Eine intelligente Box für das Medikamentenmanagement
Die «Smart Pillbox» der Gerisana Care AG soll Fehler beim Abfüllen und Einnehmen von Medikamenten reduzieren – zum Vorteil der Klientinnen und Klienten, ihrer Angehörigen und der Spitex.
KATHRIN MORF. «Die Smart Pillbox ist aus der ambulanten Pflege und für die ambulante Pflege entwickelt worden», sagt Claudia Siebenhaar, Co-Gründerin der Gerisana Care AG. Die Pflegeexpertin APN war zehn Jahre für die Spitex tätig und arbeitet derzeit unter anderem in einer Arztpraxis. «In meinem Berufsalltag habe ich gemerkt, dass ein intelligentes Hilfsmittel eine riesige Erleichterung im fehleranfälligen, aufwendigen Abfüllen und Abgeben von Medikamenten sein könnte – insbesondere für betagte Menschen oder Menschen mit beginnender Demenz, für ihre Angehörigen und für die Pflege», berichtet sie. 2022 gründete sie darum gemeinsam mit dem Juristen Simon Roth die Gerisana Care AG mit Sitz in Zürich, um ein solches Gerät zu entwickeln. «Wenn man etwas ändern will, muss man es anpacken», sagt Simon Roth.
Das Resultat dieses Anpackens ist die «Gerisana Smart Pillbox», also eine «intelligente Medikamentenbox». Die Age-Stiftung unterstützt die Entwicklung des Geräts mit 180 000 Franken. Marktreif sei der Prototyp der Smart Pillbox aber noch nicht, stellt Simon Roth klar. «Die grösste Herausforderung ist derzeit die Senkung der Entwicklungs- und Materialkosten, damit das finale Gerät für den Endkunden bezahlbar ist. Schaffen wir dies und können dadurch mehr Geldgeber überzeugen, wäre das Gerät in 9 bis 12 Monaten marktreif.» Aktuell rechne er mit der Marktreife bis im Jahr 2026.
Doch was kann die als «neue Generation des Medikamentenmanagements» angepriesene Box genau? «Sie hilft beim korrekten Abfüllen der Medikamente und gibt diese zum richtigen Zeitpunkt ab», erklärt Claudia Siebenhaar. Genauer wird die Box durch eine Fachperson oder einen Angehörigen programmiert: Die Person tippt ein, welches Medikament wann einzunehmen ist. Während des «assistierten Befüllens» zeigt das Gerät daraufhin an, wie ein Medikament aussieht und welche Menge in die 28 zur Verfügung stehenden Fächer gefüllt werden muss. «Zum richtigen Zeitpunkt gibt die Box dann alle nötigen Medikamente in einen Becher und erinnert per Videobotschaft und Lichtsignale an die Einnahme», umreisst Claudia Siebenhaar. Der Patient müsse nur den Becher leeren, was viel weniger Fingerfertigkeit erfordere als die Handhabung der weitverbreiteten Wochenschieber. Die marktreife Version der Smart Pillbox soll zudem die Möglichkeit einer Monitoring-Funktion umfassen, ergänzt Simon Roth: «Werden Medikamente nicht eingenommen, sendet die Box eine Textnachricht an Angehörige oder Fachpersonen.»
Die Gerisana Care AG hat den Prototyp mit insgesamt 59 Patientinnen und Patienten, Angehörigen und Pflegefachpersonen getestet. «Dabei zeigte sich, dass Angehörige mit der Smart Pillbox achtmal weniger und Pflegefachpersonen viermal weniger Fehler beim Befüllen machten als mit dem Wochenschieber. Und den Patientinnen und Patienten passierten achtmal weniger Fehler bei der Einnahme», berichtet Claudia Siebenhaar.
Den Patientinnen und Patienten passieren mit der Smart Pillbox achtmal weniger Fehler bei der Einnahme.
CLAUDIA SIEBENHAAR
Co-Gründerin Gerisana Care AG
Box soll die Spitex entlasten
Der Spitex könne die Smart Pillbox beim schnelleren, sichereren Richten von Medikamenten helfen, versichert die Pflegeexpertin. «Im Weiteren zeigt unsere Auswertung von Daten aus dem Datenpool HomeCareData von Spitex Schweiz, dass 9,2 Prozent der Einsätze der Spitex Kurzeinsätze allein für das Richten oder Abgeben von Medikamenten sind. Durch die Smart Pillbox könnte sich die Spitex einige Einsätze zum Abgeben der Medikamente sparen und das Richten häufiger den Angehörigen überlassen.»
Bisher haben die Spitex Kanton Zug, Basel, Bern, Stadt Luzern, Stadt Winterthur sowie der Spitex Verband Thurgau eine Absichtserklärung unterzeichnet, eine Einführungspartnerschaft mit Gerisana einzugehen. «Die Organisationen gaben uns Feedback zu ihrem Medikamentenmanagement. Ist das Gerät marktreif, wird es zudem mithilfe der Spitex getestet», sagt Simon Roth. Die Box werde in Deutsch entwickelt – die Übersetzung in andere Landessprachen sei nach abgeschlossener Entwicklung geplant. Weiter strebe Gerisana eine Zertifizierung der Smart Pillbox als Medizinprodukt an.
Eines Tages soll das Gerät auch um eine zugehörige App sowie eine digitale Plattform erweitert werden – und es soll Medikationspläne wie den eMediplan einlesen können. Auch die Erweiterung um künstliche Intelligenz, welche beispielsweise auf drohende Wechselwirkungen von Medikamenten hinweist, ist angedacht. Dies ist aber Zukunftsmusik: Derzeit arbeiten die Entwickler an der Optimierung des Geräts. So kam beim ersten Prototyp nur ein Becher zum Einsatz, was laut Simon Roth als Risiko identifiziert wurde, weil sich die Patientinnen und Patienten an das Zurückstellen des Bechers erinnern mussten: «Nun enthält das Gerät einen Becher für jede der 28 Kammern», sagt er.
Was die Spitex und externe Fachpersonen sagen
Und was sagt die Spitex zur intelligenten Box? «Die Smart Pillbox ermöglicht eine Erhöhung der Selbstständigkeit von Klientinnen und Klienten bei der Medikamenteneinnahme und kann pflegende Angehörige und Pflegepersonal entlasten», hebt Nicole Zeller, Mitglied der Geschäftsleitung der Spitex Stadt Luzern, hervor. «Die technischen Feinheiten sind kundenfreundlich und sehr einfach in der Anwendung, weil die Box individuelle optische und akustische Signale setzt und somit die Medikationssicherheit deutlich erhöht.»
Lob gibt es auch von Prof. Dr. Carla Meyer-Massetti, Expertin für klinische Pharmazie und Mitglied des Beirats der Gerisana Care AG (vgl. z. B. Spitex Magazin 2/2023). Die Box unterstütze die Adhärenz und erweitere die Autonomie sowie die Entscheidungsoptionen der Klientinnen und Klienten der Spitex, sagt sie. «Der Kernauftrag der Spitex ist es, Klientinnen und Klienten in ihrer Selbstständigkeit zu unterstützen. Gleichzeitig soll bei Leistungen rund ums Medikationsmanagement die Medikationssicherheit gewährleistet werden. Das Gerät von Gerisana schliesst hier aus meiner Sicht eine Lücke, da es den Medikationsprozess von der Bereitstellung bis zur Anwendung unterstützt und sehr flexibel einsetzbar ist», sagt sie. Das Befüllen könne von Angehörigen und Pflegenden, in manchen Fällen aber auch von den Klientinnen und Klienten selbst oder von Apothekerinnen und Apothekern übernommen werden, fügt Carla Meyer-Massetti an – und betont abschliessend: «Gerade in Anbetracht des Fachkräftemangels in der Pflege sollten Prozesse wie das Richten und Abgeben von Medikamenten flexibel gestaltbar sein – und trotzdem sicher. Dafür könnte die Smart Pillbox sorgen.»