Verschiedene Hürden bremsen die Nutzung des EPD

Rund 70 Spitex-Organisationen sind an das elektronische Patientendossier (EPD) angeschlossen. Die Spitex ReBeNo (BE) und die Spitex Prättigau (GR) erklären, wieso sie sich auf das EPD eingelassen haben, warum sie es derzeit trotzdem kaum nutzen und wie sie von EPD-nahen Zusatzdiensten profitieren möchten.

1. Einleitung
2. Die Spitex ReBeNo und das EPD
3. Die Spitex Prättigau will B2B-Dienste für eine gute Kommunikation nutzen



In der Schweiz gibt es acht elektronische Patientendossiers von diesen acht (Stamm-)Gemeinschaften.
Illustration: eHealth Suisse

KATHRIN MORF. Das elektronische Patientendossier (EPD) ist eine digitale Sammlung behandlungsrelevanter Dokumente mit persönlichen Gesundheitsinformationen. 1 Durch einen besseren Austausch von Gesundheitsdaten zwischen den Leistungserbringern stärkt das EPD laut dem Bund die Behandlungsqualität und steigert die Effizienz im Gesundheitswesen. Befragungen zeigen, dass Spitex-Organisationen dem EPD offen gegenüberstehen. 2 Obwohl die Spitex derzeit nicht verpflichtet ist, sich dem EPD anzuschliessen, verfügten laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) und eHealth Suisse bis Ende August 2024 rund 70 Organisationen der Pflege zu Hause über eine solche Anbindung. Dazu gehört die Spitex Fricktal AG, deren Geschäftsführer Peter Frick an der Fachtagung von Spitex Schweiz vom 12. September 2024 die vielen Chancen des EPD betonte – aber auch auf Hürden wie die «bescheidene bis inexistente Nutzung des EPD durch unsere Kundinnen und Kunden» hinwies. Ein ähnliches Bild zeichnet die Spitex Region Bern Nord (ReBeNo).

Die Spitex ReBeNo und das EPD
Die Spitex ReBeNo begann 2019 mit der Einführung des EPD. «Wir wollten uns frühzeitig auf mögliche künftige Anforderungen und Bedürfnisse des Gesundheitswesens respektive der Kundinnen und Kunden einstellen», erklärt Geschäftsführer Marc Klopfenstein. Bis die Spitex ReBeNo im Herbst 2023 für die Nutzung des EPD bereit war, unternahm sie verschiedene Schritte, die gemäss einem Leitfaden von Spitex Schweiz 3 in vier Kategorien eingeteilt werden können:

  • Strategische Schritte: Die Spitex ReBeNo hat sich einer Selbstevaluation unterzogen und die Ziele der EPD-Einführung festgehalten. «Wir wollten mit dem EPD die Qualität und Effizienz der Pflege durch einen nahtlosen Informationsfluss und eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsdienstleistern steigern», erklärt Marc Klopfenstein.
  • Technische Schritte: Die Spitex ReBeNo hat alle technischen Rahmenbedingungen – wie eine geschützte Internetverbindung – sichergestellt. Zudem hat sie sich der Post Sanela Health AG und damit einer der acht (Stamm-)Gemeinschaften 4 angeschlossen, die ein EPD anbietet. Die Organisation entschied sich dafür, über das Web-Portal der Stammgemeinschaft auf das EPD zuzugreifen. Eine Alternative ist laut Spitex Schweiz die Integration des Dossiers in die eigene Software, sofern die nötigen Schnittstellen vorhanden sind.
  • Organisatorische Schritte: Eine Spitex-Organisation sollte zum Beispiel festlegen, wer welche Rolle rund um das EPD übernimmt. So hat die Spitex ReBeNo eine Mitarbeiterin bestimmt, die dank einer elektronischen Identität («eID») für Gesundheitsfachpersonen auf die EPD von Klientinnen und Klienten zugreifen darf. 5
  • Prozess-Schritte: Unter anderem sollte eine Spitex-Organisation alle nötigen Mitarbeitenden rund ums EPD schulen. Die Spitex ReBeNo hat zwar alle Beteiligten über die Anbindung ans EPD informiert. «Aktuell haben wir aber nur die minimal notwendigen Anpassungen umgesetzt», erklärt der Geschäftsführer. «Weitere folgen, sobald der Bedarf sich klarer abzeichnet.»

Momentan verlangt der Markt laut Marc Klopfenstein indes nicht nach einer Nutzung des EPD im Spitex-Alltag. In der Fachliteratur lassen sich unter anderem folgende Gründe hierfür ausmachen:

  • Klientel nutzt das EPD nicht: Hauptgrund der fehlenden EPD-Nutzung ist auch laut Marc Klopfenstein das mangelnde Interesse der Kundschaft: «Derzeit steht uns kein einziges EPD zur Verfügung.» Zahlen von eHealth Suisse zeigen passend dazu, dass bis Ende August 2024 landesweit nur knapp 72 000 Menschen ein EPD eröffnet hatten.
  • Zuweisende setzen das EPD nicht ein: Obwohl Leistungserbringer wie Akutspitäler und Pflegeheime dem EPD angeschlossen sein müssen, nutzen es viele nicht. «Bis dato wurde kein EPD seitens eines zuweisenden Spitals oder Arztes eingesetzt», bestätigt Marc Klopfenstein.
  • Fehlende Interoperabilität und Nutzerfreundlichkeit: Spitex Schweiz verweist darauf, dass die häufig fehlende Interoperabilität zwischen dem EPD und den Primärsystemen der Leistungserbringer viel administrative Arbeit verursacht. Kommt hinzu, dass manche Leistungserbringer das EPD als einen «PDF-Friedhof» 6 kritisieren, der weder strukturierte Daten noch eine Suchfunktion enthalte. «Nebst der Interoperabilität müsste die User-Freundlichkeit des EPD für Gesundheitsfachpersonen und die Bevölkerung optimiert werden», fordert Marc Klopfenstein.
  • Nötige Ressourcen: Die Einführung des EPD verlangt laut Spitex Schweiz nach personellen und ­finanziellen Ressourcen. Die Spitex ReBeNo hat bisher 5500 Franken für das EPD ausgegeben, etwa für Jahresgebühr, Eintrittsgebühr und IT-Unterstützung. «Der Aufwand hat sich für uns bis dato nicht gelohnt, denn unsere Hoffnungen haben sich noch nicht erfüllt», sagt der Geschäftsführer.

Unsere föderale Struktur mit
unterschiedlichen
IT-Systemen und Anforderungen erschwert eine einheitliche
Umsetzung des EPD.

MARC KLOPFENSTEIN

Geschäftsführer Spitex ReBeNo

Oft wird in den Medien darauf hingewiesen, dass die zentralisierten EPD anderer Länder wie Estland besser funktionieren. «Unsere föderale Struktur mit unterschiedlichen IT-Systemen und Anforderungen erschwert eine einheitliche Umsetzung des EPD», bestätigt Marc Klopfenstein. Darum brauche das Schweizer EPD nun «eine starke Koordination sowie gesetzliche Vorgaben, auf die sich alle Akteure ein- und verlassen können». Passend dazu hat der Bund eine umfassende Revision des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) in Angriff genommen, in deren Rahmen auch die Spitex zur EPD-Anbindung verpflichtet wird (vgl. Infokasten).

Die Spitex Prättigau will B2B-Dienste für eine gute Kommunikation nutzen
«Der Spitex Verband Graubünden ist Gründungsmitglied der Stammgemeinschaft eSANITA, die im Januar 2016 ins Leben gerufen wurde. Alle Bündner Spitex-Organisationen sind eSANITA beigetreten, um von Beginn an bei diesem grossen Unterfangen dabei zu sein und die Interessen der Spitex einbringen zu können», berichtet Chantal Weibel, Bereichsleitung Ambulante Pflege & Beratung bei der Flury Stiftung, der die Spitex Prättigau angehört. Bei eSANITA, der rund 400 Leistungserbringer aus 15 Deutschschweizer Kantonen angeschlossen sind, standen von Anfang an die sogenannten «B2B-Dienste» (Business-to-Business-Dienste) im Vordergrund, mit denen Daten zwischen den Leistungserbringern ausgetauscht werden können, und erst in zweiter Linie das EPD selbst. Laut Spitex Schweiz ist der potenzielle Nutzen dieser B2B-Dienste oder auch «EPD-nahen Zusatzdienste» für die Spitex besonders hoch.

2023 begann die Spitex Prättigau gemeinsam mit der Spitex Chur ein Pilotprojekt zur Verbesserung des Austausches zwischen der Hausärzteschaft und Spitex-Organisationen zu planen: Hierfür will die Spitex die Kommunikation über Medikamente und Verordnungen durch Schnittstellen zwischen Software-Lösungen verbessern, welche eSANITA über ihre B2B-Plattform anbietet. Genauer sollen die Schnittstellen zwischen der Spitex-Software Perigon und MedNet in Verbindung mit eSANITA genutzt werden. MedNet ist eine Software der openmedical AG für den Versand und Empfang von Gesundheitsdokumenten und strukturierten Daten. «Die Spitex will künftig ärztliche Verordnungen und Medikationslisten per MedNet statt Mail erhalten», erklärt die Projektverantwortliche Chantal Weibel. «MedNet teilt jede Kommunikation der passenden Fallnummer zu. Pergion soll die Verordnung oder Liste zudem automatisch in unseren Verlaufsbericht übernehmen und den nötigen Auftrag für die Anpassung der Medikation an die Fallführung generieren. Damit ersetzen wir mehrere aufwendige manuelle Schritte und kommunizieren viel effizienter und mit einer höheren Patientensicherheit.» Da der Datenverkehr stets über die B2B-Plattform von eSANITA läuft, werden die behandlungsrelevanten Daten auch automatisch ins EPD gefüllt.

Erst möchte die Spitex Prättigau die Neuerung mit einer Arztpraxis erproben und dabei auch eine Apotheke einbeziehen. Die root-service AG, welche Perigon anbietet, hat laut Chantal Weibel bereits versichert, dass die nötigen Automatisierungen möglich sind. «Generell könnten aber noch die Entwicklungskosten für das Projekt zu einem Knackpunkt werden, obwohl eSANITA bereits einen wesentlichen Anteil leistet.» Dennoch hofft sie, dass bald alle Bündner Spitex-Organisationen vom neuen System profitieren können. «Das gemeinsame Vorgehen der Bündner Spitex halte ich für lobenswert», betont sie. «Und ich rate allen anderen Spitex-Organisationen, bereits jetzt an der Entwicklung des EPD und der B2B-Kommunikation mitzuarbeiten. Denn so entsprechen diese eher den Bedürfnissen der Spitex, wenn die Nutzung des EPD in einigen Jahren für die Spitex zur Pflicht wird.»

Ich rate allen Spitex-Organisationen, bereits jetzt an der
Entwicklung des EPD und der B2B-Kommunikation mitzuarbeiten.

CHANTAL WEIBEL

Flury Stiftung

Der Bund arbeitet am EPD und am zugehörigen Gesetz 
Das Schweizer Parlament hat eine Übergangsfinanzierung in der Höhe von 30 Millionen Franken genehmigt, um das Überleben der EPD-(Stamm-)Gemeinschaften für fünf Jahre zu sichern: Genauer unterstützt der Bund die (Stamm-)Gemeinschaften auf Antrag mit maximal 30 Franken pro neu eröffnetem EPD, sofern sich die Kantone in gleichem Umfang beteiligen. Bis zum Ablauf dieser Finanzierung soll die umfassende Revision des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG) Früchte tragen. Die Vernehmlassung zu dieser Revision wurde im Herbst 2023 abgeschlossen, wobei sich laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) und eHealth Suisse gezeigt hat, «dass das EPD grundsätzlich als nützlich erachtet wird». Zentrale Elemente der Revision seien einerseits die Umstellung von «Opt-In» auf «Opt-Out»: Neu wird für alle Menschen in der Schweiz automatisch ein EPD eröffnet – wer dies nicht wünscht, muss dies seinem Kanton mitteilen. Andererseits werden alle Leistungserbringer verpflichtet, sich dem EPD anzuschliessen und dieses zu bewirtschaften, also auch die Spitex. «Ausserdem wurde die Forderung nach einer Zentralisierung des EPD-Systems vorgebracht», ergänzt das BAG. Passend dazu hat der Bundes­rat am 27. September 2024 in einem Richtungsentscheid zur Gesetzesrevision entschieden, dass die technische Infrastruktur des EPD neu zentralisiert vom Bund zur Verfügung gestellt werden soll. Das umfassend revidierte EPDG wird voraussichtlich 2028 in Kraft treten.

Parallel zur Arbeit am zugehörigen Gesetz wird das EPD selbst schrittweise weiterentwickelt und verbessert. So sollen laut BAG und eHealth Suisse mehr strukturierte Daten im Dossier abgelegt und gepflegt werden können, um dessen Benutzerfreundlichkeit zu verbessern. Der elektronische Impfausweis werde das erste Format auf Basis strukturierter Daten sein, das schweizweit und zeitnah im EPD eingeführt wird. Weitere neue strukturierte Formate wie das elektronische Rezept und der elektronische Medikationsplan folgten danach. Was die vielfach kritisierte Interoperabilität des EPD betrifft, erklären BAG und eHealth Suisse, dass der Datenaustausch zwischen den meisten EPD-Anbietern bereits funktioniere. Spitex-Organisationen, die wissen wollen, ob das EPD mit ihrem Primärsystem kompatibel ist und folglich in dieses integriert werden kann, finden unter www.epd-anbindung.ch eine Liste mit allen Software-Anbietern, welche eine entsprechende Schnittstelle gewährleisten können.

  1. Vgl. www.patientendossier.ch ↩︎
  2. Vgl. zum Beispiel den eHealth Barometer 2024 des Swiss eHealth Forums: https://e-healthforum.ch/barometer/ ↩︎
  3. Vgl. «Das elektronische Patientendossier (EPD): Leitfaden zur Einführung des EPD für Spitex-Organisationen», Spitex Schweiz 2021 ↩︎
  4. «Gemeinschaften» können nur Gesundheitsfachpersonen beitreten. «Stammgemeinschaften» bieten für Gesundheitsfachpersonen und Patientinnen und Patienten die Eröffnung eines EPD an. ↩︎
  5. Gesundheitsfachpersonen können eine solche zertifizierte eID bei der Health Info Net AG eröffnen, mehr Informationen unter www.patientendossier.ch/elektronische-identitaeten ↩︎
  6. Laut Keystone-Mitteilung vom 14.12.2023 ↩︎

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