Schützen & stärken

Geschützte und gestärkte Spitex-Mitarbeitende – dafür sorgen nicht zuletzt Massnahmen eines nachhaltigen betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Wie ein solches Konzept Schritt für Schritt eingeführt werden kann, weshalb die Führung BGM vorleben sollte, welche Rolle die interne Kommunikation dabei spielt und was es mit dem Label «Friendly Work Space» auf sich hat, dies erläutern Sonja Wagner, Geschäftsleiterin Spitex Birseck, und Eric Bürki, Leiter Betriebliches Gesundheitsmanagement und GL-Mitglied Gesundheitsförderung Schweiz.

Sascha Rösch von der Spitex Birseck (BL) mit dem in der Pflege eingesetzten Erdnussball. Bild: Johannes Kossmann

EVA ZWAHLEN. In der Schweiz sind Arbeitgebende gesetzlich zu Massnahmen rund um die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz verpflichtet (siehe Kasten). Vertiefter regeln die Branchen und Verbände die entsprechende Umsetzung in der Regel im Rahmen von separaten Dokumenten. So auch Spitex Schweiz: Im Qualitätsmanual 1, dem gesamtschweizerischen Branchenhandbuch für alle Spitex-Organisationen, schreibt der Standard 17 vor, dass «Schutz, Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden gewährleistet sind und gefördert werden». In den entsprechenden Indikatoren ist ausgeführt, dass «die gesetzlichen ­Vorschriften bezüglich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz wie auch die Vorgaben des Arbeitsgesetzes eingehalten werden» (Indikator 17.1) und dass «die Spitex-­Organisationen über ein betriebliches Gesundheitsmanagement verfügen, das nachhaltig im Arbeitsalltag verankert ist» (Indikator 17.2).

In vier Schritten zum BGM-Konzept
Wie umfangreich ein Konzept zum betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) ausgestaltet wird, hängt nicht zuletzt von der Grösse der Organisation ab. Sonja Wagner ist Geschäftsleiterin der Spitex Birseck (BL), einer Spitex-Organisation mit rund 100 Mitarbeitenden. Im Frühjahr 2024 wurde das aktuelle BGM-Konzept eingeführt mit dem Ziel, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu fördern, Arbeitsbedingungen zu optimieren und eine nachhaltige Grundlage für ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. «Mit der Erarbeitung haben wir einen sogenannten Gesundheitszirkel betraut, der sich aus Mitarbeitenden, Führungskräften, der Geschäftsleitung und externen Fachpersonen zusammensetzte», führt Sonja Wagner aus. Die Zusammensetzung des Zirkels hat die Spitex Birseck bewusst so gewählt, damit möglichst viele Perspektiven in den Prozess einfliessen können, beschreibt sie das Vorgehen: «Gerade die Führungskräfte sind Multiplikatoren und Vorbilder für das Vorleben von Gesundheitsmassnahmen. Sie sind in so einem Prozess, aber auch später in der Umsetzung, sehr wichtig.» Gemeinsam wurde ein Ablauf definiert, der sich über vier Phasen erstreckte. In der Phase «Datenerhebung» befragte die Spitex die Mitarbeitenden als Hauptzielgruppe anonym zu den Stärken, Schwächen und Bedürfnissen rund um die Gesundheitsförderung der Organisation. Anschliessend wurden die relevanten Handlungsfelder identifiziert, die sich aus der Umfrage ergeben hatten (Phase «Themensammlung»). In einem dritten Schritt (Phase «Priorisierung») fokussierte die Arbeitsgruppe auf konkrete Massnahmen, die kurzfristig realisierbar und langfristig nachhaltig sind. Zu guter Letzt wurde das tatsächliche BGM-Konzept entwickelt, das modular aufgebaut und auf die spezifischen Herausforderungen der Spitex Birseck zugeschnitten ist (Phase «Konzeptentwicklung»). 

Gesetzliche Grundlagen zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz

Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sind heute in zwei Gesetzgebungen geregelt. Das Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) regelt die Arbeitssicherheit, d. h. die Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten. Das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG) enthält die Vorschriften über den allgemeinen Gesundheitsschutz. Die beiden Gesetzgebungen befassen sich mit teilweise über­lappenden Sachverhalten, die unter dem jeweiligen Schutzaspekt geregelt sind. Die
Eid­genössische Koordinationskommission für ­Arbeitssicherheit EKAS übernimmt eine Steuerungs- und Koordinationsfunktion im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Bei ihr laufen alle Fäden zusammen. Zentrale Aufgabe der EKAS ist es, dafür zu ­sorgen, dass Arbeitnehmende möglichst vor Berufsunfällen und Berufskrankheiten geschützt sind. Für die Spitex-Branche wurde die EKAS-Publikation «Unfall – kein Zufall. Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in der Hilfe und Pflege zu Hause (Spitex)» erarbeitet.

→ www.ekas.ch 

Mehrwert für die Mitarbeitenden herausstreichen
Das heutige BGM-Konzept der Spitex Birseck beschreibt die fünf Themenbereiche Arbeitsplatzgestaltung, psychosoziale Gesundheit, Gesundheitsförderung, Teamkultur und Monitoring, also die Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen durch regelmässige Befragungen. Während der Bereich «Arbeitsplatzgestaltung» eher bekannt sein dürfte und auch Aspekte wie Kinästhetik umfasst, so überrascht es positiv, dass das Konzept auch Aussagen zur psychosozialen Gesundheit der Mitarbeitenden macht. Sonja Wagner beschreibt es so: «Die psychische Gesundheit unserer Mitarbeitenden liegt mir und meiner Geschäftsleitung am Herzen. Deshalb war es uns ein Anliegen, Massnahmen zur Stressbewältigung, Burnout-Prävention und Resilienzförderung in das BGM-Konzept aufzunehmen.» Die Einführung des Konzepts erfolgte in einem strukturierten Prozess und startete mit der Information und Sensibilisierung der Mitarbeitenden. «Die Mitarbeitenden müssen wissen, welche Ziele und welchen Nutzen wir mit dem BGM verfolgen. Dazu haben wir vor allem in die interne Kommunikation investiert», sagt Sonja Wagner. Anschliessend initiierte die Spitex Birseck eine Pilotphase, um mittels ausgewählter Massnahmen die Akzeptanz und Praxistauglichkeit zu prüfen. Schlussendlich hat die Organisation das neue Konzept schrittweise eingeführt, durch Schulungen und Workshops begleitet und mittels einer Evaluation ausgewertet. Mit welchen Herausforderungen war die Geschäftsleitung bei der Einführung des neuen BGM-Konzepts konfrontiert? Dazu Sonja Wagner: «Anfänglich reagierten die Mitarbeitenden zurückhaltend, und wir spürten Skepsis, vor allem gegenüber zusätzlichen Schulungen und neuen Prozessen. Zudem haben wir, wie die meisten Spitex-Organisationen, limitierte zeitliche Ressourcen, die es sorgsam einzusetzen gilt. Über die interne Kommunikation blieben wir während des gesamten Prozesses in einem intensiven und transparenten Austausch und strichen den Mehrwert für die Mitarbeitenden heraus.» Zudem habe sich laut Sonja Wagner bewährt, dass die Mitarbeitenden von Anfang an in den Gesundheitszirkel eingebunden waren und via Umfragen Inputs und Rückmeldungen geben konnten. Schnell sichtbare Verbesserungen, etwa höhenverstellbare Tische für das gesamte Personal oder Doppelbildschirme, motivierten zu weiterem Engagement.

Führungskräfte sind Multiplikatoren und Vorbilder für das Vorleben von Gesundheitsmassnahmen und daher sehr wichtig.

SONJA WAGNER

Geschäftsleiterin Spitex Birseck

Die Führung sollte BGM (vor-)leben
Damit ein BGM-Konzept nach dessen Einführung auch wirklich gelebt wird und nicht zum «Papiertiger» verkommt, bedarf es allerdings Verbindlichkeit. So sagt Sonja Wagner, dass sie innerhalb der Organisation unter anderem feste Verantwortlichkeiten definiert hätten, die Erfolgsgeschichten und Fortschrittsberichte über interne Kanäle teilten und regelmässige Feedbackschlaufen einbauen würden, um die Wirksamkeit des Konzepts laufend zu überprüfen. Anderen Spitex-Organisationen empfiehlt die Geschäftsleiterin der Spitex Birseck daher: «Es lohnt sich, die Mitarbeitenden und Führungskräfte frühzeitig in den ganzen Prozess einzubinden und praxisnahe Massnahmen zu erarbeiten.» BGM sei ein dynamischer Prozess, der kontinuierlich angepasst und erweitert werden müsse, sagt Sonja Wagner. Und: «Führungskräfte sind Vorbilder, die die Massnahmen vorleben.»

Label «Friendly Work Space»

Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH) zeichnet mit dem Label «Friendly Work Space» Arbeitgebende aus, die sich syste­matisch für gute Arbeitsbedingungen und gesunde Mitarbeitende engagieren. Das 2009 eingeführte Label ist das einzige anerkannte Schweizer Qualitätssiegel für betriebliches ­Gesundheitsmanagement. Es wurde mit Fachleuten aus Wirtschaft und Wissenschaft ­entwickelt und erlaubt eine ganzheitliche Perspektive auf einzelne BGM-Massnahmen.
Auch einzelne Spitex-Organisationen wurden mit dem Label ausgezeichnet, so aktuell die Spitex Kempt (ZH). Überdies bietet GFCH ein Spezialmodul für Alters- und Pflegeheime ­sowie für Spitex-Organisationen an, mit dem die Arbeitgebenden einen detaillierten ­Überblick über das Stressgeschehen in der ­Organisation erhalten. Die Befragung berücksichtigt spezifische Faktoren wie personelle Ressourcen, Dienstplanung, Qualität der Pflege und Betreuung, Rationierung der Pflege, ­Umgang mit Aggressionsereignissen sowie Weiterbildung und Entwicklung.

→ www.friendlyworkspace.ch

Keine Konzepte für die Schublade
Was Betriebe in der Schweiz bezüglich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz einhalten müssen, ist, wie einleitend bereits erwähnt, gesetzlich festgehalten, etwa im Arbeits- oder im Unfallversicherungsgesetz. Viele Betriebe, auch diverse Spitex-Organisationen, engagieren sich allerdings auch darüber hinaus mit freiwilligen Massnahmen im BGM-Bereich, etwa dann, wenn Mitarbeitende oft aus gesundheitlichen Gründen ausfallen – was letztendlich auch wirtschaftliche Folgen für den Betrieb hat. Unterstützung und Begleitung bietet hier die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH) mit verschiedenen Instrumenten. Bekannt ist vor allem das Label «Friendly Work Space» (siehe Kasten). Eric Bürki ist Leiter BGM und Mitglied der Geschäftsleitung von GFCH. Danach befragt, worauf Arbeitgebende bei der Einführung und Umsetzung eines BGM-Konzepts achten müssen und welches die Hürden und Stolpersteine sind, sagt er: «Bei der Einführung und Umsetzung eines BGM sind standardisierte Grundlagen entscheidend. Zudem muss geklärt werden, wer die Verantwortung trägt, welche Ressourcen benötigt werden und wie eine nachhaltige Struktur etabliert werden kann. Auch die Kommunikation des Konzepts und die Integration in bestehende Managementsysteme sind essenziell», hält er weiter fest. Typische Hürden sind in seinen Augen unter anderem, wenn die Führung nicht aktiv eingebunden ist oder ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht wird. Auch mangelnde Ressourcen, unklare Strukturen, fehlende Schlüsselpersonen, unzureichende Kommunikation oder Einbindung der Mitarbeitenden über alle ­Hierarchien hinweg seien potenzielle Stolpersteine. Zentral sei zudem, dass ein BGM-Konzept nicht in der Schublade lande, sondern als Auftrag zur Umsetzung mit einer klaren Roadmap versehen werde.

Die Mitarbeitenden müssen wissen, welche Ziele mit dem BGM verfolgt werden. Dazu haben wir vor allem in die interne Kommunikation investiert.

SONJA WAGNER

Geschäftsleiterin Spitex Birseck

Partizipative Massnahmen ermöglichen und psychische Gesundheit nachhaltig fördern
Spitex-Mitarbeitende leisten ihre Einsätze zum Teil in beengten Wohnverhältnissen, geografisch abgelegen, mit veralteten Einrichtungen, fehlenden Hilfsmitteln oder unter hohem zeitlichem und psychosozialem Druck. Viele Spitex-Organisationen bieten ihre Dienstleistungen auch in der Nacht an, was zusätzliche Anforderungen an die Sicherheit mit sich bringt (siehe Ausgabe 6/2024). BGM-Experte Bürki schätzt diese Rahmenbedingungen als potenzielle «Belastungen» ein und empfiehlt: «Um dem entgegenzuwirken, sind partizipative Massnahmen entscheidend. Dazu gehören beispielsweise Investitionen in ergonomische Arbeitsplätze, psychosoziale Unterstützung sowie Sicherheitskonzepte für Nachtdienste. Ein ganzheitlicher BGM-Ansatz ist zentral, um die Gesundheit und Motivation der Mitarbeitenden nachhaltig zu fördern.» Nebst den Herausforderungen der häuslichen Pflege sind die Spitex-Mitarbeitenden im Arbeitsalltag oft mit Zielkonflikten konfrontiert: So versuchen sie einerseits, den Ansprüchen der eigenen Profession an die Pflege und gleichzeitig den Erwartungen der Klientinnen und Klienten zu entsprechen. Andererseits stehen sie unter einem gewissen wirtschaftlichen und zeitlichen Druck. Dies kann zu einer grossen psychischen Belastung führen und, schlimmstenfalls, zum Ausstieg aus dem Beruf. Eric Bürki misst deshalb der psychischen Gesundheit von Spitex-Mitarbeitenden grosses Gewicht bei: «Arbeitgebende tragen eine entscheidende Verantwortung dafür, die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden nachhaltig zu fördern und die Belastungen im Arbeitsalltag abzufedern. Zur Prävention psychischer Belastungen sollten Massnahmen auf organisatorischer und individueller Ebene integriert werden. Organisatorisch sind klare Kommunikation, flexible Arbeitszeitmodelle und eine verbesserte Einsatzplanung zentral.» Eric Bürki weist zudem darauf hin, dass auf individueller Ebene Resilienztrainings, Stressbewältigungskurse und Angebote wie Achtsamkeitstraining oder Yoga helfen können. Darüber hinaus betont der BGM-Experte, dass die gesundheitsorientierte Unternehmenskultur die psychische Gesundheit fördert: «Dazu gehören Wertschätzung, Partizipation bei der Entwicklung von Massnahmen und regelmässige Reflexionsmöglichkeiten.» 

Arbeitgebende tragen eine entscheidende Verantwortung dafür, die psychische Gesundheit
der Mitarbeitenden nachhaltig zu fördern und die Belastungen im
Arbeits­alltag abzufedern.

ERIC BÜRKI

Leiter Betriebliches Gesundheitsmanagement und GL-Mitglied Gesundheitsförderung Schweiz

Vulnerable Mitarbeitende schützen
Die Spitex investiert in den Pflegenachwuchs von morgen, indem sie künftige Fachpersonen Gesundheit ausbildet und vielerorts auch Praktikumsplätze für angehende diplomierte Pflegefachpersonen anbietet. Lernende haben besondere Bedürfnisse bezüglich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, ebenso Ältere oder Schwangere. Welche Anforderungen die Vorgesetzten hier zu erfüllen haben, führt Eric Bürki wie folgt aus: «Die verschiedenen gesetzlichen Vorgaben sind hier sehr deutlich. Es ist Pflicht der Standortleitung, sicherzustellen, dass die Führungspersonen diese auch kennen. Bei Fragen sollte man sich unbedingt an die kantonalen Arbeitsinspektorate wenden.» GFCH bietet zudem mit «Apprentice» und «Leadership-Kit» zwei ­Angebote an, die eine Organisation freiwillig anwenden kann, um Lernenden einen gesunden Start ins Arbeitsleben zu ermöglichen respektive die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu stärken.

Bei Rückfragen rund um die Themen Erarbeitung, Einführung und Kommunikation eines BGM-Konzepts steht Sonja Wagner, Geschäftsleiterin Spitex Birseck, gerne zur Verfügung

→ sonja.wagner@spitex-birseck.ch

  1. www.spitex-instrumente.ch/qualitaetsmanual ↩︎

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