Schiller Stiftung muss das ­Potenzial sozialer Berufe insbesondere für eine gute ­Betreuung im Alter besser genutzt werden 2.

Auch Elisabeth Warzinek, Präsidentin des Spitex Verbandes SG|AR|AI, hält das Team Spitex-Sozialarbeit angesichts der immer komplexeren ambulanten Versorgung für bedeutsam: «Lange Erkrankungen führen zum Beispiel oft zu Existenzsorgen und riesigen psychisch-familiären Belastungen, und Sozialarbeitende können gute Lösungen für solche Situationen finden», erklärt sie. Weiter sei der Einbezug von Sozialarbeitenden wichtig für die Entlastung der Pflegenden in Zeiten des Fachkräftemangels – und für die Bewerkstelligung einer guten integrierten Versorgung: «Der Austausch zwischen Spitex und Sozialarbeit fördert die ganzheitliche Betrachtung einer Pflegesituation und hilft, möglichst gute, nachhaltige und auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmte Lösungen zu finden», sagt sie. 

Es braucht nun den Willen der öffentlichen Hand, das gemeinsame und präventive Betreuungsangebot von Spitex und Sozialarbeit mitzufinanzieren.

ELISABETH WARZINEK

Präsidentin Spitex Verband SG|AR|AI

Die Spitex Bern setzt auf interne Sozialarbeiterin
Die Spitex kooperiert laut der BFH am häufigsten mit den Sozialarbeitenden der Pro Senectute, gefolgt von Berufsbeiständen sowie Sozialarbeitenden des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK), der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) und kommunaler Sozialdienste. Dies ergaben Experteninterviews sowie eine Befragung von 240 Spitex-Mitarbeitenden aus 23 Kantonen. Zufrieden sind die Befragten mit dieser Zusammenarbeit vor allem dann, wenn sie formell geregelt ist – und ganz besonders dann, wenn das Modell «Spitex-Organisationen mit internen Sozialarbeitenden» zum Tragen kommt. «Sozialarbeitende im eigenen Betriebkönnen auf kurzen Wegen in eine Situation einbezogen werden und einen engen Austausch mit ihren Kolleginnen und Kollegen garantieren», lobt auch Elisabeth Warzinek. Zudem erfolge der Einbezug von internen Sozialarbeitenden eher frühzeitig, was schwierigen und kostentreibenden Situationen präventiv entgegenwirke – ebenso wie Gefährdungsmeldungen an die KESB, die für alle Beteiligten äusserst herausfordernd seien. 

Interne Sozialarbeitende finden sich bei der Spitex allerdings noch eher selten. In den sozialmedizinischen Zentren (SMZ) des Oberwallis und der Romandie sind Spitex und Sozialhilfe in einer Organisation vereint. Und die Spitex Bern hat das Modell einer internen Sozialarbeiterin zum Beispiel 2020 erprobt und daraufhin eine Sozialarbeiterin im 20-Prozent-Pensum fest eingestellt. «Dies, weil wir in den Bereichen Somatik, Demenz und Psychiatrie einen hohen Bedarf feststellten, möglichst rasch und niederschwellig eine Fachperson in Sozialarbeit beiziehen zu können», erklärt Anja Stauffer, stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin Pflege. Seit April 2023 arbeitet Nina Iseli, Sozialarbeiterin und Fachfrau für Sozialversicherungen, für die Spitex Bern. «Ich schätze die grosse Selbstständigkeit und Abwechslung meiner Arbeit bei der Spitex sehr», sagt die 32-Jährige. 

Werden Nina Iselis Dienste benötigt, meldet sich eine Fallführende oder Teamleitung bei ihr. Die Sozialarbeiterin hilft den Betroffenen dann telefonisch weiter oder besucht sie zu Hause – allein oder gemeinsam mit einer Vertreterin der Pflege. Am häufigsten beschäftigt sie sich mit der Anmeldung für Ergänzungsleistungen (EL) und Hilflosenentschädigung (HE), gleist Beistandschaften auf, berät rund um Finanzen und Administration und widmet sich der Organisation und Finanzierung von Übertritten in ein Alters- und Pflegeheim. «Ein grosser Teil meiner Arbeit ist auch das Informieren über komplexe Themen wie eine Beistandschaft», ergänzt sie. Zu all ihren Tätigkeiten in bisher 66 Fällen verfasst sie einen Verlaufseintrag und hält die Zuweisenden transparent auf dem aktuellsten Stand.

Die Spitex Bern finanziert Nina Iselis Arbeit selbst und ist darum darauf angewiesen, dass die Sozialarbeiterin einen Fall rechtzeitig an offizielle Stellen abgibt. Dennoch habe das Modell viele Vorteile, versichert Anja Stauffer. «Nina Iseli kennt unsere Arbeitsweise sehr gut und wir können uns immer an die gleiche interne Ansprechperson wenden. Sie macht in herausfordernden Klientensituationen rasch und unkompliziert Hausbesuche, ist eine grosse Entlastung für unsere Teamleitungen, bildet unsere Mitarbeitenden in Sozialarbeit weiter – und sie hat als Spitex-Mitarbeiterin einen Vertrauensbonus bei unseren Klientinnen und Klienten.» Durch das frühzeitige, niederschwellige Beiziehen der internen Sozialarbeiterin könnten zudem die Verschlimmerung einer Situation, Gefährdungsmeldungen und stationäre Aufenthalte verhindert werden. «Auch wenn wir das Angebot selbst finanzieren müssen, möchten wir es nicht mehr missen», betont Anja Stauffer.

Auch wenn wir das Angebot der internen Sozialarbeiterin selbst
finanzieren müssen, möchten wir es nicht mehr missen.

ANJA STAUFFER

Stv. Geschäftsführerin, Spitex Bern

Die Hürden der Zusammenarbeit
Laut BFH erschweren verschiedene Hürden den Einbezug einer Sozialarbeitenden durch die Spitex. Neben der Angst der Klientinnen und Klienten vor einer Stigmatisierung als «Sozialfall» ist dies auch die gegenseitige Skepsis der beiden Berufsgruppen. «Interprofessionalität gelingt nur durch die Offenheit aller Professionen sowie Fallbesprechungen auf Augenhöhe», betont Elisabeth Warzinek. Wichtig sei, dass Interprofessionalität bereits in der Ausbildung gelehrt werde. Im Berufsalltag brauche es dann klare Gefässe und Prozesse, eine gute digitale Vernetzung, gemeinsame Weiterbildungen – und eine adäquate Vergütung der Koordinationsarbeit.

Genau diese Vergütung ist gemäss der BFH aber eine weitere Hürde. «Darum braucht es nun den Willen der öffentlichen Hand, das gemeinsame und präventive Betreuungsangebot von Spitex und Sozialarbeit mitzufinanzieren», sagt Elisabeth Warzinek. «Denn dieses Angebot findet tragfähige, ganzheitliche Lösungen für Betroffene und ihre Angehörigen – und davon profitieren schlussendlich alle Beteiligten.»

Der Spitex Verband SG|AR|AI setzt sich im Jahr 2024 fokussiert mit
Interprofessionalität auseinander. Mehr Informationen dazu unter:
www.spitex.sg/Spitex/Interprofessionalitaet

  1. Haas, Kathy; Rüegg, René; Hostettler, Tatiana (2023). Sozialarbeit in Spitex-Organisationen Bern: Berner Fachhochschule, Soziale Arbeit. Verfügbar unter: https://arbor.bfh.ch/19612/16/19612_Haas_Sozialarbeit%20in%20Spitex_Broschuere.pdf ↩︎
  2. Detaillierte Ausführungen dazu sind online zu finden unter:
    www.gutaltern.ch/publikationen/impulspapiere/das-potenzial-sozialer-berufe-fur-die-betreu-ung-im-alter-nutzen/
    ↩︎

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