Pflegende Angehörige ohne finanziellen Profit anstellen

Seit einem Bundesgerichtsurteil nimmt in der Schweiz die Zahl der Firmen, die mit der Anstellung von pflegenden Angehörigen Profit machen, zu – mit Kostenfolgen für die öffentliche Hand. Die RegioSpitex Limmattal sowie ein innovatives Projekt von Caritas und den beiden Spitex-Verbänden Baselland und Basel-Stadt zeigen, wie die finanzielle Entlastung von Gemeinden und Kantonen gelingen kann.

EVA ZWAHLEN. Laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) pflegen schweizweit rund 600 000 Menschen eine Angehörige oder einen Angehörigen1. Es ist unbestritten: Für die Pflege zu Hause sind Angehörige von pflegebedürftigen Menschen eine wertvolle Ressource. Organisationen mit einer Spitex-Bewilligung können pflegende Angehörige anstellen und finanzielle Vergütungen für die Leistungen der pflegenden Angehörigen erhalten. Seit einem Bundes­gerichtsurteil von 20192 ist die Anstellung von pflegenden Angehörigen – und die entsprechende Verrechnung von erbrachten Leistungen im Bereich der Grundpflege – ohne Grundausbildung möglich. Fehlende verbindliche Regeln führen dazu, dass es in der Schweiz Firmen gibt, die mit der Anstellung von Angehörigen Profit machen. Spitex Schweiz fordert deshalb schweizweit klare Rahmenbedingungen rund um die Qualität und Finanzierung (mehr zu den Forderungen von Spitex Schweiz: siehe Kasten). Für Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin Spitex Schweiz, ist klar: «Die Gemeinden und Kantone haben es in der Hand, die Rahmenbedingungen zu gestalten und ins­besondere bei der Restkostenfinanzierung Vorgaben zu machen.» Dass die Anstellung pflegender Angehöriger auch ohne Gewinnorientierung möglich ist, zeigen das Beispiel der RegioSpitex Limmattal (ZH) und jenes von
Caritas, des Spitex-Verbands Baselland (SVBL) und des
Spitex-Verbands Basel-Stadt (SVBS). 

Pflegen Angehörige ihre Liebsten, können sie sich dafür von der Spitex bezahlen lassen, wenn sie gewisse Anforderungen erfüllen. Themenbild: Anja Zurbrügg Photography / Spitex Schweiz

RegioSpitex Limmattal: eigene Stelle aufgebaut
Seit Sommer 2024 stellt die RegioSpitex Limmattal pflegende Angehörige an. Um deren Begleitung sicherzustellen, wurde eigens eine Stelle aufgebaut. «So können wir diese Aufgabe vom laufenden Tagesgeschäft sinnvoll abgrenzen, und auch in Bezug auf die Kosten- und Leistungsrechnung gibt es dadurch eine klare Trennung», begründet dies Geschäftsleiter Manfred Hertach. 

Besetzt wird die Stelle durch eine diplomierte Pflege­fachfrau HF, ihre Begleitung wiederum wird von einer Pflegeexpertin (APN) wahrgenommen. Die Anstellungsbedingungen der Angehörigen orientieren sich am Administrativvertrag von Spitex Schweiz (siehe Kasten): So muss innerhalb eines Jahres ab Anstellung ein Lehrgang für Pflegehelfende SRK (oder eine gleichwertige Ausbildung) absolviert werden. 

Wenn wir feststellen,
dass im betroffenen Haushalt kein Pflegebedarf vorhanden ist, kommt es zu keiner Anstellung.

Manfred Hertach

Geschäftsleiter RegioSpitex Limmattal

Unterschiede zwischen somatischer und psychiatrischer Spitex
Da sich die Anforderungen zwischen Somatik und Psychiatrie in der Praxis erheblich unterscheiden und es im Umgang mit pflegenden Angehörigen von psychiatrischen Klientinnen und Klienten spezifisches Know-how braucht, hat sich die Spitex-Organisation im Pilotprojekt von 2024 auf die pflegenden Angehörigen im somatischen Bereich konzentriert. Seit Frühling 2025 läuft im Psychiatrie-Bereich ein weiteres (eigenes) Pilotprojekt. Manfred Hertach begründet es so: «Wir wollten zuerst die Somatik in den regulären operativen Betrieb überführen, um das erarbeitete Konzept zu testen, bevor wir uns dem Psychiatrie-Bereich widmen.» Aktuell sind in der Somatik zwölf Personen angestellt. Der Bedarf an Unterstützung aufseiten der Angehörigen sei sehr individuell, führt Manfred Hertach aus: «Wir stehen ihnen als ‹Vollversorgerin› jederzeit und rund um die Uhr mit allen Spitex-Leistungen zur Seite, falls sich die Situation verschlechtert oder die Angehörigen zusätzliche Unterstützung benötigen.» Für ihre Grundpflegeleistungen erhalten pflegende Angehörige einen Stundenlohn von 38 Franken. Da sie vollumfänglich den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen unterstellt sind, dürfen sie lediglich an sechs Wochentagen arbeiten respektive Leistungen abrechnen. Ein Ruhetag pro Woche sei vorgegeben, betont Manfred Hertach.

Nicht gewinnorientiertes Finanzierungsmodell
Die RegioSpitex Limmattal verfolgt bei den pflegenden Angehörigen ein nicht gewinnorientiertes Finanzierungsmodell und verzichtet soweit als möglich auf die Restkosten. Überschüsse werden den Auftragsgemeinden Dietikon, Schlieren und Urdorf Ende Jahr voll­umfänglich zurückerstattet. Da das Thema derzeit ­politisch kontrovers diskutiert werde, schätzen die Gemeinden laut Manfred Hertach den umsichtigen und transparenten Umgang mit den Geldern der öffentlichen Hand. Obwohl die Spitex-Organisation keine aktive Akquise betreibe und das Angebot lediglich auf ihrer Website beschreibe, stelle sie ein zunehmendes Interesse fest. Von zehn Anfragen komme es allerdings im Schnitt lediglich zu drei Anstellungen, sagt Manfred Hertach: «Wenn wir feststellen, dass im betroffenen Haushalt kein Pflege-, sondern lediglich ein Betreuungsbedarf vorhanden ist, kommt es zu keiner Anstellung.» Grund: Die Finanzierung von Betreuungsleistungen sei in der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) respektive im KVG nicht vorgesehen (siehe Kasten). «Die Abgrenzung zwischen Betreuungs- und Grund­­pflegeleistungen ist allerdings sehr dehnbar. Wir schliessen nicht aus, dass die Schweizer Prämien- und Steuerzahlenden heute schon einen nicht vernach­lässigbaren Teil an Betreuungsleistungen mitfinanzieren», hält Manfred Hertach fest.

Baselland und Basel-Stadt: Synergien zwischen starken gemeinnützigen Akteuren nutzen
Die Folgen des eingangs beschriebenen Bundesgerichtsurteils sind in gewissen Teilen der Schweiz ausgeprägt spürbar. So etwa im Kanton Baselland: Hier bekunden zahlreiche Gemeinden grosse Mühe, die stark ansteigenden Kosten für pflegende Angehörige zu finanzieren. Dem setzen die Caritas, der SVBL und der SVBS in den Kantonen Baselland und Basel-Stadt ein innovatives und nicht gewinnorientiertes Modell entgegen. Gestartet ist es am 1. August 2025. Zu den Zielen der Kooperation befragt,
sagt Stefan Schütz, Geschäftsführer SPITEX BASEL und Vorstandsmitglied SVBS: «Wir wollen die Pflegequalität sichern sowie die Angehörigen gut unterstützen und angemessen vergüten. Zudem geht es darum, die Kostenentwicklung für die öffentliche Hand zu bremsen.» Dazu wurde den Restfinanzierern ein Vorschlag für Normkosten für Grundpflegeleistungen durch pflegende Angehörige, die deutlich unter den bisherigen Sätzen liegen, unterbreitet. Mit dem Angebot ergänzen sich die Caritas und die Spitex-Organisationen der beiden Kantonalverbände auch in Situationen, die neben der Grundpflege durch Angehörige weitere pflegerische Massnahmen erfordern.

Wir wollen die Pflegequalität
sichern, die Angehörigen
gut unterstützen und angemessen vergüten und die Kosten-
entwicklung für die öffentliche Hand bremsen.

Stefan Schütz

Geschäftsführer SPITEX BASEL und Vorstandsmitglied SVBS

Mehrwert für alle Involvierten
Angestellt werden die Personen, die ein Familienmitglied pflegen, bei der Caritas. Sie erhalten einen Stundenlohn sowie Sozialversicherungsbeiträge und gehen eine Bildungsverpflichtung ein. Diplomierte Pflegefachpersonen der Caritas begleiten und unterstützen die pflegenden Angehörigen eng bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Für den Fall, dass in einer konkreten Pflegesituation nebst der Caritas auch eine Spitex mit Versorgungsauftrag der beiden Kantone involviert ist, wird die Zusammenarbeit aus der jeweiligen Klientensituation abgeleitet und durch die fallführenden Pflegefachpersonen festgelegt. «Pflegende Angehörige arbeiten in der Regel in Situationen, die keine oder noch keine Aufgaben umfassen, die von ausgebildetem Pflegepersonal zu leisten sind. Das neue gemeinnützige Angebot stärkt sie bei der Wahrnehmung ihrer wichtigen Aufgabe. Und Gemeinde sowie Kanton bekommen Sicherheit darüber, dass der Einsatz bedarfsgerecht und zu fairen Bedingungen erfolgt», beschreibt Stefan Schütz den Mehrwert für alle Involvierten.

Es braucht klare und einheitliche Regelungen
Spitex Schweiz fordert schweizweit punkto Qualität und Finanzierung verbindliche Rahmen­bedingungen für die Anstellung von pflegenden Angehörigen. Schon heute ist klar, dass zulasten der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) lediglich Grundpflege- und keine Betreuungsleistungen erbracht werden dürfen. Bereits seit 2023 haben Spitex Schweiz und Association Spitex privée Suisse ASPS mit den Krankenversicherern verbindliche Bestimmungen zur Anstellung von pflegenden Angehörigen im Rahmen des Administrativvertrags vereinbart. So müssen pflegende Angehörige, welche sich von der Spitex anstellen lassen möchten, zwingend eine Qualifikation vorweisen (einen Kurs in Pflegehilfe oder eine gleichwertige Ausbildung). Im Gegenzug muss die Spitex-Organisation sicherstellen, dass eine Pflegefachperson die pflegenden Angehörigen laufend fachlich begleitet: Mindestens alle zwei Wochen findet ein telefonischer Kontakt statt und mindestens einmal im Monat erfolgt ein Besuch der Pflegefachperson vor Ort.

Anstellung von pflegenden Angehörigen bei der Spitex

  1. www.bag.admin.ch/de/betreuende-und-pflegende-angehoerige ↩︎
  2. Urteil des Bundesgerichts 9C_187/2019 vom 18. April 2019 ↩︎

Weitere Artikel

«Ich bewundere ganz besonders die tägliche wertvolle Arbeit aller Pflegenden»

Der Bündner Nationalratspräsident Martin Candinas, 42, spricht über sein Jahr als «höchster Schweizer», seine Macken und die Bedeutu...

Theater-Tipp

Spitex-Mitarbeiterinnen geraten in Krimi

«Mach Karriere als Mensch» in der Langzeitpflege 

RED. Mit Humor und Wortspielen stellt die neu lancierte Kampagne – getragen von Spitex Schweiz, ARTISET und OdASanté und unterstützt...