«Menschen, die nicht mit Tieren reden, haben eine Macke»

Der schweizerisch-isländische Autor Joachim B. Schmidt, 42, hat 2023 seinen neuesten Roman «Kalmann und der schlafende Berg» veröffentlicht. Im Interview spricht er unter anderem über die Spitex-Tätigkeit seiner Eltern.

Bild: Eva Schram / Diogenes Verlag

SPITEX MAGAZIN: Herr Schmidt, immer wieder liest man, dass in literarischen Figuren stets autobiogra­fische Züge stecken. Kalmann, der in Ihrem 2023 erschienenen Roman erneut ermittelt, ist der selbsternannte Sheriff eines isländischen Dorfes, kognitiv beeinträchtigt und hat weder mit Frauen noch mit Büchern etwas am Hut. Damit scheint er nicht viel mit Ihnen gemeinsam zu haben?
JOACHIM B. SCHMIDT: Ich behaupte, dass in jeder Romanfigur einiges des Schöpfers steckt, bloss geben das nicht alle zu. Ein bisschen des Bündner Bauernsohns, der ich bin, steckt auch in meinen Figuren. Und das passt, denn ­Isländer sind ein ursprünglich ärmliches Bauernvolk mit einer Inselmentalität wie die Schweizer. Kalmann ist ein Erwachsener mit einem etwas kindlichen Gemüt. Darum gleicht er zeitweise meinem etwa 7-jährigen Ich. Mit Frauen hat Kalmann zudem sehr wohl etwas am Hut, zumindest in seiner Fantasie. So stellt er sich manchmal vor, Lady Gaga oder Rihanna bei sich im Fischerboot zu haben.

Sie waren oder sind als Autor, Journalist, Fremdenführer, Hochbauzeichner oder auch Rezeptionist und Knecht tätig. Gibt es vielleicht noch weitere Berufe, von denen Sie träumten oder träumen?
Als Kind wollte ich Bäcker, Clown oder Metzger werden. Später Architekt – eine Karriere, die ich ernsthaft verfolgt habe, aber schliesslich realisierte, dass der Beruf gar nicht so kreativ ist. Für Architektur interessiere ich mich aber noch immer. Und manchmal träume ich davon, einen ganz simplen Job mit sicherem Einkommen zu haben. Dann merke ich jedoch, wie sehr ich die Freiheiten schätze, die so ein Künstlerleben mit sich bringt. Meine Tätigkeit als Island-Guide will ich aber noch nicht ganz aufgeben – denn die Natur, sie lockt mich ständig.

Verraten Sie uns eine Macke und ein Talent, die trotz Ihrer häufigen Medienpräsenz bisher kaum ein Thema in der Öffentlichkeit waren?
Ich befürchte, ich habe keine Macken – was meine Frau bestimmt abstreiten würde. Mein Talent ist also, so aufzutreten, als hätte ich keine Macken. Hier nehme ich mir Kalmann zum Vorbild, der mit Cowboyhut und Sheriffstern durchs Dorf patrouilliert. Er sieht das nämlich nicht als Macke, weil alle Menschen einzigartig sind und einen Schaden haben, und darum sind alle ganz normal. Ein Beispiel: Begegne ich draussen einer Katze, sage ich «Hallo» und «Wie gehts?». Nun können Katzen nicht sprechen – aber trotzdem finde ich, dass Menschen, die nicht mit Tieren reden, eine Macke haben, und nicht ich.

Gibt es eine bekannte Person, welche Sie gern einmal treffen würden?
Prominenz interessiert mich nicht mehr so wie früher. Vor ein paar Jahren hätte ich den inzwischen verstorbenen Schriftsteller Markus Werner erwähnt, aber ich habe gemerkt, dass Treffen mit Idolen enttäuschend sein können. In Reykjavik sehe ich Idole wie die Sängerin Björk, die Jungs der Band Sigur Rós oder die isländischen Autorinnen und Autoren regelmässig, und sie alle sind ganz normale Menschen. Weil ich ausgewandert bin, fehlen mir vielmehr meine alten Freunde. Ich würde jedes Essen mit einer prominenten Person sofort eintauschen gegen einen Abend am Stammtisch mit meinen Freunden.

Und zuletzt: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Spitex gemacht?
Meine Mutter Elisabeth, die Krankenschwester gelernt hat, arbeitete in den 90er-Jahren für die Spitex. Und mein Vater Hermann ist mit 82 Jahren noch immer für den Mahlzeitendienst tätig, von der Spitex organisiert. Manchmal, wenn ich in die alte Heimat fahre und in Thusis abgeholt werden möchte, heisst es dann: Hermann hat Mahlzeitendienst, nimm den «Bummler» nach Cazis. 

Zur Person
Joachim Beat «B.» Schmidt wurde 1981 geboren, wuchs als Bauernsohn in Cazis GR auf und absolvierte eine Ausbildung zum Hochbauzeichner. 2007 machte er Island zu seiner Wahlheimat. Sein Brot hat er laut dem Diogenes Verlag «auch schon als Knecht, Gärtner, Trockenmaurer, ­Kellner, Hilfskoch, Molkereiarbeiter und Rezeptionist verdient». Seine schriftstellerische ­Tätigkeit begann indes 2010 mit dem Gewinn des Schreibwettbewerbs «Grosse Sehnsucht ­Schreiben». 2013 veröffentlichte er den Roman «In Küstennähe», 2014 folgte «Am Tisch sitzt ein Soldat» und 2017 «Moosflüstern», allesamt im Landverlag. 2020 veröffentlichte er im ­Diogenes-Verlag den Roman «Kalmann» über einen selbsternannten isländischen Dorf-­Sheriff. 2022 erschien sein Roman «Tell», laut «NZZ» eine «radikale Modernisierung der Schweizer Freiheitserzählung». Im August 2023 wurde «Kalmann und der schlafende Berg» veröffentlicht. In diesem Roman ermittelt Kalmann in einem Mordfall, dessen Spuren bis nach Amerika und in den Kalten Krieg zurückreichen. Für «Kalmann» erhielt Joachim B. Schmidt den Crime Cologne Award und erreichte den 3. Platz beim Schweizer Krimipreis. Für «Tell», der Platz 1 der Schweizer Bestsellerliste erklomm, erhielt er den Bündner Literaturpreis. Heute lebt der 42-jährige doppelte Staatsbürger als Autor, Journalist und Fremdenführer mit seiner Frau, einer Tochter und einem Sohn in Reykjavík. 

→ www.joachimschmidt.ch

Interview: Kathrin Morf

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