Sicherstellen, dass wirklich die Spitex vor der Tür steht

Trickbetrügerinnen und -betrüger geben sich manchmal auch als Spitex-Mitarbeitende aus, um an Wertsachen oder Geld zu gelangen. Die Organisationen können durch gezielte Aufklärung helfen, solchen Vorfällen vorzubeugen.

Klingeln angebliche Mitarbeitende der Spitex an der Tür, die der Klient oder die Klientin nicht kennt und die nicht angekündigt wurden, ist Vorsicht geboten. Themenbild: iStock

SUSANNE WENGER. Ein Fall aus dem Kanton Aargau zeigt, wie dreist die Täterschaft vorgeht: Als eine Mitarbeiterin der Spitex Suhrental Plus routinemässig einen Klienten besuchte, erfuhr sie, dass bereits jemand vor ihr da gewesen sei. Sofort schöpfte sie Verdacht und erkannte, dass der Klient kurz zuvor Opfer eines Betrugsversuchs geworden war. «Eine fremde Person hat bei ihm geklingelt und sich als Vertretung unserer Spitex-Organisation ausgegeben», berichtet Geschäftsleiterin Simone Rosenkranz. Die Betrügerin betrat die Wohnung und durchsuchte Schränke, offenbar auf der Suche nach Bargeld oder Wertsachen.

Als sie nichts fand, verschwand sie mit der Ausrede, etwas aus dem Auto holen zu müssen. Wenige Minuten später traf die echte Spitex-Mitarbeiterin ein und alarmierte die Polizei. Der Vorfall liegt ein Jahr zurück. Geschäftsleiterin Simone Rosenkranz erinnert sich an ihre gemischten Gefühle: «Ich war erleichtert, dass dem Klienten nichts passiert ist und nichts gestohlen wurde, und ich war stolz auf die vorbildliche Reaktion meiner Mitarbeiterin.» Gleichzeitig wurde ihr bewusst, wie gezielt Trickbetrügerinnen und -betrüger pflegebedürftige Menschen ins Visier nehmen und deren Vertrauensverhältnis mit der Spitex ausnutzen.

Wichtig: Identität prüfen
«Das ist schamlos und traurig», sagt Simone Rosenkranz. «Da verschiebt sich etwas in unserem Werte­system.» Die Spitex Suhrental Plus betreut mit rund 125 Mitarbeitenden über 1200 Klientinnen und Klienten in 16 Gemeinden. Neben den Kerndiensten bietet sie psychosoziale Pflege an und fungiert als regionales Palliativ-Zentrum. Nach dem Vorfall informierte sie ihre Klientinnen, Klienten und Angehörige schriftlich. «Ich würde mir eine aktive Information in so einem Fall auch für meine Eltern und Schwiegereltern wünschen», so Simone Rosenkranz.

Im Schreiben riet die Spitex, vor dem Einlass in die Wohnung stets die Identität der Person vor der Tür zu prüfen. «Unsere Mitarbeitenden tragen ein gut sichtbares Namensschild mit Foto und unserem Logo», erklärt Simone Rosenkranz. Auch die Dienstkleidung ist mit dem Logo der Organisation gekennzeichnet. Neue Klientinnen und Klienten werden auf diese Merkmale aufmerksam gemacht – auch wegen wechselnder Personaleinsätze, unter anderem aufgrund von Teilzeit­arbeit. Intern sensibilisierte die Organisation nach dem Betrugsversuch das Team, zudem informierte sie andere Spitex-Dienste in der Region.

An der Haustür und am Telefon
Fälle von falschen Spitex-Mitarbeitenden wurden aus mehreren Kantonen gemeldet, neben dem Aargau etwa aus Luzern, Basel-Landschaft, Thurgau und Zürich. Die Täterinnen und Täter agierten nicht nur an der Haustür, sondern auch telefonisch. Diesen Sommer warnte der Spitex Verband Kanton Zürich vor Anrufen, bei denen Betrüger «Gesundheitskontrollen» im Namen der Spitex vereinbaren wollten. Andernorts versuchten sie, Wundmaterial zu verkaufen.

Spitex-Organisationen in betroffenen Gebieten rea­gierten mit Informationsschreiben und Verhaltenstipps. Sie rieten etwa, nur Personen in die Wohnung zu lassen, die sich auf dem Tablet als Spitex-Mitarbeitende ausweisen können, und niemals telefonisch den Code für den Schlüsseltresor weiterzugeben. Sie betonten, dass Spitex-Mitarbeitende nicht unangemeldet kommen und Fragen offen beantworten, anstatt ihnen auszuweichen. Bei Unsicherheiten boten sie telefonische Unterstützung an. 

«Immer wieder neue Formen»
Simone Rosenkranz hat seit dem Betrugsversuch von keinen weiteren Vorfällen bei ihren Klientinnen und Klienten gehört. Dennoch ist es ihr «ein grosses Anliegen», auf das Thema aufmerksam zu machen. Besonders weil Betrügerinnen und Betrüger es oft auf ältere Menschen abgesehen haben. Laut einer 2024 veröffentlichten ­Studie der Pro Senectute ergaunern sie schweizweit jährlich 675 Millionen Franken von Personen im Alter ab 55 Jahren. Fast vier von fünf dieser Personen erleben innert Jahresfrist einen Betrugsversuch, knapp 20 Prozent werden Opfer. 

Ob Trickdiebstahl, nutzlose Waren, erfundene Notlagen, falscher IT-Support, Phishing-Mails, Enkeltrick, falsche Handwerker oder falsche Polizisten: Die Methoden der Betrüger sind vielfältig. Die Spitex-Masche erweitert das Repertoire. «Trickbetrug tritt immer wieder in neuen Formen in Erscheinung», sagt Fabian Ilg, Geschäftsleiter der Schweizerischen Kriminalprävention (SKP), einer interkantonalen Fachstelle. In letzter Zeit schieben Täter vermehrt Organisationen vor, die in der Bevölkerung Vertrauen geniessen, «so auch die Spitex». In der Westschweiz gaben sich Betrüger als Pro-Senectute-Mitarbeitende aus. 

Eine fremde Person hat bei einem Klienten geklingelt und sich als Vertretung unserer Spitex-Organisa­tion ausgegeben.

Simone Rosenkranz

Geschäftsleiterin Spitex Suhrental Plus

Entscheidend: Prävention
An der Haustür tragen Betrügerinnen und Betrüger oft falsche Berufskleidung, um glaubwürdig zu wirken und Zugang zu Wohnungen zu erhalten. Häufig agieren sie aus dem Ausland und rufen mittels «Spoofing» an, bei dem eine Schweizer Telefonnummer angezeigt wird. «Da die Täter zumindest für die Abholung von Wertsachen oder Bargeld vor Ort kommen, treten die Fälle oft in Wellen sehr regional auf und verschwinden dann wieder», erklärt Fabian Ilg.

Die Täterinnen und Täter nutzen neben ihrer Täuschung psychologische Tricks. «Social Engineering» nennt sich die Manipulation, welche sie anwenden. Sie setzen auf Respekt vor Autoritäten und Fachpersonen, Hilfsbereitschaft, Sympathie oder Ängste. Auch das Erzeugen von Zeitdruck gehört zu ihren Strategien.

Die SKP empfiehlt Spitex-Organisationen, bei Verdachtsfällen sofort die Polizei zu informieren und Betroffene zu ermutigen, Anzeige zu erstatten. Prävention bleibt jedoch entscheidend: Klientinnen und Klienten sollten wissen, wie sie sich schützen können (vgl. Infokasten). Dazu gehört, im Zweifel bei der regionalen Spitex nachzufragen und Unbekannten nie Geld zu geben. «Die Spitex kommt zur Pflege und nicht, um Geld abzuholen», betont Fabian Ilg.

Sicherheit durch Technik
Einige Spitex-Organisationen setzen auf die flexiblen Informationsmöglichkeiten von digitalen Portalen wie «Oxoa» des Thurgauer Startup-Unternehmens AvanzaTec. Diese Plattform mit Kunden-App zeigt Klientinnen, Klienten und Angehörigen unter anderem an, welche Pflegefachkraft den nächsten Termin wahrnimmt. Neben dem Namen kann auch ein Foto der Mitarbeitenden hinterlegt werden. «Das schafft mehr Sicherheit und Vertrauen», sagt Jenny Müller, Sprecherin des Anbieters. Nutzerinnen und Nutzer können die Informationen in der App auf dem Smartphone oder in einer Webversion auf dem Computer einsehen. Die einfache Bedienung komme Nutzenden aller Altersgruppen zugute, sagt Jenny Müller.

Fazit: Die Spitex kann dazu beitragen, Trickbetrügerinnen und -betrügern das Handwerk zu legen. Neben gezielter Aufklärung und technischen Hilfsmitteln schärfen auch Medienberichte das Bewusstsein. So schilderte eine 86-jährige Frau letztes Jahr im «St. Galler Tagblatt», wie zwei Betrügerinnen – angeblich von der Spitex – ihr im Badezimmer eine Goldkette stahlen. Zwar kam es der Thurgauerin seltsam vor, dass die Spitex an einem anderen Wochentag als üblich erschien, um ihr bei der Körperpflege zu helfen. Doch sie wollte «nicht kompliziert tun». Bevor die Frauen gingen, umarmten sie die Seniorin.

Bald bemerkte sie den Diebstahl und rief mit einer Vorahnung bei ihrer Spitex an. Diese bestätigte, dass sie niemanden vorbeigeschickt hatte. Neben dem materiellen Verlust hinterliess der Vorfall bei der Frau Spuren: Sie konnte mehrere Nächte nicht schlafen. Ihre Geschichte erzählte sie bewusst in der Zeitung, um andere zu warnen.

«Sicherheit im Alter», die Broschüre der Schweizerischen Kriminalprävention und der Pro Senectute, ist hier zu finden: www.skppsc.ch/de/wp-content/uploads/sites/2/2024/05/sicherheit_im_alter.pdf 

Vorsicht, Falle: Schutz vor Trickbetrug
Spitex-Organisationen klären ihre Klientinnen und Klienten spezifisch darüber auf, wie sie die Mitarbeitenden identifizieren können (siehe Haupttext). Daneben empfehlen Polizei und Kriminalprävention allgemeine Massnahmen gegen Trickbetrug, die auch Spitex-Mitarbeitende den Klientinnen und Klienten nahelegen können:

• Keine fremden, unerwarteten Personen in die Wohnung lassen.
• Anrufe von Unbekannten im Zweifel rasch beenden. Bei der regionalen Spitex über die offizielle Telefonnummer nachfragen, ob sie angerufen hat.
• Unbekannte an der Tür nach einem Ausweis fragen. Im Zweifel nicht öffnen und sich bei der Spitex rückversichern – nur über die offizielle Nummer.
• Nie Geld oder persönliche Daten an Unbekannte weitergeben, egal, wie überzeugend diese tönen und welche Begründungen sie vorbringen.
• Jeden Verdachtsfall der Polizei melden (117), auch wenn es nur beim Betrugsversuch ­geblieben ist. Die Spitex und Angehörige ­informieren.

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