«Es sollte für Frauen normal sein, über das Thema Altersvorsorge zu reden»

Monika Behr ist Leiterin des Ressorts Leben bei der Allianz Suisse, der Premiumpartnerin von Spitex Schweiz. Sie spricht darüber, was Spitex-Mitarbeitende in Bezug auf das Thema Vorsorge beachten sollten – zum Beispiel über Vorsorge- Lücken als mögliche Tücken der Teilzeitarbeit und darüber, wie auch Mitarbeitende ohne hohen Lohn Kapital für das Alter aufbauen können.

Monika Behr ist Leiterin Leben bei der Allianz Suisse und setzt sich insbesondere für die Vorsorge von Frauen ein. Bild: Allianz Suisse AG

SPITEX MAGAZIN: Frau Behr, Sie setzen sich insbesondere für die Vorsorge von Frauen ein – warum liegt Ihnen dieses Thema so am Herzen?
MONIKA BEHR: Die Antwort darauf ist vielfältig und auch in meinem Werdegang begründet: Ich habe mich in meinem ganzen beruflichen Leben mit der Vorsorge beschäftigt, in verschiedenen Unternehmen, in ganz unterschiedlicher Ausrichtung. Dabei habe ich festgestellt, dass Geld für Frauen oft eine ganz andere Bedeutung hat als für Männer: Dass sie anders damit umgehen, anders darüber reden, sich anders damit beschäftigen – oder eben nicht damit beschäftigen. Und ich habe festgestellt, dass gerade die Vorsorge als eines der wichtigsten Themen, wenn es um die Absicherung für die Zukunft geht, oft grundsätzlich vergessen geht, bei Frauen ebenso wie bei Männern. Das erlebe ich auch in meinem eigenen Bekanntenkreis: Viele treffen wichtige Entscheidungen in ihrem Leben, ohne sich bewusst zu machen, welche finanziellen Auswirkungen dies auf ihre Zukunft hat. Ich finde es wahnsinnig schade, dass sich so viele Frauen in eine finanzielle Abhängigkeit begeben oder in eine unglückliche Lage geraten, wenn eine Scheidung oder ein Vorsorgefall eintritt. Das hat mich bewogen, das Thema in den Vordergrund zu rücken – es sollte für Frauen normal sein, darüber zu reden.

Sind Frauen per se in der Vorsorge benachteiligt, müssen sie «anders» vorsorgen?
Hier sind verschiedene Fragestellungen miteinander verknüpft: Da gibt es zum einen den «Gender Pay Gap». Das heisst, in vielen Unternehmen verdienen Frauen immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Auch sind Frauen häufig in Branchen unterwegs, in denen das Lohnniveau generell tiefer ist. Zudem leisten Frauen, egal ob berufstätig oder nicht, viel mehr unbezahlte Care- oder Hausarbeit als Männer – und das ist aus meiner Sicht der wichtigste Punkt: Wer sich entscheidet, beispielsweise aufgrund der Familiensituation ein Teilzeitpensum einzugehen – wie dies sicher auch bei vielen Spitex-Mitarbeiterinnen der Fall ist –, sollte mit dem Partner oder der Partnerin die Frage diskutieren, wie man sich finanziell aufstellen will. Man sollte also nicht einfach hoffen, dass der oder die andere die Vorsorge trägt, sondern einen Ausgleich für die unbezahlte Arbeit im Haushalt oder in der Kinderbetreuung einfordern. Und: Teilzeitarbeit sollte nicht den Frauen vorbehalten, sondern auch mehr für Männer möglich sein. Ich weiss nicht, wie dies bei der Spitex aussieht, aber viele andere Arbeitgeber haben damit noch Mühe – das finde ich unglaublich unfair, und es schwächt die Frauen zusätzlich. 

Was bedeutet es denn für die Vorsorge, wenn ich mich für Teilzeitarbeit entscheide?
Wer von Voll- auf Teilzeit reduziert, erhält einen entsprechend tieferen Lohn. Dieser geht auch als Bemessungsgrundlage in die erste Säule, die staatliche Vor­sorge AHV/IV, ein – deren Leistungen reduzieren sich proportional. Anders ist es bei der zweiten Säule, der beruflichen Vorsorge (BVG): Wie viel Versicherte bei Pensionierung oder Invalidität – oder im Sterbefall deren Angehörige – von der Pensionskasse erhalten, ist abhängig vom versicherten Lohn. Dabei wird in der Regel der volle Koordinationsabzug auch für Teilzeitbeschäftigte angewandt, und das ist einer der Gründe, weshalb die berufliche Vorsorge oft ungenügend ist. Je nach Pensum sind es dann nur geringe Beträge, die noch versichert sind, oder der Lohn liegt ganz unter dem Minimum. Arbeitgeber können den Koordinationsabzug jedoch auch reduzieren und die Arbeitnehmenden somit besser versichern, als es der Gesetzgeber vorsieht. Bei der aktuellen Diskussion um die BVG-Revision ist die Anpassung des gesetzlich vorgeschriebenen Koordinationsabzuges in Abhängigkeit von Lohn und Beschäftigungsgrad eines der zentralen Themen, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Andersherum unterschätzen jedoch auch viele, dass selbst ein reduziertes Pensum einen kleinen Teil der Vorsorge schafft, den der Arbeitgeber mitfinanziert, und man sich so einen Kapitalstock für die Zukunft aufbauen kann. In Teilzeit zu arbeiten ist immer besser als gar nicht, weil nicht nur ein Lohn fliesst, sondern immer auch etwas in die Vorsorge, sofern der Plan und das Einkommen über dem Schwellenwert liegen.

Zur Person und Allianz Suisse

Monika Behr trat der Allianz Suisse 2017 als Mitglied der Geschäftsleitung und Leiterin Leben bei und ist in einem 90-Prozent-Pensum tätig. Zuvor war sie in leitenden Positionen bei verschiedenen Unternehmen der Versicherungsbranche tätig. Sie absolvierte unter anderem ein Betriebswirtschaftsstudium an der BA Stuttgart, ein Nachdiplomstudium in angewandter Statistik an der ETH Zürich sowie das HSG-Diplomprogramm Insurance Management an der Universität St. Gallen. Die 47-Jährige ist Mutter von drei schulpflichtigen Kindern und lebt mit ihrer Familie im Zürcher Oberland.
Seit Januar 2022 ist die Allianz Suisse Premiumpartnerin von Spitex Schweiz. Das Unternehmen bietet Dienstleistungen in den strategischen Geschäftsfeldern Versicherungs- und Vorsorge­lösungen und in den Teilmärkten Auto, Motorrad, Reisen, Haushalt, Rechtsschutz, Invalidität und Todesfall. Spitex-Mitarbeitende profitieren von Vorzugskonditionen für bestehende und neue Versicherungen; mehr dazu im Extranet von Spitex Schweiz.

→ www.allianz.ch

Wie lassen sich Lücken in der Vorsorge schliessen?
Wer in Teilzeit arbeitet, ein Sabbatical einlegen oder wegen der Kindererziehung eine Zeitlang nicht arbeiten möchte, spürt dies im Prozess des Kapitalaufbaus – doch gibt es verschiedene Wege, Vorsorgelücken auszugleichen. Fehlende Beiträge in der AHV können für die letzten fünf Jahre nachgezahlt werden. Das lohnt sich, denn für jedes Jahr, das fehlt, wird die Rente um 2,3 Prozent gekürzt. In der zweiten Säule können Arbeitgeber wie erwähnt im BVG einen Plan wählen, bei dem auch bei tiefen Löhnen vom ersten Franken an bereits angespart und vorgesorgt wird. Als versicherte Person kann ich mich wiederum, je nach Reglement, selbst in die Pensionskasse einkaufen. Darüber hinaus ist die individuelle Vorsorge zentral: das Sparen über die Säule 3a, ein Depot oder eine Versicherungslösung. Einzahlungen in die zweite und dritte Säule kann man zudem vom steuerbaren Einkommen abziehen.

40 Prozent aller Ehen scheitern, wie die Zahlen des Bundesamtes für Statistik von 2022 besagen – wie wirkt sich eine Scheidung auf die Vorsorge aus?
Bedauerlicherweise sind es in dieser Situation besonders oft Frauen, die sagen: «Hätte ich mich doch bloss früher mit dem Thema Vorsorge beschäftigt.» Der eher unromantische Teil der Ehe ist ja, dass man sich auch über die finanziellen Aspekte Gedanken machen sollte. Viele Frauen verlassen sich auf die Ehe als Altersabsicherung und sind sich nicht bewusst, welches Risiko sie im Fall einer Scheidung damit eingehen. Auch darum rate ich stark dazu, gemeinsam zu überlegen, wie man in der Partnerschaft für einen fairen Ausgleich oder eine Beteiligung von beiden sorgen kann – auch für unbezahlte Care-Arbeit.

Wer sich entscheidet, beispielsweise aufgrund der Familien-
situation ein Teilzeitpensum
einzugehen, sollte mit dem Partner oder der Partnerin die Frage
diskutieren, wie man sich finanziell aufstellen will.

MONIKA BEHR

Leiterin Leben, Allianz Suisse

Und zum Schluss: Welche Tipps, würden Sie sagen, gelten ganz grundsätzlich für die Vorsorge – und damit auch für alle Spitex-Mitarbeitenden? 
Wichtig ist es, den Bedarf im Alter zu klären, Lücken zu identifizieren und das Thema gemeinsam am Familientisch zu diskutieren. Generell gilt dabei: Je früher man mit der Vorsorge beginnt, umso besser: Denn je länger das Geld Zeit hat zu arbeiten, desto stärker wirkt der Zinseszinseffekt – und der ist erheblich. Es lohnt sich, dranzubleiben und den Vermögensaufbau kontinuierlich zu gestalten, auch kleine Beträge zahlen sich aus. Man sollte sich bewusst sein, dass jeder Franken, den man auf die Seite legt und gut investiert – vielleicht auch mit etwas Risiko zugunsten höherer Erträge –, einen Beitrag für ein sorgenfreies Leben im Alter leistet. Das Thema Vorsorge ist anspruchsvoll, aber ungemein  wichtig. Daher würde ich wirklich jeder und jedem raten, sich damit zu beschäftigen. Und sich allenfalls von jemandem beraten zu lassen, zu dem man Vertrauen hat und der einem ohne Eigeninteressen erklären kann, welche Optionen sich bieten.

Interview: Martina Kleinsorg

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