
Die Spitex zeigt ihre Vorzüge auf Social Media
Andrea Miolo fühlt verschiedenen Mythen auf den Zahn, die rund um die Social-Media-Nutzung von Unternehmen kursieren. Als Inhaberin der Zürcher Agentur «The PR Factory» ist sie eine Expertin für Unternehmenskommunikation und kennt als Vorstandsmitglied von Spitex Schweiz auch die Spitex-Branche genau (vgl. Infokasten "Über Andrea Miolo").
INTERVIEW: KATHRIN MORF
SPITEX MAGAZIN: Um zu ergründen, wie Spitex-Organisationen die sozialen Medien1 (nicht) nutzen sollten, betrachten wir einige vielzitierte Social-Media-Mythen. Der erste: «Ein Unternehmen ohne Social Media hat keine Zukunft.» Gilt dies auch für die vielen Spitex-Organisationen ohne Social-Media-Auftritt?
ANDREA MIOLO: Gute Kommunikation funktioniert wie ein Getriebe, in dem verschiedene Zahnrädchen reibungslos ineinandergreifen. Social Media ist bloss ein mögliches Zahnrädchen. Die sozialen Medien können von einer Spitex-Organisation genutzt werden. Es ist meines Erachtens aber nicht zwingend. Ein aktiver Auftritt auf Social Media bringt auch Herausforderungen mit sich: Unter anderem muss sich die Organisation regelmässig neue «Storys» einfallen lassen. Verfügt die Organisation nicht über die Zeit oder die Motivation hierfür, sollte sie es besser lassen.
Laut einer Studie von 20222 sind Reichweite, Image-Arbeit und Sichtbarkeit die häufigsten Social-Media-Ziele von Schweizer Unternehmen. Welche Ziele und Zielgruppen kann die Spitex über diese Kanäle besonders gut erreichen?
Eine Spitex-Organisation kann sich durch einen guten Social-Media-Auftritt mit authentischen Beiträgen bei vielen Menschen sichtbar machen und positionieren: Je nach Organisation können dies potenzielle oder bestehende Mitarbeitende, Klientinnen und Klienten und deren Angehörige oder auch Politikerinnen und Politiker sein. Dabei halte ich vor allem den Einsatz von Social Media in der Personalrekrutierung für wichtig. Und als besonders anspruchsvoll betrachte ich das Fundraising über Social Media, also das Motivieren von Spenderinnen und Spendern.

Ich halte vor allem den Einsatz von Social Media in der Personalrekrutierung für wichtig.
Andrea Miolo
Inhaberin Kommunikationsagentur, Vorstandsmitglied Spitex Schweiz
Über Andrea Miolo
Andrea Miolo-Eberhard hat Betriebswirtschaft an den Universitäten St. Gallen (HSG) und Genf studiert und ist eine zertifizierte Kommunikations- und PR-Expertin SAQ. Seit 2003 ist sie Inhaberin und Geschäftsführerin der Zürcher Kommunikationsagentur «The PR Factory» (theprfactory.ch), die unter anderem Kunden aus dem Gesundheitssektor umfassend in Bezug auf ihre integrierte Kommunikation betreut. Im Weiteren ist Andrea Miolo seit 2018 Stiftungsratsmitglied der Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe sowie seit 2023 Vorstandsmitglied von Spitex Schweiz mit dem Ressort Kommunikation/Marketing.
«Besser die sozialen Medien ohne Konzept nutzen als gar nicht», lautet ein weiterer Mythos. Was sagen Sie dazu?
«Besser Social Media weglassen, als konzeptlos drauflos posten», würde ich entgegnen. Jedes Unternehmen sollte ein Kommunikationskonzept erstellen, das je nach Bedarf auch die sozialen Medien berücksichtigt. Eine klare Strategie ist dabei entscheidend: Die Organisation muss festlegen, wen sie über welche Kanäle mit welchem Ziel erreichen will. In der Umsetzung darf Social Media aber nicht zu starr sein. Die Zuständigen müssen auch spontan auf Ereignisse reagieren können. Diese Kanäle leben von kurzen Reaktionszeiten und der Interaktion.
Können Sie konkrete Beispiele dafür nennen, über welchen Kanal eine Organisation welches Ziel besonders gut erreicht?
Dies hängt immer davon ab, wen die Organisation erreichen will. Für Spitex Schweiz als Dachorganisation ist zum Beispiel LinkedIn der wichtigste Kanal, denn dort bewegen sich Ansprechpersonen aus der Gesundheitsbranche und Politik. Wenn allerdings eine Spitex-Organisation neue Mitarbeitende rekrutieren möchte, versucht sie dies besser über Kanäle wie TikTok für die jüngere Zielgruppe und Instagram sowie LinkedIn für die ältere. Natürlich muss man nicht für jeden Kanal alles neu erfinden. TikTok ist aber beispielsweise stark auf eine junge Zielgruppe fokussiert. Sprache und Bewegtbild müssen hier anders eingesetzt werden als auf LinkedIn.
Besser Social Media weglassen als konzeptlos drauflos posten.
Andrea Miolo
Inhaberin Kommunikationsagentur, Vorstandsmitglied Spitex Schweiz
Was sollte das erwähnte Konzept rund um die sensiblen Themen Datenschutz und Ethik umfassen?
Bei Social Media gelten die gleichen ethischen und datenschutzrechtlichen Grundsätze wie bei der übrigen Kommunikation. Dazu zählen der Schutz von Klientendaten, der Verzicht auf die Publikation von unangemessenen Inhalten, die Veröffentlichung von Bildern von Personen nur mit deren Einwilligung und dergleichen. Entscheidend ist zudem, dass die Social-Media-Zuständigen über das nötige Fingerspitzengefühl und einen gesunden Menschenverstand verfügen, was diese Themen betrifft.
Ein weiterer Mythos lautet: «Social Media kann jeder.» Stimmt dies oder braucht es eine spezifische Aus- oder Weiterbildung?
Kommunikation und damit auch die Betreuung von Social Media hat vor allem sehr viel mit «Skills» zu tun. Dazu zählen der erwähnte gesunde Menschenverstand und das erwähnte Fingerspitzengefühl sowie Neugier, sprachliche Gewandtheit, Storytelling und ein gutes visuelles Vorstellungsvermögen. Wer diese Eigenschaften mitbringt, kann für die Betreuung von Social Media eingesetzt werden und durch Praxiserfahrungen laufend dazulernen. In einem Social-Media-Kurs können diese Skills mit handwerklichen Fähigkeiten ergänzt werden.

Zwei weitere Mythen betreffen Kosten und Zeit: «Social Media kostet nichts» und «Social Media kann nebenbei erledigt werden». Was sagen Sie dazu?
Das ist Unsinn. Gerade die Umsetzung von Bildern oder Videos kann je nach Professionalitätsgrad einiges kosten. Auch darf keine Spitex-Organisation erwarten, dass ihre Mitarbeitenden das Bewirtschaften dieser Kanäle «nebenbei» schaffen. Sie müssen genügend Zeit erhalten, um diese Aufgabe zu erledigen. Werden die nötigen Ressourcen für eine Organisation zur Belastung, sollten Social Media weggelassen werden. Alternativ kann eine Organisation den Social-Media-Kanal ihres Kantonalverbands auf ihrer Website verlinken oder eine Kooperation mit anderen Organisationen eingehen.
Muss eine Organisation auch Geld in das Bewerben einzelner Beiträge investieren, um die Algorithmen der Plattformen zu beeinflussen und damit sicherzustellen, dass viele Menschen einen Beitrag sehen?
Wichtig ist zuerst einmal, dass die Organisation auf jeder Plattform eine gute Community aufbaut und die eigenen Mitarbeitenden dazu motiviert, Beiträge zu liken und zu teilen. Das Bewerben von Beiträgen kann zusätzlich helfen. Wichtig ist im Allgemeinen auch, dass Kosten und Nutzen regelmässig überprüft werden. Und dass man sich bewusst ist, dass es sehr lange dauert, bis man die Algorithmen von Social Media vollständig durchschaut hat – und dass sich diese laufend ändern.
Man muss sich bewusst ein, dass es sehr lange dauert, bis man die Algorithmen von Social Media vollständig durchschaut hat.
Andrea Miolo
Inhaberin Kommunikationsagentur, Vorstandsmitglied Spitex Schweiz
Wie viele User einen Beitrag gesehen haben, kann eine Spitex-Organisation eruieren. Es dürfte aber mehr brauchen, um den Social-Media-Erfolg zu messen?
Einfache Kennzahlen hierfür sind tatsächlich die Zahl der Follower sowie «Impressions», also der Personen, die einen Beitrag gesehen haben, oder auch die «Engagement rate», also die Zahl der Reaktionen wie «Likes». Wichtig ist oft aber auch, wer die Personen sind, welche einen Beitrag sehen. Will eine Organisation zum Beispiel neue Mitarbeitende gewinnen, hat sie ihr Ziel unabhängig von der Zahl der Impressions erreicht, wenn sie gute Bewerbungen erhält. Will sie hingegen ihre Bekanntheit steigern und erreicht durch einen Beitrag nur zehn organische Impressions, ist das Ziel weit verfehlt. So oder so gilt: Rund alle drei Monate sollte eine Spitex-Organisation überprüfen, ob sie die gesetzten Ziele erreicht hat. Tut sie das nicht, muss sie Änderungen einleiten oder den Mut haben, ein Social-Media-Profil zu löschen.
Ein weiterer falscher Mythos ist laut Fachliteratur, dass ein gutes Angebot für den Erfolg auf Social Media ausreicht. Es brauche hierzu auch Botschafterinnen und Botschafter, die dem Angebot ein Gesicht verleihen. Stimmen Sie dem zu?
Der Einsatz von Botschafterinnen und Botschaftern muss gut bedacht werden. Was passiert beispielsweise, wenn die Person kündigt oder plötzlich nicht mehr möchte, dass Fotos oder Videos von ihr gepostet werden? Ist dies geklärt, können insbesondere die eigenen Mitarbeitenden sehr glaubhafte Botschafterinnen und Botschafter für die Spitex sein. Oder auch Lernende, die anderen jungen Menschen über die sozialen Medien einen authentischen Einblick in die ambulante Pflege gewähren.
Auch gut durchdachte und geprüfte Beiträge können zu kritischen Kommentaren führen. Wie gehen Spitex-Organisationen mit solchen negativen Kommentaren oder Bewertungen auf digitalen Plattformen um?
Auch hier gibt es kein Patentrezept. Idealerweise entschärft die Organisation Konflikte mit Klientinnen und Klienten, Angehörigen oder auch Mitarbeitenden bereits im Vorfeld durch ein Gespräch. Wird ein Konflikt dennoch in den sozialen Medien öffentlich, muss die Organisation von Fall zu Fall entscheiden, ob und wie sie darauf reagiert. Idealerweise bespricht man solche Situationen innerhalb der Leitung der Organisation oder zieht eine externe Fachperson bei. Von Kurzschlussreaktionen ist abzuraten.
Aus einem kritischen Kommentar kann ein «Shitstorm» werden. Wie kann eine Spitex-Organisationen einen solchen digitalen Sturm der Entrüstung bewältigen?
Shitstorms gibt es nicht erst seit Social Media; auf diesen Kanälen verbreiten sie sich bloss viel schneller. Krisen sind zwar nicht planbar – aber die Kommunikation in Krisen ist planbar. Wichtig ist unter anderem, dass eine Spitex-Organisation die Verantwortlichkeiten für eine Krise regelt und wenn möglich Q&A 3 erstellt, denn bei der Krisenkommunikation zählt auch die Geschwindigkeit. Wer von einem Shitstorm betroffen ist, hat allerdings oft Mühe, klar zu denken. Es lohnt sich darum, einen neutralen Experten beizuziehen.
Bald werden Suchanfragen nicht mehr über Google erfolgen und Google-Rankings an Bedeutung verlieren. Stattdessen wird die Nase vorn haben, wer seine Organisation auf ChatGPT oder anderen KI-Suchmaschinen sichtbar macht.
Andrea Miolo
Inhaberin Kommunikationsagentur, Vorstandsmitglied Spitex Schweiz
Die sozialen Medien verändern sich rapide. Passende Mythen lauten etwa «Facebook ist tot» und «Keine Social Media mehr ohne künstliche Intelligenz (KI)». Auf welche Trends sollte eine Spitex-Organisation bereits jetzt reagieren?
Bezüglich Social Media bewegt sich tatsächlich sehr viel. Weltweit ist Facebook immer noch die Nummer eins, in der Schweiz hat aber Instagram die Führung übernommen. Letztlich kommt es darauf an, ob die Follower auf der jeweiligen Plattform noch aktiv sind – Unternehmen müssen dies regelmässig überprüfen. KI ist ein sinnvolles Instrument, das für die Bewirtschaftung von Social Media eingesetzt werden kann [Vgl. Infokasten «Wie KI bei Social Media unterstützt]. Grosses Potenzial haben meines Erachtens auch KI-Suchmaschinen: Bald werden Suchanfragen nicht mehr über Google erfolgen und Google-Rankings an Bedeutung verlieren. Stattdessen wird die Nase vorn haben, wer seine Organisation auf ChatGPT oder anderen KI-Suchmaschinen sichtbar macht. Wichtig ist schliesslich auch, dass die Menschen müde werden von der Informationsüberflutung. Darum sollte eine Spitex-Organisation darauf achten, in den sozialen Medien auf Qualität statt Quantität zu setzen: Ihre Beiträge müssen sich von der Masse abheben und den Usern einen Mehrwert bieten. Gelingt dies, sehe ich für die Spitex auf Social Media auch in Zukunft durchaus viel Potenzial.
Wie KI bei Social Media unterstützt
«Dass Künstliche Intelligenz (KI) die Welt des Marketings und der sozialen Medien auf den Kopf stellen wird, ist keine Frage mehr», ist auf der Website Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) zu lesen*. Der Einsatz von KI-Assistenten wie ChatGPT (www.chatgpt.com) sei für Social-Media-Spezialisten äusserst nützlich. ChatGPT selbst kann erklären, bei welchen Aufgaben KI einer Spitex-Organisation helfen kann:
– Erstellen von Textvorschlägen für Posts samt Hashtags
– Generieren und Anpassen von Bildmaterial für unterschiedliche Plattformen
– Planung und automatisierte Veröffentlichung von Beiträgen
– Analyse von Reichweiten, Interaktionen und Zielgruppenverhalten
– Identifikation von Trends und passenden Posting-Zeitpunkten
– Vorschläge für Antworten auf Kommentare oder Direktnachrichten
– Übersetzung und Lokalisierung von Inhalten für internationale Zielgruppen
KI hat aber auch ihre Grenzen: Bei der Bildgenerierung kann ChatGPT zum Beispiel Markenlogos nicht immer exakt reproduzieren. Darum wurden einige Logos der Social-Media-Kanäle und das Spitex-Logo für die KI-generierten Illustrationen für dieses «Spitex Magazin» manuell angepasst oder eingefügt.
Generell sollten alle KI-Ergebnisse genau von Menschen geprüft werden, um Korrektheit und Qualität sicherzustellen. Laut Artikel der HWZ ist dies aber nicht immer möglich. «Gerade weniger zugängliche oder schwer verständliche Themen, wie die Analyse
von Kundendaten, können gefährlich sein. Wenn man die Interpretationen nicht nachvollziehen kann, ist es nicht möglich, zu überprüfen, ob die Aussagen richtig sind.» Im Weiteren sollten sensible Daten auf KI-Plattformen aus Datenschutzgründen immer anonymisiert verwendet werden.
* www.fh-hwz.ch/news/wie-du-ki-fuer-social-media-nutzen-kannst
- Die «sozialen Medien» oder in Englisch «Social Media» sind laut Duden «die Gesamtheit der digitalen Technologien und Medien (…), über die Nutzerinnen und Nutzer miteinander kommunizieren und Inhalte austauschen können.» Für das vorliegende Interview durchforstet wurden Facebook, Instagram, LinkedIn, TikTok und Snapchat. Andere Kanäle wie X, die von der Spitex weniger genutzt werden, sind kein Thema. ↩︎
- Der Studienbericht «Social Media in Organisationen und Unternehmen: Breite Nutzung und Routine, wenig Innovation und Dialog» (2022) der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und von Bernet Relations ist verfügbar auf bernet.ch/socialmediastudie22. ↩︎
- «Q&A» steht für «Questions and Answers», also «Fragen und Antworten». Bereitet eine Spitex-Organisation Antworten auf alle möglichen kritischen Fragen von Aussenstehenden vor, hat sie diese im Krisenfall schnell zur Hand. ↩︎