«Ich werde der Spitex auf alle Ewigkeit dankbar sein»

Patrizia Laeri, Unternehmerin und Wirtschaftsjournalistin, zu ihrer Leidenschaft, den Frauen Geldthemen näherzubringen. Und zu ihren Erfahrungen als pflegende Angehörige.

INTERVIEW: EVA ZWAHLEN

Patrizia Laeri engagiert sich für die Themen Frauen, Finanzen und Diversity. Bild: zVg

SPITEX MAGAZIN: Patrizia Laeri, im Herbst 2024 haben Sie gemeinsam mit Nadine Jürgensen das Buch «Close the Gaps» veröffentlicht. Dabei
decken Sie neun Geldlücken im Leben von Frauen auf, die bereits beim Taschengeld beginnen und sich bis zur Altersvorsorge durchziehen. Was
war die Motivation für dieses Buch und für das Thema Frauen und Finanzen im Allgemeinen?

PATRIZIA LAERI: 56 Prozent der Frauen in der Schweiz können sich finanziell nicht selbst über Wasser halten. Das hat meine Mitgründerinnen und mich beelendet, aber auch angetrieben. Wir publizieren daher seit Jahrzehnten darüber und rütteln die Öffentlichkeit auf: Anwältin und Politjournalistin Nadine Jürgensen zu den ­Themen Vorsorge und ich als Ökonomin und Wirtschaftsjournalistin zu den Themen Investieren, Vermögen und Finanzen. Frauen hatten erst eine Generation lang Zeit, sich mit Geld auseinanderzusetzen. Man stelle sich vor: Erst seit Ende der 1980er dürfen Frauen in der Schweiz ohne Unterschrift ihres Partners ein Bankkonto eröffnen oder Immobilien kaufen und verkaufen! Nur gerade 32 Prozent des weltweiten Vermögens liegen in den Händen von Frauen. Oder anders gesagt: Männer sind 105 000 000 000 000 Franken reicher, sprich 105 Billionen! Das ist eine stossende Ungleichheit. Die globale Unterschicht ist weiblich. Mit der ellexx-App wollen wir diese enormen Geldlücken zwischen den Geschlechtern schliessen und Frauen finanziell stärken. Geldthemen können Spass machen, ansprechend und verständlich vermittelt werden.

Sie sind Ökonomin, Wirtschaftsjournalistin und Fintech-Unternehmerin. Gab oder gibt es auch einen weiteren Beruf, von dem Sie einst träumten oder immer noch träumen?
Ich wollte als Kind entweder Seiltänzerin oder Mathematiklehrerin werden. Für Ersteres hat das Talent leider bei Weitem nicht gereicht. Irgendwie bin ich nun aber doch beides geworden: Statt Mathe vermittle ich nun mit einer grossen Leidenschaft Wissen zu Geldthemen und Finanzen. Auf der anderen Seite braucht es unglaublich viel Mut, Flexibilität, Agilität und Risikofreude, ein Tech-Start-up zu gründen und zu finanzieren. Da spielt wohl der Balanceakt wieder mit rein. 

Verraten Sie uns eine Macke und ein Talent, die in der Öffentlichkeit trotz Ihrer häufigen Medienpräsenz bisher kein Thema waren?
So viel wie ich über mich selbst lache, muss ich wohl viele Macken haben. Da müssen Sie am besten mit meinen Kindern sprechen. Sie finden ja, dass ich «peinlich» bin, weil ich immer mit allen spreche, sie mit Fragen löchere oder mich «tussig» und glamourös anziehe. Zudem verzehre ich Unmengen dunkler Schokolade, wackle mit den Ohren oder male düstere Ölbilder. 

Gibt es eine bekannte Person, welche Sie gern einmal treffen würden?
Ganz klar die Chefin der europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, die Hüterin des Geldes. Sie hat in ­einer männerdominierten Welt unermüdlich dafür ­gekämpft, die Geldwelt inklusiver und weiblicher zu ­gestalten. Geld ist wirklich die letzte Frontlinie der Gleichstellung. Wir brauchen mehr Geld in den Händen von Frauen, da sie es gerwiesenermassen nachhaltiger und enkelfähiger investieren. Christine Lagarde hat auch stets die XX-Economy 1 unterstützt, also die von Unternehmerinnen aufgebaute Wirtschaft.

Und weil dies das Spitex Magazin ist: Was sind Ihre Erfahrungen mit der Spitex? 
Ich werde der Spitex auf alle Ewigkeit dankbar sein. Sie hat es meinem verstorbenen Mann ermöglicht, seinen letzten grossen Wunsch so weit wie möglich zu erfüllen: zu Hause zu sterben. Ich habe meinen Mann 2024 fünf Monate lang gepflegt und bin dabei körperlich und mental komplett an meine Grenzen gestossen. Ohne die Hilfe der Spitex hätte ich das niemals alles bewältigen können. Ich weiss nicht, wie man diese überlebenswichtige und psychisch belastende Arbeit jahrelang leisten kann und bewundere Pflegende unermesslich. Diese Arbeit muss klar mehr wertgeschätzt und besser bezahlt werden. Mein allergrösster Respekt dafür. Und das weltgrösste Dankeschön.

Zur Person
Patrizia Laeri wurde 1977 in Schaffhausen geboren und hat an der Universität Zürich Wirt­schaftswissenschaften studiert. Die Ökonomin war viele Jahre als Wirtschaftsjournalistin und -moderatorin bei SRF tätig und wurde 2019 und 2022 zweimal zur Wirtschaftsjournalistin des Jahres ausgezeichnet. 2021 gründete ­Patrizia Laeri gemeinsam mit Simone Züger und Nadine Jürgensen die Finanz-Plattform ellexx. 2022 gewann die Unternehmerin den Swiss Diversity Award. In Deutschland wurde sie 2018 mit dem Digital Female Leader Award sowie mehrmals als LinkedIn TopVoice DACH ausgezeichnet. Patrizia Laeri gelingt es, komplexe Zusammenhänge in anschauliche Geschichten zu verpacken. 2024 verstarb Patrizia Laeris Ehemann an einer Krebserkrankung. Die alleinerziehende dreifache Mutter wohnt mit ihren beiden Söhnen und ihrer «Bonustochter», wie sie sie nennt, in Männedorf ZH.

→ www.ellexx.com

  1. Mit «XX-Wirtschaft oder She-Economy» wird die weltweite weibliche (Schatten-)Wirtschaft bezeichnet, die grösstenteils unbeachtet bleibt. ↩︎

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