Mit emotionaler Intelligenz zu mehr Sicherheit

Claudia Räber und Giuseppe Puglisi verfügen über jahrzehntelange Polizeierfahrung. Im Rahmen eines Sicherheitstrainings vermitteln sie den Mitarbeitenden der Spitex Birseck (BL), wie sich im beruflichen Alltag kritische Situationen erkennen, einschätzen und entschärfen lassen. 

Die Teilnehmenden lernen, wie sie präventiv dafür sorgen können, dass es gar nicht erst zu körperlichen Interventionen kommt. Bilder: Johanners Kossmann

MARTINA KLEINSORG. Das Budo Sportcenter Liestal von Giuseppe Puglisi ist im zweiten Stock eines Industriegebäudes untergebracht, zahlreiche Urkunden und Pokale weisen die Erfolge der Kampfsporttreibenden aus. An der gleichen Adresse führt der 62-Jährige auch die Self Protect Academy, die sich seit 2004 der Ausbildung von Unternehmen im Bereich Eigenschutz und Gewaltprävention widmet. Dafür bringt Giuseppe Puglisi zwei Jahrzehnte Erfahrung aus Polizei- und Militäreinsätzen in Sonder- und Spezialeinheiten sowie als Polizeiausbilder mit. 

Für Mitarbeitende der Spitex Birseck (BL) steht an diesem Dezembernachmittag der zweite Teil des Sicherheitstrainings «Emotionale Intelligenz (EQ) und Eigenschutz» auf dem Programm, den Giuseppe Puglisi gemeinsam mit Claudia Räber leitet. Nach 24 Jahren als «Vollblutpolizistin» an der Front sowie in der Aus- und Weiterbildung ist sie seit 2023 als selbstständige Unternehmerin unter anderem als EQ-Expertin für Blaulicht-Organisationen tätig. 

Die Mitarbeitenden sind Gast im Daheim der Klientinnen und
Klienten. Manchmal kann, was heute funktioniert, morgen
Konflikte auslösen.

GIUSEPPE PUGLISI

Kursleiter und ehemaliger Polizist

Prävention steht im Vordergrund
«Es ist kein Selbstverteidigungskurs», betont Giuseppe Puglisi. «Der Fokus liegt in der Prävention, sodass es gar nicht erst zu körperlichen Interventionen kommt.» Spitex-Mitarbeitende, grösstenteils Frauen, seien meist alleine unterwegs, oft auch nachts oder frühmorgens. «Sie sind Gast im Daheim der Klientinnen und Klienten, in der Regel ältere Menschen, nicht selten mit psychiatrischer Diagnose. Das ist anspruchsvoll, und manchmal kann, was heute funktioniert, morgen Konflikte auslösen», weiss Giuseppe Puglisi. Für die Mitarbeitenden sei Sicherheit essenziell, um sich auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. Vieles mache das Team der Spitex Birseck bereits unbewusst richtig, sagt Räber. «Sicherheit bedeutet jedoch, bewusst richtig zu handeln.»

Rund 70 Mitarbeitende aus Pflege, Hauswirtschaft, Mahlzeitendienst und Administration nehmen in Gruppen von zehn bis zwölf Personen an je zwei Halbtages-Trainings teil. Der erste Teil dient der Einführung in ­Themen wie Verhaltensschulung, deeskalierende Kommunikation, das Bewusstwerden der eigenen Wirkung und Kennenlernen der emotionalen Kompetenzen. Orientierung bietet die «Self Protect Guideline»: Die Buchstaben des Wortes PROTECT (schützen) stehen für sieben Schritte zu mehr Sicherheit – beginnend mit P wie Prävention: Das Erkennen, Einschätzen und Entschärfen von Konflikt- oder Gefahrensituationen sind Bestandteil des Eigenschutz-Managements. 

Was theoretisch in einer knappen Stunde vermittelt wird, sollen die Spitex-Mitarbeitenden in verschiedenen Szenarien in Form von Rollenspielen praktisch umsetzen. «Die Beispiele dafür haben wir vorab bei den Teilnehmenden abgeholt, so etwa das Thema verbale sexuelle Belästigung», erklärt Giuseppe Puglisi. Die Nicht-Mitspielenden nehmen dabei die Funktion der Aussensicht ein: Sie achten jeweils auf einen Aspekt des PROTECT-Leitfadens und teilen anschliessend ihre Beobachtungen und Einschätzungen mit.

Vieles machen die Mitarbeitenden der Spitex Birseck bereits heute unbewusst richtig. Sicherheit bedeutet jedoch, bewusst richtig zu handeln.

CLAUDIA RÄBER

Kursleiterin und ehemalige Polizistin

Austausch im Team ist elementar 
Der zweite Teil des Trainings rund vier Wochen später dient der Vertiefung. «Der heutige Tag lebt vom Austausch», betont Claudia Räber. In kurzen Workshops werden in Dreiergruppen ausgewählte Inhalte des Leitfadens repetiert, auf Flipcharts eigene Erlebnisse und Erkenntnisse notiert und in der Runde besprochen. So auch zum Thema Emotionale Intelligenz – welche die Fähigkeit beschreibt, eigene Emotionen und jene des Gegenübers bewusst wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen, damit die Situation deeskalierend gesteuert und kontrolliert werden kann. «Dabei ist es entscheidend, seine eigenen Trigger zu erkennen, sie zu entschärfen und mit Empathie handeln zu können», erklärt die Instruktorin. Auslöser können beispielsweise die Ungeduld eines Klienten oder der eigene Zeitdruck sein. «Durchatmen und ruhig eines nach dem anderen erledigen», einigt man sich im Forum auf eine geeignete Taktik. 

Im Rollenspiel zeigt sich wiederum, ob das vorgängig Gelernte abgerufen werden kann: Ein Szenario sieht vor, dass sich die Spitex-Mitarbeiterin beim Besuch eines älteren Ehepaares verspätet. Dies erregt den Unmut des anwesenden, ihr bislang unbekannten Sohnes (gespielt von Giuseppe Puglisi), der eine Diskussion vom Zaune bricht, währenddessen der Fernseher auf voller Lautstärke läuft. An die eigentliche Aufgabe, den Blutzucker zu messen, ist nicht zu denken, da auch die Klientin eine Abwehrhaltung einnimmt. Die Spitex-Mitarbeitende sei ruhig geblieben, wirkte jedoch unsicher, lautet ein Fazit der Aussensicht. «Ich hatte Probleme, mich überhaupt bemerkbar zu machen», sagt diese selber dazu. Statt sich dazuzusetzen, wäre ein taktischer Ansatz gewesen, sich an das Tischende zu stellen, stellt Giuseppe Puglisi fest. So hätte sie sich Aufmerksamkeit und Überblick verschaffen sowie die nötige Distanz wahren können.

Pflegefachfrau HF Anita Gerber hat das Training selbst nach vielen Jahren im Beruf etliche Aha-Momente beschert: «Für das Team ist vor allem der Austausch untereinander ein sehr wichtiger Aspekt: Zu wissen, dass man gemeinsam Lösungen finden kann, statt negative Erfahrungen einfach runterzuschlucken.» Auch wenn Mathias Wassmer als Leiter Mahlzeitendienst keinen intensiven Kontakt zu Klientinnen und Klienten habe, empfindet er die konkreten Verhaltensanleitungen als hilfreich. «Wertvolle Ratschläge, die sich im Alltag bewusst umsetzen lassen», bringt er es auf den Punkt.

Ich habe dank dem Kurs wertvolle und hilfreiche Ratschläge und Verhal­tensanleitungen bekommen, die ich im Alltag ­bewusst umsetzen kann.

MATHIAS WASSMER

Leiter Mahlzeitendienst und Kursteilnehmer

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