7 min 30. Oktober 2024

Ein Dialog über die Hochaltrigkeit und ihre Auswirkungen

Am 29. Oktober 2024 wurde am Symposium von «dialog@age» in Zürich über das Thema «Hochaltrigkeit – der neue Trend im Gesundheitswesen» diskutiert. Auch aktuelle und künftige Vertreterinnen und Vertreter der Spitex machten sich Gedanken zum Thema.

«Die Tatsache, dass 100-Jährige künftig als Normalfall gelten, bringt neue Anforderungen für alle Bereiche des Gesundheitswesens mit sich». Dies schrieb der Verein «dialog@age»[1] zum Thema «Hochaltrigkeit – der neue Trend im Gesundheitswesen», dem sich sein diesjähriges Symposium vom 29. Oktober 2024 in Zürich widmete. Auch drei heutige oder zukünftige Vertreterinnen und Vertreter der Spitex diskutierten über die genannten Anforderungen.

Simon Stocker: Es braucht Finanzierung und Fachkräfte
Der Schaffhauser SP-Ständerat Simon Stocker ist zwar noch kein offizieller Vertreter der Spitex, als selbstständiger Altersexperte ist er mit der ambulanten Pflege aber wohlvertraut – und der Vorstand des Spitex Verbandes des Kantons Schaffhausens hat kürzlich verkündet, dass er Simon Stocker für die Wahl zum neuen Präsidenten an der Delegiertenversammlung vom 12. Mai 2025 vorschlägt. Am Symposium sprach der Ständerat über die Anforderungen der Hochaltrigkeit aus Sicht der Politik und führte dabei aus, dass die Antworten auf zwei politische Grundsatzfragen bestimmen werden, ob die Politik ebendiese Anforderungen zu meistern vermag.

Die erste Frage sei: Was sind wir bereit, in die Versorgung von älteren Menschen zu investieren? «Die Bereitschaft, für ältere Menschen zu zahlen und in ihre Bedürfnisse zu investieren, ist in der Gesellschaft und Politik und derzeit auch in vielen politischen Entscheidungen deutlich spürbar», betonte Simon Stocker. «Dies liegt zum einen daran, dass wir alle früher oder später selbst alt werden und daher Massnahmen für ältere Menschen unterstützen. Zum anderen stellen ältere Menschen eine wichtige Wählergruppe dar, auf welche die Politik Rücksicht nimmt.» Darüber hinaus bewegten sich viele aktuelle Reformen ohnehin in eine Richtung, welche den Bedürfnissen der älteren Generation entspricht. Dazu zählten etwa die Förderung der ambulanten Pflege oder die Schaffung von barrierefreiem Wohnraum. «Der Bedarf älterer Menschen stimmt also mit der politischen Grosswetterlage überein», sagte er.

Ein zentrales Anliegen ist es, die hohe Zahl an Berufsaussteigenden aus der Pflege zu reduzieren.

Simon Stocker

Ständerat Schaffhausen

Die zweite politische Grundsatzfrage sei eine, die der Spitex wohlbekannt ist: Können wir genügend Fachkräfte für die Versorgung älterer Menschen gewinnen? Die Antwort auf diese Frage ist laut Simon Stocker derzeit offen. Zwar bringe die Umsetzung der Pflegeinitiative bereits positive Veränderungen mit sich, doch das Problem bleibe dringlich. «Ein zentrales Anliegen ist es, die hohe Zahl an Berufsaussteigenden aus der Pflege zu reduzieren», betonte er. Es gelte, Arbeitsbedingungen zu schaffen, welche die Pflegekräfte langfristig im Beruf halten. Erste Anzeichen deuteten beispielsweise darauf hin, dass die Löhne langsam steigen – dies geschehe jedoch viel zu langsam, um den enormen und steigenden Bedarf ausreichend zu decken. «Es scheint, als müsste der Druck auf die Politik noch weiter zunehmen, bevor tiefgreifende Massnahmen ergriffen werden, um das Problem umfassend anzugehen», bilanzierte er.

Ständerat Simon Stocker sprach am Symposium über die Herausforderungen der Hochaltrigkeit für die Politik, hier im humorvollen «Speed Interview» mit Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari von der Universität Zürich. Fotos: Roland Kämpfer / dialog@age

Nicole Zeller: Auf Prävention und Betreuung setzen
Nicole Zeller, Geschäftsleitungsmitglied der Spitex Stadt Luzern, sprach über die Auswirkungen der Langlebigkeit auf Prävention und Betreuung. «Ich bin mir sicher: Investieren wir heute umgehend und nachhaltig in Prävention und Betreuung, können sich künftig mehr Menschen auch im Alter gesund und fit fühlen, was wiederum eine Entlastung des Gesundheitswesens mit sich bringt», sagte sie einleitend. Am Beispiel von Vicino Luzern[2] umriss sie dann, wie Prävention erfolgreich angepackt werden kann. Wichtig sei unter anderem, dass die beteiligten Organisationen sich vernetzten, kennen und konkurrenzfrei gemeinsame Dienstleistungen für ältere Menschen entwickeln. Weiter bräuchten ebendiese älteren Menschen einen niederschwelligen Zugang zu einem Treffpunkt im Quartier, eine niederschwellige und individuelle Beratung rund um verfügbare Dienstleistungen und Alltagsbegleitung – und eine «sorgende Gemeinschaft», in der man füreinander da ist.

Es ist heute schon wichtig und wird noch wichtiger werden, den Bedarf an Betreuung zu erkennen und angemessene Betreuungsleistungen bereitzustellen.

Nicole Zeller

Geschäftsleitungsmitglied Spitex Stadt Luzern

Für die Betreuung bedeutet die Langlebigkeit laut Nicole Zeller zunehmende Anforderungen und eine steigende Anfrage. «Es ist heute schon wichtig und wird noch wichtiger werden, den Bedarf an Betreuung zu erkennen und angemessene Betreuungsleistungen bereitzustellen», betonte sie. Ohne Betreuung könne auch keine sichere Pflege gewährleistet werden. Beispielsweise könne die Pflege allein vielleicht die Symptome von Einsamkeit lindern, jedoch kaum die Ursache behandeln. «Hier braucht es Massnahmen der Betreuung, damit die Person die Sinnhaftigkeit des Lebens wieder spüren und erleben darf», forderte sie.

«Es muss heute in Prävention und Betreuung investiert werden, damit wir die Pflege auch in Zukunft mit den Fachkräften stemmen können, die uns zur Verfügung stehen», Nicole Zeller daraufhin. Ein wirksames Mittel zur Erreichung nachhaltiger Lösungen sei dabei die «Co-Creation»: Betroffene und Akteure wie die Pflege, die Politik und die Krankenkassen sollten sich an einen Tisch setzen, offen ihre Visionen und Ideen besprechen und gemeinsam kreative Lösungen finden und umsetzen. Abschliessend erläuterte Nicole Zeller, dass es möglich sein sollte, «dass Menschen bis zu ihrem Lebensende in dem von ihnen bevorzugten Umfeld wohnen und leben dürfen und dabei gesundheitlich gut versorgt sowie sozial aufgehoben sind und sich sicher fühlen».

Nicole Zeller, Geschäftsleitungsmitglied Spitex Stadt Luzern, sprach über die Wichtigkeit von Prävention und Betreuung, hier mit Hansjörg Lüthi, Präsident von dialog@age.

Marianne Pfister: «Alter braucht ein positiveres Image»
Die letzte Spitex-Vertreterin des Symposiums war Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin von Spitex Schweiz. In ihrem Schlusswort zog sie Bilanz darüber, was die unterschiedlichen Rednerinnen und Redner zur Hochaltrigkeit und deren Auswirkungen auf die Menschen und die gesamte Gesellschaft ausgeführt hatten. Dabei verwies sie darauf, dass das Erreichen eines Alters von 100 Jahren vielleicht schon bald so normal ist wie heute das Feiern des 80. Geburtstags. «Vor dem Symposium habe ich mir die Frage gestellt, ob ich überhaupt 100 Jahre alt werden möchte. Nach dieser Veranstaltung kann ich dies klar bejahen. Vorausgesetzt, meine Lebensqualität stimmt auch im hohen Alter», sagte sie. Zu Letzterem könne jeder Mensch selbst viel beitragen, auch präventiv: Man könne soziale Kontakte pflegen, um Einsamkeit im Alter zu vermeiden, sich viel bewegen, auf eine gesunde Ernährung achten, nicht rauchen – «und mit viel Gelassenheit und Humor durchs Leben gehen», wie sie anfügte.

Die Versorgung sollte nicht auf einzelne Krankheiten fokussieren, sondern den Menschen als Ganzes im
Fokus haben und die Prävention stärken. Und zu dieser Versorgung sollten alle Menschen Zugang haben,
unabhängig von ihrem Portemonnaie.

Marianne Pfister

Co-Geschäftsführerin Spitex Schweiz

Das Symposium habe indes auch gezeigt, wie wichtig der Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung, Pflege und Betreuung für Hochaltrige ist. «Diese Versorgung sollte nicht auf einzelne Krankheiten fokussieren, sondern den Menschen als Ganzes im Fokus haben und die Prävention stärken. Und zu dieser Versorgung sollten alle Menschen Zugang haben, unabhängig von ihrem Portemonnaie», ergänzte sie. Zudem dürfe das Lebensende, das unabänderlich zum Alter gehöre, nicht weiter ein Tabuthema sein. «Und schliesslich braucht das Alter im Allgemeinen ein positiveres Image, als dies heute der Fall ist, denn Alter ist keine Krankheit», betonte sie abschliessend.

Auch in den Pausen wurde angeregt diskutiert, hier unter anderem mit Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin von Spitex Schweiz, die sich für das Schlusswort des Symposiums verantwortlich zeigte.

[1] Der Nonprofit-Verein dialog@age mit Sitz in Langenthal BE will die verschiedensten Akteure zum einem Dialog zusammenbringen, um sektorenübergreifende Lösungen für Herausforderungen der ambulanten und stationären Pflege in der Altersversorgung zu finden.

[2] Der Verein Vicino Luzern setzt sich dafür ein, dass ältere Menschen in ihrem vertrauten Quartier möglichst lang, sicher und selbstbestimmt leben können, unter anderem durch das Wohnen mit Dienstleistungen: www.vicino-luzern.ch

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