Anlaufstelle und Sprachrohr für die LGBTI-Community
In ihrer neuen Rolle als LGBTI-Verantwortliche bei Spitex Zürich sieht sich HR-Coach Sandrine Senn als «Verbündete der Community». Ziel ist es, Diversität und Integration zu fördern – zunächst möchte sie jedoch das interne Netzwerk ausbauen.
MARTINA KLEINSORG. «Cool, die Spitex ist auch an der Pride», so lauteten die überraschten, aber durchwegs positiven Kommentare aus dem Publikum und den Reihen der Mitmarschierenden. Mit rund 20 Mitarbeitenden schloss sich Spitex Zürich dem Demonstrationszug am 15. Juni an, ausgestattet mit Handfächern, Konfetti und T-Shirt mit Spitex-Logo in Regenbogenfarben, um ihr Engagement für die LGBTI-Community zu feiern und ein Zeichen zu setzen. Organisiert hatte die Teilnahme Sandrine Senn, die seit April 2024 LGBTI 1-Verantwortliche bei Spitex Zürich ist.
«Ich sehe mich als Verbündete der LGBTI-Community», sagt die 38-Jährige zu ihrer neuen Rolle. «Mein Ziel ist es, Anlaufstelle und Sprachrohr für die Community zu sein. Ich möchte die Menschen zusammenbringen.» Die Rolle sei wichtig, um Diversität und Integration zu fördern, aber auch, um herauszufinden, welche Prozesse innerhalb der Organisation verbessert werden könnten, um die Bedürfnisse der Community besser zu berücksichtigen.
Mit den Herausforderungen vertraut
Als erste Spitex-Organisation der Schweiz erhielt Spitex Zürich Sihl im Juni 2022 das LGBTI-Label für ihren Einsatz für Inklusion und Gleichstellung. Damals wurde ein LGBTI-Verantwortlicher aus der Community benannt – nach dessen Ausscheiden wurde die Rolle aber zunächst nicht neu besetzt. In Hinblick auf das Re-Labeling 2025 für Spitex Zürich, die nach dem Zusammenschluss der Spitex Zürich Sihl mit der Spitex Zürich Limmat rund 1500 Mitarbeitende umfasst, habe die damalige HR-Leiterin sie dafür angefragt, erzählt Sandrine Senn. «Viele aus meinem Freundeskreises gehören der Community an, ich bin also mit deren Herausforderungen vertraut. Und es entspricht wohl auch meinen tahitianischen Wurzeln, denn Diversität hat dort Tradition und gehört zum Alltag», erklärt sie ihre Zusage.
Als Tochter eines Schweizers und einer Tahitianerin wurde Sandrine Senn 1985 auf der südpazifischen Insel geboren, die Eltern arbeiteten damals in einem Hotel auf Bora Bora. Aufgewachsen in Degersheim (SG), wo die Familie ein Hotel in vierter Generation führt, besuchte sie nach der Matura die Hotelfachschule in Zürich. Sie bildete sich im HR-Bereich weiter und arbeitete einige Jahre als Bereichsverantwortliche HR für ein Gastrounternehmen, bevor sie das Hotel in Degersheim übernahm – und es durch die Pandemie führte. Nach dieser aufreibenden Zeit nutzte Sandrine Senn die Chance, sich neu zu sortieren. Sie sicherte ihrer nun betriebsleitenden Schwester administrative Unterstützung zu, während sie sich selbst ein Jahr Auszeit in Barcelona nahm, das sich als Hot Spot der LGBTI-Szene entpuppte. «Ich war vor allem mit den queeren Freunden eines Schweizer Kollegen unterwegs und lernte die Stadt von ihrer bunten Seite kennen.»
Zurück in der Schweiz, reizte es Sandrine Senn, beruflich Neues zu wagen: Die Gesundheitsbranche schien sinnstiftend und die Spitex war ihr durch das freiwillige Engagement von Onkel und Grossmutter vertraut. Im Juni 2023 trat sie ihre Stelle als HR-Coach bei Spitex Zürich an und ist seither im Trio mit einem Team- und einem Fach-Coach für alle Teams von vier Standorten im Norden der Stadt zuständig.
Meine Rolle ist wichtig, um Diversität und Integration zu fördern und herauszufinden, welche Prozesse innerhalb der Organisation verbessert werden können.
SANDRINE SENN
LGBTI-Verantwortliche von Spitex Zürich
Um individuelle Lösungen bemüht
Als Beispiel für verbesserte interne Prozesse für die LGBTI-Community nennt Sandrine Senn neutral formulierte Stellenanzeigen. So werde hinter die Berufsbezeichnung statt vormals (m/w/d) mit «d» für «divers» nun stets ein (a) gesetzt, welches bedeutet: «(a)lle sind angesprochen. Geschlecht, Herkunft, Alter? Uns interessieren deine Qualifikation und Begeisterung für die Arbeit.» Weitere Themen seien der Verzicht auf die Anrede «Herr/Frau» in Arbeitszeugnissen oder die Projektidee, die Geschlechtsangabe im Personal-Informationssystem um «divers» oder «nonbinär» zu ergänzen. Die Geschlechtsangleichung eines Mitarbeiters habe Spitex Zürich bereits begleiten dürfen und sei ihm mit Akzeptanz und Unterstützung begegnet (vgl. Spitex Magazin 5/2022). «Wir sind um individuelle Lösungen bemüht und ziehen statt einer 08/15-Leitlinie die Konsultation spezialisierter Personen vor», sagt sie.
Bei Spitex Zürich könne man so sein, wie man ist: «Vielfalt wird zelebriert», sagt Sandrine Senn. Diskriminierung sei hier kein Problem, jedenfalls kein ihr bekanntes. «Wir arbeiten mit der betrieblichen Sozialberatung Proitera zusammen, an die sich Mitarbeitende auch direkt wenden können.»
Vereinzelt habe es kritische Stimmen gegeben, dass niemand aus der Community die Rolle übernommen habe, räumt Sandrine Senn ein. «Es braucht Zeit, damit mich die Leute kennenlernen und als Verbündete akzeptieren können», zeigt sie sich zuversichtlich. So liege die Herausforderung aktuell eher darin, das interne Netzwerk zu knüpfen, als konkrete Probleme zu bewältigen: «Erst einmal müssen wir wissen, welches die Bedürfnisse der LGBTI-Community sind.». Dafür sei sie unter der E-Mail-Adresse lgbti@spitex-zuerich.ch erreichbar.
Engagierte Mitstreitende gefunden
Als Plattform für alle Interessierten soll sich der «LGBTI-Höck» etablieren. An der Premiere im Mai habe sie in Sven Müller einen Mitstreiter gefunden: Der Mr. Gay Switzerland von 2004/2005 ist im Administration- und
Kundenservice (AKS) von Spitex Zürich tätig. Gemeinsam starteten die beiden den Aufruf zur Pride. Sandrine Senn hofft nun auf regen Zulauf am nächsten Höck im September, zu dem man sich statt in den Spitex-Räumen in einem Szenelokal treffen will – Spitex Zürich stelle dafür ein Budget zur Verfügung. Im Oktober sei zudem ein «Coming out Day» geplant. Dieser wird am 11. Oktober international gefeiert und soll bei Spitex Zürich zum Anlass genommen werden, sich über das Thema auszutauschen.
«Indem wir eine Verantwortliche für das Thema LGBTI bezeichnet haben, unterstreichen wir als Spitex Zürich unsere gelebte Kultur der Offenheit, Diversität und Wertschätzung», sagt Markus Reck, CEO von Spitex Zürich. «Unser Motto ‹Vielfalt schafft Kompetenz› zeigt auf, dass unsere Mitarbeitenden in ihrer Verschiedenheit willkommen sind und ihr Potenzial entfalten können. Damit werden wir als Arbeitgeberin attraktiv und als Spitex-Unternehmen erfolgreich.»
Das Vorstellungsvideo von Sandrine Senn als LGBTI-Verantwortliche ist abrufbar unter https://www.spitex-zuerich.ch/aktuelles/pride-month-bei-spitex-zuerich
- Spitex Zürich spricht von «LGBTI», passend zum LGBTI-Label
(www.lgbti-label.ch). Die Abkürzung steht für lesbisch, schwul (englisch: «gay»), bisexuell, trans und intergeschlechtlich. Sie steht für Personen, die sich in ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen von der Bevölkerungsmehrheit unterscheiden, In anderen Kontexten werden auch Buchstaben weggelassen oder angefügt. ↩︎