Den Dialog über die Anstellung pflegender Angehöriger fördern
Das Projekt «pasa-bene – Pflegende Angehörige bei der Spitex anstellen – Dialog und Gute Praxis fördern» des Vereins rethinking care schafft eine sachliche Grundlage sowie Hilfsmittel für eine gute Anstellung pflegender Angehöriger. Dies, indem es einen Dialog fördert, in dem die Akteure miteinander diskutieren statt aneinander vorbeireden, wie Projektleiterin PD Dr. Iren Bischofberger erklärt.
KATHRIN MORF. «Jede Gesellschaft muss sich die Frage stellen, auf wie viel unbezahlt erbrachte Pflege von Angehörigen sie sich abstützen darf. Diese Frage ist in der Schweiz nicht geklärt. Deshalb erregt das Anstellungsmodell viel Aufmerksamkeit», sagt Iren Bischofberger, Pflegewissenschaftlerin und Vorstandsmitglied von Spitex Schweiz. Vor diesem Hintergrund lancierte sie 2024 das Projekt «pasa-bene», in dessen Rahmen «alle beteiligten Akteure miteinander über die Anstellung pflegender Angehöriger reden – und nicht aneinander vorbei, wie es derzeit oft der Fall ist».

Das «pasa» steht für «pflegende Angehörige bei der Spitex anstellen» und das «bene» (italienisch für «gut») für die gute Praxis, die gefördert werden soll. Zu den «pflegenden Angehörigen» wird im Projekt auch gezählt, wer nicht mit der pflegebedürftigen Person verheiratet oder verwandt ist – sie aber «regelmässig und substanziell unterstützt» 1. Pasa-bene wird vom Verein rethinking care in Kooperation mit drei Organisationen von a + durchgeführt 2 und von der Age-Stiftung finanziert. «Pasa-bene will einen Anstoss für die dialogische und datengestützte Beschäftigung mit dem komplexen Anstellungsmodell geben», sagt Iren Bischofberger. «Derzeit besteht hier eine grosse Datenlücke. Entscheidungsträger lancieren neue Regeln folglich im Blindflug.» Das Projekt setzt dabei vor allem auf ein Mittel: den Dialog.
Erste Projektphase: 5 Dialoge
Von Anfang 2024 bis Anfang 2026 diskutieren im Rahmen der ersten Phase von pasa-bene verschiedenste Akteure in fünf Dialogen, die jeweils konkrete Ergebnisse hervorbringen:
- Politik im Dialog (Ergebnis: Podcast): Im Sommer 2024 diskutierten zwei Politikerinnen und ein Politiker über Themen wie die Finanzierbarkeit der Anstellung pflegender Angehöriger sowie die nötigen Rahmenbedingungen. «Dieser Dialog regt die Politik und weitere Kreise zum Weiterdenken an. Er zeigt, dass die Zusammenhänge zwischen der Finanzierung und Qualität des Anstellungsmodells sowie der Gesundheitsversorgung als Ganzes differenziert statt polarisiert diskutiert werden können», sagt Iren Bischofberger. Der Dialog ist als Podcast auf workand.care/pasa-bene verfügbar.
- Fachwelt im Dialog (Ergebnis: digitales ABC): Von Oktober bis Dezember 2024 trafen sich 35 Fachpersonen zu vier Werkstattgesprächen mit vier Themenschwerpunkten 3. Themen in allen Gesprächen waren laut Iren Bischofberger, wie die Qualität der Leistungen der Angehörigen gesichert und gute Arbeitsbedingungen garantiert werden können. So wurde diskutiert, wie die Angehörigen optimal in ihre Anstellung eingeführt werden müssen. Und dass mit ihnen eine gute Übergangs- oder Nachfolgelösung erarbeitet werden muss, wenn ihre Anstellung endet oder sie krankheitsbedingt ausfallen. «Erleben die Angehörigen gute Arbeitsbedingungen, bleiben sie dem Gesundheitswesen idealerweise erhalten – vielleicht sogar, indem sie eine Pflegeausbildung beginnen», sagt Iren Bischofberger. Aus den Werkstattgesprächen ging im Sommer 2025 ein «digitales ABC» zum Anstellungsmodell hervor – von A wie Angehörige bis Z wie Zu- sammenarbeit. «Ist das Thema für eine Person neu, klickt sie sich durch alle Buchstaben. Weiss sie bereits einiges, kann sie im Inhaltsverzeichnis spezifische Themen anwählen», erklärt Iren Bischofberger.
- Bevölkerung im Dialog (Ergebnis: Leitfaden für Gemeinden): Im April und Mai 2025 diskutierte die Bevölkerung im städtischen Bern und im ländlichen Diessenhofen (TG) im Rahmen eines «Wissenschaftscafés». «Zwei Wissenschaftlerinnen und ein Wissenschaftler aus den Bereichen Recht, Ökonomie und Pflegewissenschaft ordneten das Anstellungsmodell kurz aus ihrer Sicht ein. Danach lud der Moderator das Publikum ein, mit dem Podium in den Dialog zu treten», berichtet Iren Bischofberger. Die Anwesenden hätten die Gelegenheit genutzt und unterschiedliche Meinungen eingebracht – einschliesslich einer pflegenden Angehörigen, die in Bern sagte: «Ich pflege meinen Mann schon mehrere Jahre. Ich schäme mich nicht, dass ich mich nun anstellen liess.». Auf Basis der gemachten Erfahrungen entsteht bis Anfang 2026 ein Leitfaden für Gemeinden, damit diese das Wissenschaftscafé selbst oder zusammen mit Science et Cité 4 durchführen können.
- Forschende im Dialog (Ergebnis: Initiative für Forschungsprojekte): Anfang 2026 findet ein Workshop mit 20 Forschenden aus unterschiedlichen Disziplinen statt. Sie diskutieren, welche Forschungsfragen bearbeitet werden sollen und welche Forschungsprojekte dazu nötig sind.
- Profis und Angehörige im Dialog (Ergebnis: E-Learning-Kurs): Im Sommer 2026 wird der E-Learning- Kurs «pasa-bene edu» lanciert. «Er schult Gesundheitsfachpersonen darin, pflegende Angehörige sowie Patientinnen und Patienten kundig über das Anstellungsmodell zu beraten», erklärt die Projektleiterin.
Aufgrund des bisherigen Projektverlaufs bin ich überzeugt, dass sich die Anstellung pflegender Angehöriger weiter bewähren wird.
Iren Bischofberger
Projektleiterin pasa-bene, Vorstandsmitglied Schweiz, Verwaltungsrätin Solicare
Zweite Phase des Projekts: Beobachtung
Tragfähige Lösungen für die Gute Praxis des Anstellungsmodells gebe es nur durch Dialog, betont Iren Bischofberger. «Pasa-bene kann die vielen Herausforderungen, die mit dem Anstellungsmodell einhergehen, zwar nicht lösen – aber einen Scheinwerfer darauf richten und einen 360-Grad-Blick auf das Modell werfen», sagt sie. «Daraufhin braucht es Politik, Forschung, Kostenträger, Spitex-Organisationen und deren Verbände sowie Angehörigen- und Patientenvereinigungen, die das Anstellungsmodell nachhaltig umsetzen und auch weiterentwickeln.» Dazu gehöre, dass Arbeitgeber von angestellten pflegenden Angehörigen für nachvollziehbare Kosten sorgen – etwa für die Ausbildung und Begleitung der Angehörigen sowie für die nötige Infrastruktur und Qualitätssicherung –, auf die die Finanzierer ihre Beiträge abstützen können.
Die weiteren Aktivitäten rund um das Anstellungsmodell werde das Projektteam von pasa-bene in der zweiten Projektphase beobachten und als Plattform fungieren, auf der die Fäden zusammenlaufen. Ende 2027 wird dann ein Abschlussbericht publiziert. «Aufgrund des bisherigen Projektverlaufs bin ich überzeugt, dass sich die Anstellung pflegender Angehöriger weiter bewähren wird», sagt Iren Bischofberger abschliessend. Auch aus dem Bundesratsbericht von Mitte Oktober gehe hervor, dass das Anstellungsmodell für die Zukunft der Pflege zu Hause und die Entwicklung der Gesundheitskosten wichtig ist. 5 «Pflegende Angehörige sind fle- xible Mitarbeitende mit grossem Know-how über ihre jeweilige Pflegesituation», betont sie. «Solche Mitarbeitende braucht unser Gesundheitswesen dringend, um die Nachfrage nach Pflege zu Hause zu decken und damit unnötige Einweisungen in Heime oder Spitäler zu vermeiden.»
Alle Ergebnisse sind auf www.workand.care/pasa-bene verfügbar, vorerst nur in Deutsch. Dort finden sich auch drei Erklärvideos zum Anstellungsmodell aus Sicht der pflegenden Angehörigen. Das «Spitex Magazin» wird den weiteren Verlauf von pasa-bene begleiten.
Drei prägende nationale Urteile zur Anstellung pflegender Angehöriger
2006 entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht, dass Angehörige für ihre Pflege entschädigt werden können, wenn sie bei der Spitex angestellt sind, wobei «ein gewisses Anlernen» für die Anstellung nötig sei (K 156/04). Als gesetzlich legitim gilt die Anstellung also nicht erst seit 2019, wie es viele Medien und zuletzt auch das «Spitex Magazin» schrieben.
2019 entschied das Bundesgericht, dass Angehörige ohne Pflegeausbildung nur für KLV-C-Leistungen (Grundpflege) angestellt werden können und nicht für B-Leistungen (Untersuchung, Behandlung; 9C_187/2019).
2025 bemängelte das Bundesgericht die Ausbildung, Aufsicht, Anleitung und Kontrolle eines Vereins, bei dem Angehörige Pflegeleistungen erbringen, ebenso wie die ungenügende Dokumentation und Evaluation der erbrachten Leistungen (9C_276/2024).
- Diese Definition stützt sich auf das Förderprogramm «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige (2017-2020)» des Bundes und wurde auch in den Anhängen der Administrativverträge der Spitex-Verbände mit den Krankenversicherern sowie im Positionspapier von Spitex Schweiz übernommen:
www.spitex.ch/Spitex/Pflegende-Angehoerige/ ↩︎ - Die beteiligten Organisationen von a+ (Akademien der Wissenschaften Schweiz) sind: td-net Network for Transdisciplinary Research, Swiss Platform Ageing Society / Schweizerische Akademie der Geisteswissenschaften (SAGW), Science et Cité. ↩︎
- Es waren: Familie/Gender und Generationen, Ökonomie und Regulierung, Spitex-Betriebe und Branche Langzeitpflege, Recht/Ethik und Soziale Sicherheit. ↩︎
- Die Stiftung Science et Cité fördert den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft: www.science-et-cite.ch/ueber-uns/portrait ↩︎
- Der Bundesratsbericht «Pflegeleistungen von Angehörigen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» ist verfügbar auf: www.bag.admin.ch/de/bundesratsberichte ↩︎