4 min 23. September 2025

Ein Grundlagenpapier schärft das Profil der ambulanten psychiatrischen Pflege

Ambulante psychiatrische Pflege (APP) kann dazu beitragen, dass die Alltagsbewältigung gefördert, eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglicht und Spitalaufenthalte vermieden werden. Mit einem Grundlagenpapier will Spitex Schweiz einen verbindlichen fachlichen Rahmen für APP schaffen. Valentin Terreaux von AVASAD (Waadtländer Spitex), erläutert, weshalb das Dokument richtungsweisend ist.

FLORA GUÉRY. Der erhöhte Bedarf an psychiatrischen Versorgungsleistungen in den letzten Jahren hat viele Spitex-Organisationen dazu veranlasst, spezialisierte Teams für die ambulante psychiatrische Pflege (APP) aufzubauen. 2024 hat Spitex Schweiz die Expertengruppe «Psychiatriepflege» ins Leben gerufen, deren Mitglieder über langjährige Erfahrung und vertiefte Aus- und Weiterbildung im APP-Bereich verfügen. Die Expertengruppe hat ein Grundlagenpapier erarbeitet, um ein gemeinsames Verständnis, eine einheitliche Sprache sowie einen verbindlichen fachlichen Rahmen für APP zu schaffen. Valentin Terreaux war Mitglied dieser Expertengruppe. Für den Experten für psychische Gesundheit bei AVASAD (Waadtländer Spitex) ist das Papier ein wichtiger Meilenstein. Im Interview erklärt er, weshalb.

Laut dem Grundlagenpapier ist es wichtig, die ambulante psychiatrische Versorgung als eigenständige Leistung anzuerkennen. Foto: PDGR/Nicola Pitaro

Spitex Magazin: Weshalb gewinnt die ambulante psychiatrische Pflege (APP) im Gesundheitswesen an Bedeutung?
Valentin Terreaux: Psychische Belastungen und Erkrankungen betreffen einen wachsenden Teil der Bevölkerung und stellen eine grosse Herausforderung für das Gesundheitswesen dar. Viele Betroffene erhalten jedoch nicht früh genug Hilfe, was zu einer Verschlimmerung der Symptome, vermeidbaren Spitalaufenthalten und hohen Kosten für das Gesundheitssystem führt. APP ermöglicht eine frühzeitige, wohnortnahe und auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnittene Betreuung in ihrem gewohnten Umfeld. Sie fördert einen ganzheitlichen und entstigmatisierenden Ansatz und trägt dazu bei, Spitalaufenthalte zu reduzieren sowie den Betroffenen die Selbstbestimmung im Alltag zurückzugeben. Im Sinne der Nachhaltigkeit des Gesundheitssystems stellt APP daher eine menschliche und wirksame Antwort auf die wachsenden Bedürfnisse der Bevölkerung dar.

Warum braucht es ein neues Grundlagendokument zu APP?
Bislang gab es dafür keinen verbindlichen fachlichen Rahmen. Zudem ist APP in der Schweiz noch nicht ausreichend anerkannt. Mit dem Grundlagendokument wird dieser Rahmen nun geschaffen: Es beschreibt die Aufgaben, Werte und den Leistungsumfang von APP und bietet eine gemeinsame Grundlage für Spitex-Organisationen, Behörden, Versicherer sowie Ärztinnen und Ärzte. Das Dokument würdigt die zentrale Rolle und Wirksamkeit von APP und zeigt gleichzeitig auf, wie eine stärkere Integration in bestehende Versorgungssysteme gelingen kann. Es stellt somit einen wichtigen Meilenstein für die Legitimierung und das Sichtbarmachen dieses Angebots dar – dies im Einklang mit den nationalen Strategien im Bereich der öffentlichen Gesundheit und internationalen Empfehlungen.

Das Grundlagenpapier beschreibt die Aufgaben, Werte und den Leistungsumfang von APP und bietet eine gemeinsame Grundlage für Spitex-Organisationen, Behörden, Versicherer sowie Ärztinnen und Ärzte.

Valentin Terreaux

Berater für Pflege und Betreuung zu Hause mit Spezialisierung auf psychische Gesundheit, AVASAD

Welche Empfehlungen sind für die Spitex besonders wichtig?
Das Dokument ruft in Erinnerung, weshalb APP als eigenständige und der somatischen Versorgung gleichgestellte Leistung anzuerkennen ist. Für die Spitex-Organisationen bedeutet dies, in die Fachausbildung der Mitarbeitenden zu investieren, damit die Teams in der Lage sind, Menschen mit psychischen Erkrankungen zu begleiten. Das Dokument fordert zudem eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit bei der Betreuung der Klientinnen und Klienten: Es gilt, Hand in Hand mit den verschiedenen Berufsgruppen innerhalb der Organisationen, aber auch mit Ärztinnen und Ärzten, Psychologinnen und Psychologen, Verbänden und Angehörigen zusammenzuarbeiten, um eine kohärente und qualitativ hochwertige Versorgung anzubieten. Es geht weiter darum, Zugangshürden zu beseitigen und sicherzustellen, dass alle Menschen, die APP benötigen, davon profitieren können – auch in ländlichen Regionen. Insofern ist dieses Dokument richtungsweisend für die Spitex-Organisationen, wenn es darum geht, ihre Kompetenzen zu festigen, sich als unverzichtbare Partner im Bereich der psychischen Gesundheit zu behaupten und APP für alle zugänglich zu machen.

Wie kann dieses Dokument dazu beitragen, dass APP bei Behörden und Versicherern an Bedeutung gewinnt?
Ziel ist es, ein nachvollziehbares und evidenzbasiertes Bild davon zu vermitteln, was APP ist: ein strukturiertes, wirksames und auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnittenes Angebot. Das Dokument zeigt auf, wie APP dazu beitragen kann, die Lebensqualität der Betroffenen zu fördern, Spitalaufenthalte zu vermeiden und Kosten zu senken. Wir wollen den zuweisenden Stellen, Behörden und Versicherern den Mehrwert von APP darlegen. So können wir unsere Arbeit legitimieren, Vorurteile abbauen und die nachhaltige Finanzierung und stärkere Integration von APP in das Gesundheitssystem fördern.

Das Grundlagenpapier von Spitex Schweiz zur ambulanten psychiatrischen Versorgung findet sich hier:


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