Acht Facetten der vielseitigen Spitex-Prävention
Die Spitex hat nicht nur in der Sturzprävention, sondern in vielen weiteren Bereichen präventive Angebote im Repertoire oder arbeitet an Projekten mit, welche die Prävention stärken. Wir gehen auf acht dieser Präventionsbereiche – von Einsamkeit über Sucht bis hin zu Mangelernährung – in Kürze und Würze und mit je einem Beispiel ein.
TEXTE: FLORA GUÉRY UND KATHRIN MORF
Inhalt
1. Prävention im Bereich Einsamkeit
2. Suizidprävention
3. Suchtprävention
4. Prävention im Bereich Mundgesundheit
5. Prävention von Mangelernährung
6. Prävention im Bereich Demenz
7. Prävention von Flüssigkeitsmangel
8. Allgemeine Gesundheitsförderung im Alter
- Prävention im Bereich Einsamkeit
Vielerorts kämpft die Spitex gegen die Einsamkeit ihrer Klientinnen und Klienten, erhöht diese doch unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Demenz. Die Spitex Triengen (LU) tut dies seit 2012 mit ihrem «Zeitgeschenk»: «Unsere Mitarbeitenden haben ein Zeitguthaben, das sie unseren Klientinnen und Klienten schenken dürfen – wie viel, hängt vom jährlichen Spendenguthaben ab», erklärt Geschäftsleiterin Claudia Heller. Die verschenkte Arbeitszeit darf für eine gemeinsame Beschäftigung nach Wahl genutzt werden. Sie wird in der Zeiterfassung festgehalten, muss aber weder protokolliert noch genehmigt werden. Manchmal organisieren die Mitarbeitenden auch Aktivitäten für mehrere Personen, etwa ein «Grittibänz»-Backen. «Durch die geschenkte Zeit fühlen sich die Klientinnen und Klienten wahrgenommen, wertgeschätzt und weniger einsam, was sich positiv auf ihre psychische und physische Gesundheit, Lebensfreude sowie Selbstständigkeit auswirkt», sagt Claudia Heller. «Zudem stärkt das Zeitgeschenk für die Mitarbeitenden die wahrgenommene Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit und ist damit ein wichtiger Beitrag zur Burnout-Prävention und Arbeitszufriedenheit.»

2. Suizidprävention
SERO (Suizidprävention Einheitlich Ressourcen-Orientiert) ist eine Methode der Prävention von Suizidversuchen und Suiziden durch Förderung des Selbstmanagements. Sie wurde von 2021 bis 2024 von der Luzerner Psychiatrie AG (lups) getestet und umfasst vier Massnahmen: eine Suizidrisikoeinschätzung durch Gesundheitsfachpersonen mittels PRISM-S-Methode, einen Sicherheitsplan für die Gefährdeten, den Besuch eines Ensa-Kurses zum Thema Suizidprävention durch Angehörige und die Unterstützung der Gefährdeten beim Monitoring ihrer Suizidalität durch die App SERO. Von 2022 bis 2024 wurden auch 250 Spitex-Mitarbeitende aus neun Kantonen in Prism-S geschult. 2023 berichtete eine Mitarbeiterin von Spitex Obwalden, SERO sei ein «wirksames Auffangnetz für Betroffene» (vgl. Spitex Magazin 4/2023).
Inzwischen wurde SERO in Regelbetrieb und Regelfinanzierung der beteiligten Betriebe übernommen. «Pro Jahr nutzen 1200 Personen die App im Schnitt je 5500-mal, wobei 78 Prozent die App weiterempfehlen würden. Und das Druckmaterial wie der Sicherheitsplan und der App-Flyer werden rege bestellt», berichtet Rebeca Riefoli, Assistentin der Bereichsleitung Pflege bei der lups. «Eine Studie von Swiss tph hat zudem gezeigt, dass die SERO-Massnahmen kurz- und längerfristig zu signifikant weniger Wiederaufnahmen in stationäre Einrichtungen bei Personen mit erhöhtem Suizidrisiko führen.»
Die kostenlose SERO-App ist in Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar, das kostenlose SERO-Druckmaterial in Deutsch.
3. Suchtprävention
Das 2020 vom Fachverband Sucht initiierte Pilotprojekt «1+1=3» hatte Kooperationen zwischen Spitex und Suchtberatung zum Ziel, um Menschen mit problematischem Substanzkonsum besser zu erreichen. Dies auf Basis des «Lenzburger Modellkonzepts», das anhand von Fallbeispielen aufzeigt, wie eine solche Kooperation aussehen kann. Seit Sommer 2021 arbeitet im
Aargau die Spitex Limmat Aare Reuss AG mit dem Suchtberatungs-Zentrum BZBplus zusammen. «In einem Workshop zum Thema Sucht konnten unsere Regional- und Teamleitungen wertvolle Kenntnisse erwerben und diese gezielt an ihre Teams weitergeben», berichtet Nanning Carstensen, Leiter Psychiatrie der Spitex LAR. «Zudem finden regelmässig gemeinsame Fallbesprechungen statt und das BZBplus ist jederzeit schnell und unkompliziert für fachliche Rückfragen für uns da. Darüber hinaus stellt es uns hilfreiches Informationsmaterial zur Verfügung.» Durch die Kooperation können die Mitarbeitenden der Spitex LAR ihren Klientinnen und Klienten noch mehr Fachwissen zur Verfügung stellen. «Sie erkennen problematischen Konsum und Sucht frühzeitig und können Betroffene wie auch Angehörige mit ihren Kompetenzen bestmöglich begleiten», lobt Nanning Carstensen.
4. Prävention im Bereich Mundgesundheit
Zusammen mit der Aktion Zahnfreundlich Schweiz und dem Berufsverband Swiss Dental Hygienists setzte Melanie Loessner von der Agentur vitamintexte von 2020 bis 2023 das Pilotprojekt «minimal einmal» in den Kantonen Basel-Stadt und Baselland um: Unter anderem schufen die Beteiligten Informationsmaterialien zum Thema Mundgesundheit und Ernährung im Alter sowie zugehörige Schulungen für Spitex-Mitarbeitende. Seither gingen diese Schulungen weiter: Melanie Loessner organisierte zwischen 2023 und 2025 vier Spitex-Schulungen im Auftrag des Kantons Aargau sowie acht im Auftrag von Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich in Zusammenarbeit mit dem Spitexverband Kanton Zürich. «Die dreistündigen Schulungen über Mundgesundheit und Zahnpflege von älteren Menschen wurden von Referentinnen von Swiss Dental Hygienists durchgeführt. 90 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass sie das Erlernte im Pflegealltag gut umsetzen können», berichtet sie. Derzeit ist sie mit weiteren Kantonen für weitere Spitex-Kurse in Kontakt. «Gut essen und trinken zu können, ist besonders für die Lebensqualität und Gesundheit älterer Menschen wichtig», sagt sie. «Dafür ist es entscheidend, minimal einmal täglich Mund und Zähne zu pflegen – allein oder mithilfe der Spitex.»
5. Prävention von Mangelernährung
Mangelernährung ist eine vor allem im Alter oft unterschätzte Gefahr, die zahlreiche physische und psychische Folgekrankheiten nach sich ziehen kann. Spitex-Organisationen wie die Neuenburger NOMAD (Neuchâtel Organise le Maintien A Domicile) versuchen Mangelernährung darum frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen. Genauer wendet die NOMAD seit 2022 ein Konzept zur Erkennung von Mangelernährung bei ihren Klientinnen und Klienten an, das insbesondere auf dem Fragebogen «MNA-SF» («Mini Nutritional Assessment – short form») basiert. Dieses Werkzeug hilft bei der Erkennung einer bestehenden Mangelernährung oder eines Risikos hierfür bei älteren Menschen über 65 Jahren – und dies mit nur sechs Fragen zu Themen wie Nahrungsaufnahme, Gewichtsverlust und Mobilität. Die Pflegefachpersonen der NOMAD, die darin geschult sind, frühe Anzeichen von Mangelernährung zu erkennen, arbeiten in einem interdisziplinären Team mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt zusammen, um im Ernstfall schnell eingreifen zu können. Zum Beispiel wird bei Bedarf eine – von den Krankenversicherern finanzierte – Ernährungsberatung durch die internen Diätassistentinnen und Diätassistenten von NOMAD aufgegleist.
6. Prävention im Bereich Demenz
Das Pilotprojekt «Demenz-Kompetenz und Monitoring – Vernetzt für kompetente Demenzversorgung (DeKoMo)» der Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) AG zielt auf eine Früherkennung von komplizierten Verläufen bei Menschen mit Demenz sowie eine Frühintervention ab. Es umfasst von 2025 bis 2028 drei Teile in den Settings Alters- und Pflegeheim, alterspsychiatrische Klinik und Spitex-Organisation in den Kantonen Bern und Zürich. In der ersten Projektphase werden Mitarbeitende in den drei Settings über interne Multiplikatorinnen und Multiplikatoren geschult. «Wir empfehlen ein bis zwei Mitarbeitende pro Demenz-Team der Spitex für die Fortbildung zur Multiplikatorin oder zum Multiplikator anzumelden», erklärt Giuliana Crippa, Doktorandin an der Universitätsklinik. Aktuell arbeite das Projektteam bereits mit Spitex Bern und Spitex Zürich zusammen und stehe mit weiteren Organisationen in Kontakt. Teilprojekt 2 fördert die lokale Vernetzung der beteiligten Settings und Teilprojekt 3 kümmert sich um die langfristige Sicherung der Netzwerke sowie die Qualitätssicherung. «DeKoMo soll durch gezielte Kompetenzerweiterung eine frühzeitige Erkennung von Demenzsymptomen ermöglichen, um Komplikationen und Komorbiditäten zu vermeiden, Settingwechsel und Delir-Risiken zu reduzieren sowie die Sturzprävention zu stärken», erklärt Giuliana Crippa. Die Arbeit im Netzwerk entfalte zudem eine präventive Wirkung durch den gemeinsamen Austausch von Erfahrungen und Ideen rund um herausfordernde Fälle sowie durch eine bessere Nutzung vorhandener Angebote und Ressourcen. Das Pilotprojekt wird durch Gesundheitsförderung Schweiz finanziert. «Mit externer Begleitung erheben wir aber die Datengrundlage zur Begründung einer nachhaltigen Finanzierung durch Versicherungen und Kantone».
7. Prävention von Flüssigkeitsmangel
Die zunehmenden Hitzetage gefährden die Gesundheit der vulnerablen Klientinnen und Klienten der Spitex besonders. Trinken sie nicht ausreichend, droht ein Flüssigkeitsmangel, der unter anderem zu Herzinfarkten, Schlaganfällen und Lungenembolien führen kann. Die Spitex Grenchen (SO) will dies seit 2024 mit dem Angebot «Einen über den Durst trinken – weil Wasser Leben ist» verhindern: «Steigt das Thermometer über 25 Grad, rufen Freiwillige täglich die 10 bis 15 Klientinnen und Klienten an, welche dies wünschen, und erinnern sie an die regelmässige Wasseraufnahme», berichtet Geschäftsleiterin Lena Saira Dick. Die Arbeitszeit der Mitarbeitenden der Spitex Grenchen, die unter anderem Dokumente wie einen Gesprächsleitfaden erstellt haben und die Anrufe für die Freiwilligen vorbereiten, wird mittels Spenden finanziert. «So wollen wir Hospitalisationen und Komplikationen aufgrund von Flüssigkeitsmangel vermeiden. Zudem helfen die Anrufe gegen Einsamkeit. Darum nehmen sich die Freiwilligen auch gern länger Zeit für einen Anruf als nötig», erklärt Lena Saira Dick. «Weil sich der Freiwilligenverein, der die Anrufe bisher übernommen hat, auflöst, ist unser Angebot nun aber gefährdet. Wir würden uns sehr über neue Freiwillige für nächsten Sommer freuen.»
Mehr Informationen per Mail:
lena.dick@spitex-grenchen.ch
Mit unseren Anrufen wollen wir Hospitalisationen und Komplikationen aufgrund von Flüssigkeitsmangel vermeiden. Zudem helfen sie gegen Einsamkeit.
Lena Saira Dick
Geschäftsleiterin Spitex Grenchen
8. Allgemeine Gesundheitsförderung im Alter
Die Spitex des Kantons Waadt, die AVASAD (Association vaudoise d’aide et de soins à domicile) setzt derzeit das Projekt «Bien-vieillir» um («Gut altern», vgl. Bericht vom 5. November auf www.spitexmagazin.ch): Die sozialmedizinischen Zentren (SMZ) der Organisation entwickeln ihre Arbeit in Richtung Gesundheitsförderung und Prävention weiter. Ein Teilprojekt von «Bien-vieillir» sowie «Vieillir2030» des Kantons Waadt widmet sich seit Juni 2025 der digitalen Inklusion: In Zusammenarbeit mit dem Senior-Lab der Hochschule für Gesundheit «La Source» will die AVASAD dafür sorgen, dass Menschen ab 65 Jahren durch die Nutzung digitaler Programme und Tools zu Akteurinnen und Akteuren in ihrer eigenen Gesundheitsförderung werden. Schliesslich sind digitale Technologien laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) wichtige Hilfsmittel für ältere Menschen, um unter anderem Erkrankungen selbst vorzubeugen und mit Gesundheitsfachpersonen zu kommunizieren.1 In einem ersten Schritt ermitteln die Projektverantwortlichen derzeit, welche Bedürfnisse die älteren Menschen rund um digitale Technologien haben und welche Kompetenzen sie benötigen. So wollen sie die relevantesten Tools und Programme identifizieren und einen Aktionsplan entwickeln, um die digitale Kompetenz älterer Menschen zu Hause schrittweise zu fördern. Das «Spitex Magazin» wird über die Fortschritte des Projekts berichten.