Mitarbeitende vor Risiken im Arbeitsalltag schützen

Die Genfer Spitex IMAD will ihre Mitarbeitenden vor potenziellen Gewaltvorfällen und aggressivem Verhalten bei ihren Einsätzen schützen. Zu den Präventions­massnahmen gehört auch das Training in einer «Simulationswohnung» auf dem IMAD-Campus.

IMAD bietet ihren Mitarbeitenden Weiterbildungen rund um den Umgang mit Konflikten und Gewalt sowie Kommunikation an. Bild: Getty Images

FLORA GUÉRY. Als Arbeitgeberin kommt der Genfer Spitex IMAD (institution genevoise de maintien à domicile) in Bezug auf den Schutz der physischen und psychischen Integrität ihrer fast 2400 Mitarbeitenden eine besondere Rolle zu. «Das Wohlergehen am Arbeitsplatz hat für unsere Organisation einen hohen Stellenwert», so ­Betriebsleiter Olivier Perrier-Gros-Claude. Die Mitarbeitenden sind meist allein unterwegs. Sie sind daher sowohl bei ihren Einsätzen im Zuhause der Klientinnen und Klienten als auch auf dem Weg dorthin potenziellen Risiken ausgesetzt. Aus diesem Grund hat IMAD das Massnahmenpaket «Sécurité des collaborateurs isolés» (sinngemäss: Sicherheit für Mitarbeitende, die allein unterwegs sind) konzipiert. Ziel des Pakets ist es, die Mitarbeitenden vor potenziellen Risiken zu schützen und die Arbeitsbedingungen zu optimieren. An den verschiedenen Massnahmen haben Mitarbeitende, Führungskräfte, die Personalabteilung, das Zentrum für Interprofessionalität und der IMAD-Campus (Ausbildungszentrum) mitgewirkt. Nebst dem Aggressionsmanagement gehe es auch darum, Risikofaktoren zu erkennen, potenzielle Aggressionen zu antizipieren und zu versuchen, sie durch die richtige Körperhaltung und das richtige Verhalten zu vermeiden, erklärt Olivier Perrier-Gros-­Claude. «Aufgrund unseres Auftrags als Spitex-Organisation und der besonderen Rahmenbedingungen sind unsere Mitarbeitenden besonders gefährdet, Aggressionen im Arbeitsalltag zu erleben. Dies erfordert von der Führung besondere Schutzmassnahmen und Vorkehrungen. Das Erkennen, die Prävention und Ausbildung sowie auch die Begleitung sind die Grundpfeiler unseres Massnahmenpakets», erläutert Olivier Perrier-Gros-Claude.

Die Meldung von Vorfällen optimieren
Im Jahr 2023 dokumentierte IMAD fast zwanzig Gewaltvorfälle, 2024 waren es bereits deren dreissig. «Die meisten betreffen verbale Gewalt», sagt Caroline Mange-Timis, Arbeitsmedizinerin bei IMAD. Die gesundheitlichen Folgen sind dabei nicht zu vernachlässigen: 2024 führte die Hälfte dieser Vorfälle zu einer Arbeitsunfähigkeit – mit Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation. Caroline Mange-Timis weist jedoch darauf hin, dass diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen seien und keine voreiligen Schlüsse gezogen werden dürften. «Der Anstieg könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass die Vorfälle vollständiger erfasst werden», hält sie fest und ergänzt, dass es wahrscheinlicher sei, dass die Vorfälle gar nicht erst gemeldet werden – vor allem dann nicht, wenn sie keinen unmittelbaren Schaden verursachten. «Die Meldung von Gewaltvorfällen zu optimieren, ist eines der Ziele von ‹Sécurité des collaborateurs isolés›», erläutert Caroline Mange-Timis. «Die verschiedenen Massnahmen ermöglichen es uns, unsere derzeitigen Präventionsmassnahmen zu intensivieren, etwa durch das Zusammentragen von Best-practice-Beispielen. Zudem arbeiten wir darauf hin, Aggressionsvorfälle systematisch mit Angabe der Umstände zu analysieren und die Mitarbeitenden zu schulen. Weiter werden wir künftig eine Klausel in den Pflegevertrag mit den Klientinnen und Klienten aufnehmen, die besagt, dass eine Verletzung der physischen oder psychischen Integrität der Mitarbeitenden das Ende unserer erbrachten Leistungen zur Folge hat. Und schlussendlich streben wir eine verstärkte Zusammenarbeit mit den zuweisenden Ärztinnen und Ärzten an.»

Das Erkennen, die Prävention und Ausbildung sowie auch die Begleitung sind die Grundpfeiler unseres Massnahmenpakets.

OLIVIER PERRIER-GROS-CLAUDE

Betriebsleiter Genfer Spitex IMAD

Ergänztes Schulungsprogramm «SEMP»
Bereits von 2018 bis 2019 hatte IMAD alle Teamleitenden und fast 500 Mitarbeitende im Rahmen des Programms «SEMP: sécurité en milieu professionnel» (sinngemäss: «Sicherheit am Arbeitsplatz») im Umgang mit Aggres­sionen geschult. «Seinerzeit arbeiteten wir mit Praxisbeispielen aus dem Arbeitsalltag. Ziel war es, die Teams praxisnah und sehr konkret auszubilden und ihnen das Wissen mitzugeben, das sie in diesen Situationen brauchen», erklärt Sandrine Fellay Morante, Direktorin des IMAD-Campus. Die SEMP-Schulung konzentrierte sich daher primär auf den Erwerb verbaler und nonverbaler Kommunikationstechniken sowie anderer Methoden, um bei verbaler oder körperlicher Gewalt wirksam reagieren zu können.

Im Rahmen von «Sécurité des collaborateurs isolés» wird SEMP nun neu aufgelegt und durch weitere Schulungsmodule ergänzt. So kommt beispielsweise eine «Simulationswohnung», ein neuer Schulungsraum auf dem IMAD-Campus, zum Einsatz. Darin sollen Ausbildungssequenzen durchgeführt werden, die bezwecken, die Spitex-Mitarbeitenden gleichzeitig auszubilden, sie bestmöglich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten und in der Nachbearbeitung eines Vorfalls zu unterstützen. «In Anlehnung an eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung soll diese Übungsanlage die Mitarbeitenden dazu befähigen, den Vorfall zu analysieren, sich Gedanken dazu zu machen, wie gehandelt wurde und was, je nachdem, hätte optimiert werden können. Dies ermögliche es den Mitarbeitenden, den Fall in einem geschützten Rahmen abzuschliessen und, was noch wichtiger ist, gemeinsam aus der Erfahrung zu lernen», betont die Direktorin des IMAD-Campus. Zusätzlich zu den Massnahmen im Rahmen von «Sécurité des collaborateurs isolés» bietet IMAD ihren Mitarbeitenden und Führungskräften ein breites Angebot an Weiterbildungen an, die Themen wie psychische Gesundheit, Prävention und Umgang mit aggressivem Verhalten, Umgang mit Konflikten und Gewalt sowie Kommunikation und Umgang mit Emotionen abdecken. «Wir setzen dazu Instrumente wie Tutorials, Videos und Micro-Learning ein, die ein vielseitiges Lernen ermöglichen», so Sandrine Fellay Morante.

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