Die Spitex und ParaHelp spannen noch enger zusammen

Das Beispiel von Paraplegiker Hans Wittwer aus Boll BE zeigt, wie die Spitex mit der ParaHelp AG zusammenarbeitet. Letztere ist ab 1. Januar 2023 Mitglied von Spitex Schweiz. Mirjana Bosnjakovic, Geschäftsführerin von ParaHelp, spricht diesbezüglich von einem Meilenstein, von dem alle Beteiligten profitieren.

BEATRIX BÄCHTOLD. ParaHelp und Spitex Schweiz sind schon lange ein Team: Seit fast 20 Jahren arbeiten die beiden Organisationen im operativen Basisgeschäft zusammen. Das bedeutet: Wann immer in der Schweiz eine Klientin oder ein Klient mit Querschnittlähmung oder ähnlichen Erkrankungen von der Spitex zu Hause betreut, begleitet und gepflegt wird, spannt man zusammen. Das funktioniert unter anderem auch deshalb so gut, weil die Spitex und ParaHelp über eine ähnliche «DNA» verfügen. «Wie die Spitex kümmern auch wir uns kantonsübergreifend um das Wohl der Klientinnen und Klienten sowie ihrer Betreuenden», erklärt Mirjana Bosnjakovic. Die Geschäftsführerin von ParaHelp ist ausgebildete Pflegefachfrau HF und leitet die Gruppengesellschaft der Schweizer Paraplegiker- Stiftung seit knapp zwei Jahren. «Von Anfang an war es eines meiner ersten und dringendsten Ziele, die Zusammenarbeit mit der Spitex, unserer zentralen Partnerin, zu stärken», sagt sie. «Die neue Mitgliedschaft bei Spitex Schweiz ab 1. Januar 2023 bringt viele Chancen mit sich. Sie ist ein Meilenstein, der den Klientinnen und Klienten zugutekommen wird, da wir unsere Arbeitsabläufe und die Zusammenarbeit noch besser aufeinander abstimmen können. Als Spitex-nahe Organisation komplettieren wir die Dienstleistung am Klienten und an der Klientin.»

Schicksalhaftes Ereignis
Es ist ein sonniger Herbsttag. Der frisch pensionierte Hans Wittwer setzt sich auf sein Harley-Davidson-Motorrad und braust los. Nach kurzer Fahrt verspürt «Hausi», wie ihn seine Töffkollegen nennen, einen leichten Schmerz im Rücken. Nicht stark, aber irgendwie aussergewöhnlich. Er fährt auf einen Parkplatz, und beim Absteigen von seinem Motorrad wird ihm übel, seine Beine spüren den Boden nicht. Hans Wittwer bricht zusammen, seine Harley kippt um. Der Velofahrer, der die Ambulanz ruft, denkt zuerst an einen Motorradunfall. Aber die Fachleute im Krankenwagen sind vorsichtig mit voreiligen Schlüssen. Sie bringen Hans Wittwer unverzüglich ins Berner Inselspital zur genaueren Abklärung und Untersuchung. «In meinem Fall trafen alle Personen zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung. Ich bekam lückenlos und bis heute die optimale Versorgung. Das ist mein grosses Glück», sagt Hans Wittwer. Später erfährt er, dass sein Unfall gar nichts mit dem Motorradfahren zu tun hatte. Es hätte ihn genauso gut zu Hause beim Abendessen «erwischen» können, denn die Gefühllosigkeit in den Beinen hatte ihren Ursprung in einem Riss der Aorta. Aus diesem strömte Blut aus, das auf die Nervenbahnen drückte und zur Querschnittlähmung führte. Nach 14 Tagen Intensivpflege und vier Tagen auf der Station wurde Hans Wittwer ins Schweizer Paraplegiker- Zentrum (SPZ) nach Nottwil verlegt. «Ich sage es ehrlich: Das war kein Feriencamp. Aber ich packte die einmalige Chance und kämpfte mich ein Jahr lang durch unzählige Therapieeinheiten zurück ins Leben», berichtet er. Aktuell lebt Hans Wittwer mit seiner Frau in einer Neubauwohnung in Boll BE, welche seinen Bedürfnissen angepasst ist. Wenn er wieder einmal Fahrtwind im Gesicht spüren möchte, fährt er mit dem Lift in die Tiefgarage, kuppelt das akkubetriebene Zuggerät Swiss-Trac an seinen Handrollstuhl und los geht die Fahrt. «Es ist zwar nicht mehr wie mit meiner Harley, aber immerhin», sagt er. Im Wohnzimmer liegen Hanteln, und an der Klimmzugstange im Türrahmen trainiert der 76-Jährige Bauch-, Arm- und Oberkörpermuskulatur. Rückblickend ist Hans Wittwer froh, dass er nie etwas auf später verschoben hat. Und wenn er von den vielen Reisen mit seiner Frau erzählt, schmunzelt er. Dann spürt man seine positive Einstellung und seine Kraft. Mit dem Schicksal zu hadern, ist nicht sein Ding. Vielmehr rühmt er die Leistung des Pflegepersonals und auch die Zusammenarbeit der Spitex und ParaHelp. «Sie begleiteten mich durch eine schwere Zeit. Bis heute stehen sie mir und meiner Frau mit Rat und Tat zur Seite», erzählt er.

Die neue Mitgliedschaft
von ParaHelp bei Spitex
Schweiz ist ein Meilenstein,
der den Klientinnen und
Klienten zugutekommen
wird.

Mirjana Bosnjakovic

Geschäftsführerin ParaHelp

Dafür ist ParaHelp verantwortlich
ParaHelp zählt derzeit 35 Mitarbeitende und ist eine von mehreren Gruppengesellschaften der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS). Mit ihrem Leistungsnetz setzt sich die SPS für die ganzheitliche Rehabilitation von Menschen mit Querschnittlähmung ein. Das Engagement beginnt an der Unfallstelle oder bei krankheitsbedingter Diagnose und begleitet die Betroffenen ihr Leben lang. Mit 1,9 Millionen Mitgliedern gehört die SPS zu den grössten gemeinnützigen Solidarwerken der Schweiz. Das Angebot von Para- Help wird durch die Abrechnung mit den Versicherern sowie durch die Direkthilfe der SPS finanziert. ParaHelp berät, schult und unterstützt schweizweit Menschen jeden Alters mit unfall- oder krankheitsbedingter Rückenmarkverletzung, ALS, MS, Poliomyelitis und Spina bifida im nachstationären Setting. Pflegefachleute sowie Betreuende aus dem persönlichen Umfeld können auf die paraplegiologische Kompetenz von ParaHelp sowie auf die Vermittlung von Fachwissen und auf Schulungen zur Pflege von querschnittgelähmten Menschen zählen. Zusammen mit den Angehörigen und den Pflegefachpersonen werden Lösungen erarbeitet für eine Integration in die Gesellschaft und ein möglichst selbstbestimmtes Leben.

Lückenloser Übergang ins häusliche Umfeld
Beim Austrittsmanagement arbeiten die Gruppengesellschaften der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) eng zusammen, damit die Transition von der Rehabilitation ins nachstationäre Setting reibungslos gelingt. Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum organisiert bei Bedarf die Spitex, und nach der Primär-Rehabilitation besucht ParaHelp die Betroffenen, um auf das Angebot der strukturierten Nachsorge hinzuweisen. Bei den darauffolgenden Hausbesuchen werden die nächsten Schritte besprochen. ParaHelp wird hinzugezogen, um zusammen mit den Angehörigen und Pflegefachpersonen im häuslichen Umfeld gemeinsam Lösungen für eine optimale Betreuung und Pflege zu erarbeiten. Im Fall von Hans Wittwer bekam die Spitex oberes Worblental schon vor dessen Austritt die Informationen zum neuen Klienten. Vom Stützpunkt Worb aus pflegen und betreuen rund 75 Mitarbeitende 350 Menschen der Gemeinden Stettlen, Worb und Vechigen. Querschnittgelähmte Klientinnen oder Klienten sind relativ selten; im Moment sind es drei. Ein gutes Grundwissen über Querschnittlähmungen ist dank regelmässiger Schulungen vorhanden. «Aber wir kennen uns natürlich in den Details bei Weitem nicht so gut aus wie die Pflegefachpersonen, welche darauf spezialisiert sind und täglich für Menschen mit Querschnittlähmung im Einsatz stehen», sagt Susanna Schweizer, Pflegefachfrau HF, Wundexpertin und Leiterin Pflege bei der Spitex oberes Worblental. Genau deshalb sei man sehr dankbar für die Zusammenarbeit mit den Expertinnen und Experten von ParaHelp. Die Pflegesituationen bei der nachklinischen Betreuung sind sehr individuell. ParaHelp schult die pflegenden Teams vor Ort, also im häuslichen Umfeld, auf die spezifischen individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Klientinnen und Klienten. «Durch den Zusammenschluss mit Spitex Schweiz wird das Angebot von ParaHelp noch besser bekannt. Gleichzeitig kann sich nun das Fachwissen von ParaHelp noch breiter im Spitex-Wissen verankern», sagt Mirjana Bosnjakovic. Der Zusammenschluss könnte auch der Realisierung eines Herzenswunsches von Susanna Schweizer Schub verleihen. «Der Zusammenschluss zweier so grosser Player im Gesundheitswesen generiert ein grösseres Verhandlungsgewicht gegenüber den Krankenkassen», erklärt die Leiterin Pflege. «Schliesslich vermeidet eine querschnittfachgerechte Versorgung Komplikationen und trägt zur Reduktion der Gesundheitskosten bei.»

Wenn man sich bei der Beurteilung der Situation und der Massnahmen auf erfahrene Fachleute verlassen kann, ist dies äusserst hilfreich.

Susanna Schweizer

Leiterin Pflege Spitex oberes Worblental

Unterstützung bringt Sicherheit
Zweimal täglich kommt die Spitex zu Hans Wittwer. Morgens hilft sie ihm bei der Körperpflege und beim Aufstehen, abends bereitet sie ihn auf die Nachtruhe vor. Bei der Pflege von Menschen mit Querschnittlähmung sind es oft spezifische Details, die für mehr Lebensqualität sorgen. Und für die Spitex tauchen hier hin und wieder Fragen auf. «Wenn man sich bei der Beurteilung der Situation und der Massnahmen auf erfahrene Fachpersonen verlassen kann, ist dies äusserst hilfreich», sagt Susanna Schweizer. In der Praxis ist zwei- bis dreimal pro Jahr gleichzeitig mit der Spitex auch die fallführende Beraterin von ParaHelp zu Besuch bei Hans Wittwer. Zur Sprache kommen dann oft Probleme mit der Verdauung oder der Ernährung. Bei einem der letzten Besuche stand eine Druckstelle an Hans Wittwers Oberschenkel im Fokus. Ein Dekubitus ist bei einer Querschnittlähmung relativ häufig. Gestörte Thermoregulation, Reibung oder auch Inkontinenz können solche Hautschäden verursachen. Gemeinsam kontrollierten die Pflegefachfrau der Spitex und die ParaHelp-Beraterin die wunde Stelle. Im Gespräch mit dem Klienten ermittelte man dann im Ausschlussverfahren die Ursache. Äusserst wichtig ist, dass die Spitex und ParaHelp Lösungen immer gemeinsam mit dem Klienten oder der Klientin finden – mit dem Grundsatz, dass die Betroffenen ihren Alltag selbst gestalten und dementsprechend auch die Konsequenzen der Entscheidungen tragen müssen. «Für mich bringt die Unterstützung durch zwei Fachpersonen eine grosse Sicherheit», sagt Hans Wittwer. Und vor allem gefällt mir, dass ich zwar den Rat höre, aber schlussendlich selbst entscheiden kann. Ich freue mich immer auf den gemeinsamen Besuch von der Spitex und ParaHelp.»

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