
Erste Hilfe bei psychischen Problemen
Wenn die psychische Gesundheit leidet, leidet bald auch die Arbeitsleistung. Das Programm ensa bildet Mitarbeitende in Erster Hilfe bei psychischen Problemen aus. Wie dies funktioniert, erläutert Dr. Dalit Jäckel-Lang von Pro Mente Sana im Beitrag.

Spitex Magazin: Dalit Jäckel-Lang, spricht man über Arbeitssicherheit oder das betriebliche Gesundheitsmanagement, so denkt man in der Regel zuerst an die physische Gesundheit der Mitarbeitenden. Wieso sollten Organisationen der psychischen Gesundheit Beachtung schenken?
DR. DALIT JÄCKEL-LANG: Früher arbeiteten die Menschen hauptsächlich mit ihrem Körper. Folglich fiel man mit einem körperlichen Problem unter Umständen langfristig aus. Heute ist man damit – je nach Job – schnell wieder einsatzfähig. Dafür verursachen psychische Erkrankungen längere Abwesenheiten, auch, weil sie den Menschen als Ganzes treffen. 2023 haben in einer Befragung des Schweizerischen Gesundheits-observatoriums rund 35 Prozent der Befragten angegeben, in den letzten zwölf Monaten ein psychisches Problem erlebt zu haben. Wenn die psychische Gesundheit leidet, leidet bald auch die Arbeitsleistung – es kommt zu Ausfällen oder gar Arbeitsplatzverlusten. Damit wird schnell klar, wie wichtig es für die Betroffenen und auch für die Unternehmen ist, bei ersten Anzeichen einer sich verschlechternden psychischen Gesundheit zu reagieren. Denn die meisten Menschen mit einer psychischen Erkrankung werden wieder gesund.

Für die Spitex ist es besonders wichtig, die psychische Gesundheit
ihrer Mitarbeitenden zu stärken und frühzeitig Belastungen entgegenzuwirken.
DR. DALIT JÄCKEL-LANG
Leiterin ensa, GL-Mitglied Pro Mente Sana
Welchen besonderen psychosozialen Belastungen sind Spitex-Mitarbeitende ausgesetzt und welchen Einfluss hat dies auf die psychische Gesundheit?
Die psychische Belastung ist in Gesundheitsberufen generell erhöht. Bei der Spitex kommen spezielle Herausforderungen dazu, da viel allein gearbeitet wird und die Mitarbeitenden unter einem hohen Zeitdruck stehen. Zudem sind Spitex-Mitarbeitende auch oft mit herausfordernden Situationen mit Klientinnen und Klienten und deren Angehörigen konfrontiert. Oder sie treffen auf psychisch erkrankte Menschen und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen, weil ihnen das entsprechende Fachwissen fehlt. Für Spitex-Organisationen ist es daher besonders wichtig, die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu stärken und frühzeitig Belastungen entgegenzuwirken. Ebenso relevant sind Schulungen im Umgang mit psychisch belasteten Menschen. Pro Mente Sana bietet hierfür verschiedene Möglichkeiten, das Wissen zu erweitern 1.
Welche Rolle können Mitarbeitende bei Fragen der psychischen Gesundheit übernehmen und wo hilft ihnen das Programm «ensa» dabei?
In ensa-Kursen (siehe Kasten) können wir alle lernen, wie wir Mitarbeitenden oder anderen Nahestehenden wie Familienmitgliedern oder Freunden Erste Hilfe leisten können. Statt zu warten, bis jemand das Thema – meist viel zu spät – anspricht, lernen wir, auf Menschen zuzugehen und unsere Unterstützung anzubieten. Der Erste-Hilfe-Kurs lehrt, wie verschiedene psychische Schwierigkeiten und Krisen erkannt werden können, wie Erste Hilfe angeboten und der betroffenen Person geeignete Behandlungen und andere Hilfsangebote vermittelt werden können.
ensa – Erste-Hilfe-Kurse für die psychische Gesundheit
ensa ist die Schweizer Version des australischen Programms «Mental Health First Aid». Es wurde 2019 in der Schweiz von der Stiftung Pro Mente Sana mit Unterstützung der Beisheim Stiftung lanciert. Ziel des Programms ist es, die Idee von Nothelferkursen auf psychische Probleme zu übertragen: Laien sollen helfen können, wenn bei nahestehenden Personen psychische Schwierigkeiten auftreten, eine bestehende psychische Beeinträchtigung schlimmer wird oder eine akute psychische Krise ausbricht.
→ www.ensa.swiss
Wo sind die Grenzen dieser Unterstützung und wo ist professionelle Hilfe angezeigt?
ensa bildet keine Laientherapeutinnen oder -therapeuten aus. Im Kurs lernen die Teilnehmenden, zu erkennen, wenn eine Verstimmung nicht mehr vorübergehend ist und wann man jemanden auffordern sollte, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Professionelle Hilfe ist gerechtfertigt, wenn wir eine deutliche Veränderung im Denken, Handeln oder Fühlen einer Person feststellen, wenn diese Veränderung Leiden verursacht oder den Alltag der betroffenen Person beeinträchtigt und wenn die Veränderung über längere Zeit anhält.
Wie könnte eine Zusammenarbeit zwischen ensa und der Spitex aussehen?
Mit diversen Spitex-Organisationen gab es bereits eine Zusammenarbeit. Diese nutzen die Kurse sowohl für die Kompetenzentwicklung von Führungskräften, Mitarbeitenden und Freiwilligen als auch als ergänzendes Angebot zu bestehenden Weiterbildungen. Ein Beispiel ist etwa die Spitex Stadt Luzern, die regelmässig ensa-Kurse und drei Jahre später Refresher-Kurse bucht. Zudem hat der Spitex-Verein Sursee für seine Mitarbeitenden den ensa-Kurs «Erste-Hilfe-Gespräche über Suizidgedanken» angeboten. Auch der Spitex-Verband Kanton Zürich hat in der Vergangenheit bereits Erste-Hilfe-Kurse von ensa angeboten.
INTERVIEW: EVA ZWAHLEN
- Weitere Infos unter www.promentesana.ch/angebote/weiterbil-
dung und www.wie-gehts-dir.ch/toolkit-fuer-arbeitgebende ↩︎