Prävention stärken: eine gemeinsame Herausforderung
Prävention trägt zur guten Gesundheit bei – und, indem sie das Auftreten von Krankheiten verhindert, auch zur Entlastung des Gesundheitswesens, wie Simon Ming, Mediensprecher des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), betont. Bereits heute spielen die Spitex-Organisationen in der Prävention eine Schlüsselrolle. Der Fokus auf kurative Behandlungen aufgrund der geltenden rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen erschwert es der Spitex indes, ihr volles Potenzial zu entfalten.
FLORA GUÉRY. Mit Präventionsmassnahmen lassen sich nicht nur grosses Leid, sondern auch personelle und finanzielle Ressourcen im Gesundheitswesen sparen. Die gezielte Stärkung der Prävention wird daher von allen Seiten gefordert. «Ziel ist es, das Auftreten von Krankheiten zu verhindern. Spezifische Massnahmen zielen darauf ab, dass das individuelle Verhalten geändert und die Lebensbedingungen verbessert werden. Durch Prävention sollen also Risiken entweder vermieden oder frühzeitig erkannt werden», erklärt Simon Ming, Mediensprecher des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).
Gesundheitsförderung und Prävention werden oft als Begriffspaar verwendet. Die Dienstleistungen der Spitex sind allerdings primär präventiv ausgerichtet (und die Angebote im Bereich der Gesundheitsförderung können oft zur Primärprävention gezählt werden), weshalb im vorliegenden Bericht der Fokus darauf gelegt wird.

Krankheiten verhindern statt behandeln
In der Schweiz betragen die Gesundheitskosten 100 Milliarden Franken pro Jahr, wobei nichtübertragbare Krankheiten (Englisch: non-communicable diseases, NCD) einen Grossteil dieser Kosten ausmachen. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische und neurologische Störungen, Krebserkrankungen oder Erkrankungen des Bewegungsapparats. «Diese Krankheiten belasten nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch die Wirtschaft, da sie zu Arbeitsausfällen und zum Verlust von gesunden Lebensjahren führen», betont der BAG-Sprecher. Gleichzeitig, so hält das 2021 durch das BAG veröffentlichte Grundlagendokument «Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV)» fest, fokussiert das Gesundheitswesen auf die Behandlung von Krankheiten (Kuration) und weniger auf deren Prävention. Angesichts der Zunahme von NCD hält das BAG einen Paradigmenwechsel daher für angezeigt: von rein kurativen Behandlungen zu einer ganzheitlichen Betrachtung, welche die Prävention einschliesst.1
Im Rahmen der Nationalen NCD-Strategie 2 ist PGV ein zentraler Massnahmenbereich, welcher die Entwicklung und Etablierung von Gesundheitspfaden entlang der gesamten Versorgungskette fördert und unterstützt. Zielgruppe sind bereits erkrankte Menschen oder Menschen, welche ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben. PGV stärkt die Vernetzung zwischen dem Gesundheits-, Sozial- und Gemeinwesen unter Berücksichtigung des persönlichen Lebensumfeldes. Sie fördert die Früherkennung und Frühintervention (F + F), das Selbstmanagement sowie gesunde und risikoarme Verhaltensweisen bei Menschen mit erhöhtem Krankheitsrisiko oder bereits Erkrankten.3 Im Rahmen ihrer Projektförderung unterstützt Gesundheitsförderung Schweiz innovative Projekte in den Themenschwerpunkten nichtübertragbare Krankheiten, psychische Erkrankungen und Sucht. Die Kantone engagieren sich im Rahmen von kantonalen Programmen für die Umsetzung der NCD-Strategie.
Prävention in jeder Lebensphase
Je nach Lebensphase – von Kindern zu Jugendlichen bis zu Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter – haben Menschen sehr unterschiedliche Präventionsbedürfnisse. Bei den Jüngsten zielt die Prävention beispielsweise auf Risikoverhalten, psychische Gesundheit, Ernährung oder körperliche Aktivität ab. Bei Erwachsenen konzentriert sie sich oft auf die Prävention von Suchterkrankungen, NCD oder die Gesundheit am Arbeitsplatz. Aufgrund ihrer Vulnerabilität sind ältere Menschen eine spezifische Zielgruppe der Prävention. Hier fokussiert Letztere eher auf die Erhaltung der Selbstständigkeit, die Sturzprävention, den Umgang mit chronischen Krankheiten oder psychosoziale Unterstützung. Diese Massnahmen können zu den drei grossen Präventionsbereichen – Primär-, Sekundär- oder Tertiärprävention – gezählt werden, je nachdem, ob sie darauf abzielen, das Auftreten der Krankheit zu verhindern, sie frühzeitig zu erkennen oder ihre Folgen zu mildern (vgl. Infokasten).
Health in all policies
Nebst der wirtschaftlichen hat Prävention eine grosse menschliche Tragweite. «Gesundheitsförderung und die Prävention nichtübertragbarer Krankheiten bergen ein grosses Potenzial, um Krankheiten zu reduzieren oder ihr Auftreten zu verzögern», erklärt Simon Ming. Dabei ist es wichtig, die beiden Begriffe zu unterscheiden (vgl. Infokasten): So zielt Gesundheitsförderung darauf ab, das Gesundheitspotenzial zu stärken und die allgemeinen Lebensbedingungen zu verbessern. In der Praxis überschneiden sich die beiden Konzepte aber oft, und gemäss BAG geht es sowohl bei der Gesundheitsförderung wie bei der Primärprävention in erster Linie darum, Schutzfaktoren zu stärken und Risikofaktoren zu reduzieren.
Wichtig ist in diesem Kontext auch der Begriff der Gesundheitskompetenz, den das BAG in der NCD-Strategie beschreibt als «die Fähigkeit, Entscheidungen zu fällen, die sich günstig auf die Gesundheit auswirken». Gesundheit hängt jedoch nicht nur vom individuellen Verhalten ab. «Der Gesundheitszustand der in der Schweiz lebenden Menschen wird zu 60 Prozent von Faktoren bestimmt, die ausserhalb der Gesundheitspolitik liegen», unterstreicht Simon Ming. Der Ansatz «Health in all policies» erfordert daher Anstrengungen in allen Sektoren sowie eine interdisziplinäre, berufsübergreifende und sektorübergreifende Zusammenarbeit.
Ziel ist es, das Auftreten von Krankheiten zu verhindern. Spezifische Massnahmen zielen darauf ab, dass das individuelle
Verhalten geändert und die Lebensbedingungen verbessert werden.
Simon Ming
Mediensprecher Bundesamt für Gesundheit (BAG)
Finanzierung bleibt eine grosse Herausforderung
Die Finanzierung der Prävention obliegt mehreren Akteuren. Insbesondere die Kantone spielen eine wichtige Rolle in der Gesundheitsförderung, der Gesundheitsversorgung sowie der Information. Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) definiert die Präventionsleistungen, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen werden. Letztere deckt Heilbehandlungen sowie bestimmte Präventionsmassnahmen für besonders gefährdete Versicherte ab. 4 2012 wurde der Entwurf für ein Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung (PrävG), das insbesondere auf eine bessere Koordination und Wirksamkeit der Präventionsmassnahmen abzielte, vom Ständerat abgelehnt.
Vor diesem Hintergrund stellt die Finanzierung von Präventionsangeboten im Gesundheitswesen eine grosse Herausforderung dar. Aus diesem Grund haben die betroffenen Akteure neue Finanzierungsmodelle entwickelt. Um diese zu unterstützen, hat das BAG 2022 das «Handbuch zur Finanzierung von präventiven Angeboten in der Gesundheitsversorgung» veröffentlicht. Es bietet interessierten Personen und Verantwortlichen von PGV-Angeboten relevante Informationen zur Finanzierung im Allgemeinen sowie eine Übersicht zu möglichen Finanzierungsquellen für PGV-Angebote. Zudem listet es verschiedene Erfolgsfaktoren auf, etwa die Berücksichtigung der Chancengleichheit, den Einsatz etablierter evidenzbasierter Interventionen, den Nachweis von wissenschaftlicher Evidenz oder die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen. Das Handbuch stellt auch innovative Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding vor und gibt einen Überblick über die wichtigsten externen Geldgeber – beispielsweise die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, die bis 2028 fünf Millionen Franken in innovative Projekte entlang der gesamten Versorgungskette investieren will.5
Die Rolle der Spitex in der Prävention
Im Alltag von Gesundheitsfachpersonen findet Prävention in der Lebenswelt der Menschen statt. So auch bei der Spitex: Hier spielen die Mitarbeitenden eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Selbstständigkeit und Lebensqualität der Klientinnen und Klienten zu erhalten. Durch ihre regelmässigen Einsätze bei älteren und zum Teil vulnerablen Menschen können sie Risiken frühzeitig erkennen und rechtzeitig handeln. Das KVG deckt Präventionsmassnahmen im Rahmen von Pflegeeinsätzen zu Hause zwar nicht explizit ab. «Koordinationsleistungen durch Pflegefachpersonen in komplexen und instabilen Pflegesituationen könnten allerdings durchaus als Präventionsmassnahmen bezeichnet werden», erklärt Simon Ming.
Bereits heute ist Prävention fester Bestandteil der täglichen Spitex-Arbeit (vgl. Artikel «Die Spitex arbeitet auf vielfältige Art und Weise präventiv»). Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) unterstreicht etwa die Schlüsselrolle von Spitex-Mitarbeitenden bei der Sturzprävention: «Diese haben direkten Zugang zu älteren Menschen und können daher gezielt dazu beitragen, das Sturzrisiko zu verringern», schreibt sie auf ihrer Website. Über das von der BFU unterstützte und von den Spitex-Organisationen umgesetzte Programm «StoppSturz» konnte die Sturzprävention nachhaltig in der Spitex integriert und im Rahmen der KLV dauerhaft finanziert werden (vgl. Artikel «Damit der Teppich nicht zur tödlichen Gefahr wird»). Abgesehen von der genannten Sturzprävention engagiert sich die Spitex darüber hinaus mit einer Vielzahl von Präventionsmassnahmen in verschiedenen Bereichen, wie beispielsweise bei Mangelernährung, Einsamkeit oder der Suizidgefährdung (vgl. Artikel «Acht Facetten der vielseiten Spitex-Prävention»). Aufgrund ihrer Arbeit sind Spitex-Mitarbeitende besonders vertrauens- und glaubwürdig und daher prädestiniert, kranke und stark gefährdete Menschen zu beraten und zu begleiten. Nicht alle Leistungen sind allerdings durch das KVG gedeckt. «Grundsätzlich müssen etwa Begleitleistungen von den Personen finanziert werden, die sie benötigen», erklärt BAG-Sprecher Ming. Dazu gehören Besuchs- und Transportdienste, insbesondere solche mit psychosozialer Ausrichtung, welche die soziale Teilhabe stärken und Einsamkeit vorbeugen. Im Juni 2025 hat der Bundesrat das Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen (EL) angepasst. Dadurch sollen bestimmte Begleitdienste über die EL erstattet werden können – laut BAG «voraussichtlich ab 2028» –, um sie insbesondere für Personen mit geringem Einkommen zugänglicher zu machen. «Solche gesetzlichen Anpassungen eröffnen den Spitex-Organisationen neue Perspektiven im Bereich der Prävention», schliesst Simon Ming.
Begrifflichkeiten
Die Verwendung der Begriffe Gesundheitsförderung und Prävention ist in der Literatur nicht einheitlich, zudem werden die beiden Begriffe (Primär-)Prävention und Gesundheitsförderung in der Praxis oft synonym eingesetzt. Die BAG-Broschüre «Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) – Ansatz und Aufgaben» beschreibt Prävention als Oberbegriff für alle Interventionen, die zur Vermeidung oder Reduktion der Krankheitsentstehung, der Ausbreitung und der negativen Auswirkungen von Krankheiten beitragen. Der Nationale Gesundheitsbericht 2020 präzisiert, dass Prävention die Entstehung oder Ausbreitung von Krankheiten verhindern will, während die Gesundheitsförderung darauf abzielt, soziale, ökonomische sowie Lebensbedingungen derart zu verändern, dass diese positiv auf die individuelle und bevölkerungsbezogene Gesundheit wirken. Prävention kann nach verschiedenen Kriterien klassifiziert werden, je nach:
Zeitpunkt der Intervention: Primärprävention (Intervention vor Ausbruch einer Krankheit oder vor dem Auftreten eines Risikoverhaltens, etwa Aufklärung über gesundheitsschädliche Verhaltensweisen), Sekundärprävention (Früherkennung und Frühintervention bei Anzeichen einer Krankheit,
auch als F+F bezeichnet), Tertiärprävention (Verhinderung von Komplikationen oder Rückfällen, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist).
Zielgruppe: universelle Prävention (gesamte Bevölkerung oder grosse Gruppen), selektive Prävention (als gefährdet geltende Gruppen), indizierte Prävention (Personen, die bereits ein Risikoverhalten oder Symptome aufweisen).
Interventionsebene: Verhaltensprävention (beeinflusst individuelles Verhalten), Verhältnisprävention (richtet sich an das Umfeld des Individuums).
- www.bag.admin.ch/de/praevention-in-der-gesundheitsversorgung ↩︎
- www.bag.admin.ch/de/nationale-strategie-zur-praevention-nichtuebertragbarer-krankheiten ↩︎
- Weitere Massnahmenbereiche der NCD-Strategie sind «Bevölkerungsbezogene Gesundheitsförderung und Prävention» und «Prävention und Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt». ↩︎
- Das KVG sieht vor, dass bestimmte Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten sowie bestimmte Präventionsmassnahmen für Versicherte mit erhöhtem Risiko übernommen werden. Diese Leistungen müssen von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt oder verschrieben werden. Die Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) enthält medizinische Massnahmen zur Primärprophylaxe von Krankheiten (zum Beispiel Impfungen gegen übertragbare Krankheiten, Vitamin D zur Vorbeugung von Rachitis und Präexpositionsprophylaxe gegen HIV) sowie Massnahmen zur Sekundärprävention (zum Beispiel Massnahmen zur Krebsfrüherkennung). ↩︎
- gesundheitsfoerderung.ch/praevention-in-der-gesundheitsversorgung ↩︎