6 min 8. Mai 2024 Projekte

Der «Raum des Horrors» macht die Spitex sicherer

Der «Raum des Horrors» von Pflegeexpertin Andrea Käppeli ist ein Sicherheitstraining für Spitex-Mitarbeitende. Die Spitex Muri und Umgebung hat ihn ausprobiert.

RED. «Als moderne Arbeitsgeberin bietet die Spitex Muri und Umgebung ihren Mitarbeitenden neben guten Arbeitsbedingungen und flexiblen Pensen auch die Möglichkeit zur Fort- und Weiterbildung an», erklärt Salvatore Doki, Geschäftsführer der Spitex Muri und Umgebung gegenüber dem «Spitex Magazin». «In diesem Sinne haben wir Andrea Käppeli als erfahrene Pflegeexpertin beauftragt, bei uns das Programm ‹Der Raum des Horrors› als Sicherheitstraining für unsere Mitarbeitenden durchzuführen.» Der «Raum des Horrors» sei eine aktiv gestaltete Weiterbildungsanlage, welche die Teilnehmende auf Sicherheitsrisiken sensibilisiert und mögliche Massnahmen gegen ebendiese Risiken beleuchtet. Geschaffen wurde er für die Spitex Region Muri von Andrea Käppeli, die unter anderem für das Spital Muri als Pflegeexpertin APN tätig ist.

Was der «Raum des Horrors» genau umfasst
Der «Raum des Horrors» und damit das Zentrum der Suche nach Gefahren im Spitex-Alltag ist laut Andrea Käppeli eine von ihr eingerichtete Küche, wie sie in einer üblichen Wohnung anzutreffen ist: Die verwendeten Utensilien sind zum Beispiel verschiedenste Koch- und Lebensmittel und diverse Medikamente. In einer kurzen Fallbeschreibung wird die zu analysierende Kundensituation beschrieben. Das folgende Beispiel für eine solche Situation wurde bei der Spitex Muri und Umgebung in einer ersten Durchführung durchgespielt: Es handelt sich um ein betagtes Ehepaar, in dessen Alltag folgende Risiken beleuchtet werden können (vgl. auch Bilder):

  • Verschiedene Medikamente, die verstreut herumliegen und unsachgemäss gelagert sind. Darunter befinden sich Medikamente, deren Verfalldatum überschritten ist.
  • Wechselwirkung der Medikamente untereinander sowie mit Alkohol.  Auch häufige, spezielle Sicherheitshinweise für bestimmte Medikamenten wurden aufgegriffen und besprochen, zum Beispiel die Überschreitung von Maximaldosen oder fixe Zeitpunkte für die Einnahme.
  • Antibiotikatherapie, die ohne entsprechende Indikationen und ohne Enddatum auf der Medikamentenliste erscheinen und somit zu lange eingenommen werden.
  • Gemäss der Fallbeschreibung liegt eine Laktoseintoleranz vor – was aber nicht zu verschiedenen Milchprodukten im Kühlschrank passte.
  • Der fast leere Kühlschrank gibt Hinweise auf Mangel- oder Fehlernährung. Trotz Diabetes mellitus finden sich zudem diverse Süssigkeiten, Energydrinks und Alkohol in der Küche.
  • Einige Nahrungsmittel werden an ungewöhnlichen Orten gelagert, zum Beispiel Schokolade in der Abwaschmaschine und Zahnpasta im Kühlschrank. Dies können Hinweise auf eine kognitive Einschränkung sein – solche finden sich zusätzlich in der Dokumentation des Falles sowie gut sichtbar in der Kleiderwahl der Kundin (dargestellt anhand einer Schaufensterpuppe): Sie trägt verschiedene Kleidungsschichten über dem Nachthemd.
  • Das Reinigungsmittel inmitten der Kochutensilien stellt eine Verwechslungsgefahr dar.   
  • Sturz- und Stolperfallen wie Teppichränder, nicht sichere Hilfsmittel der Fortbewegung, offene Schrank- oder Gerätetüren sowie ein nasser Boden ergänzen die Gefahren.   
Auf den ersten Blick unscheinbar – auf den zweiten Blick entdeckt man im «Raum des Horros» viele Risiken oder potenzielle Fehler, die interpretiert werden sollten: Herumliegende Medikamente, ein Energydrink trotz Diabetes mellitus, eine Schokolade in der Geschirrspülmaschine und mehr. Bilder: Andrea Käppeli

«Es bieten sich also zahlreiche Ausgangspunkte an, um mit der Lernform ‹Raum des Horrors› den Transfer von theoretischem Wissen in die Praxis umzusetzen», sagt Andrea Käppeli. Je nach Ziel des Programms könne ein Fachgebiet oder ein besonderer Ort ins Zentrum gestellt werden – im Privathaushalt liessen sich viele realistische Szenarien gestalten. Wichtig für eine glaubhafte Inszenierung sei eine Einrichtung, welche dem Alltag entspricht. «Die Realitätstreue ist wichtig für den Wissenstransfer», betont die Pflegeexpertin. Weil Alltagsgegenstände verwendet werden, sei der Aufwand für die Materialbeschaffung und die Einrichtung des jeweiligen Raums gering. «Unterstützend für die Darstellung der Personen sind eine oder mehrere Schaufensterpuppen oder Skelette aus dem Anatomieunterricht. Diese unterstreichen den Realitätsbezug – und tragen häufig zur humorvollen Atmosphäre bei», fügt sie an.

Nur zehn Minuten für die Spurensuche
Damit der «Raum des Horrors» übersichtlich bleibt, empfiehlt Andrea Käppeli, die Auswahl der Lernsequenzen auf rund zehn Gefahren, Risiken oder potenzielle Fehler zu begrenzen. «Auch der zeitliche Aspekt begründet diese Anzahl: die Mitarbeitenden haben bloss rund zehn Minuten Zeit, sich auf Spurensuche zu begeben», ergänzt sie. Weiter empfiehlt sie kleine Teams für einen Durchlauf, denn Fehler oder Gefahren würden von kleinen Gruppen häufiger selbst entdeckt, was den Wissenstransfer verbessere. Im geschützten Rahmen des «Raum des Horrors» werden laut Andrea Käppeli oft konkrete simulierte Situationen mit der aktuellen Praxis verglichen und Schlüsse daraus gezogen. «Im Zentrum steht also nicht nur der Prozess der Gefahrenerkennung, sondern auch der Austausch darüber», erklärt sie.

Im Zentrum des ‹Raum des
Horrors› steht nicht nur der
Prozess der Gefahrenerkennung, sondern auch der Austausch
darüber.

Andrea Käppeli

Pflegeexpertin, Spital Muri AG

Weiter könnten manche Teilnehmende alle sturzbegünstigenden Faktoren aus der Theorie aufzählen – sie in der simulierten Situation aber nicht auf Anhieb erkennen. «Das Ziel besteht darin, das Auge entsprechend zu trainieren», sagt Andrea Käppeli: Die Teilnehmenden seien mit allen Sinnen im ‹Raum des Horrors› unterwegs. Sie schauten in den Kühlschrank und den Backofen, riechen an Getränken, sorgen mit dem Öffnen von Rollos für bessere Lichtverhältnisse und vieles mehr. Dabei sei auch darauf zu achten, dass keine zusätzlichen Risiken eingebaut werden – etwa, indem eine Schranktür nicht wieder geschlossen wird.

«Der ‹Raum des Horrors› ist eine wirkungsvolle Lernanlage für die Praxis, insbesondere zur Steigerung der Sicherheit – und dies überzeug auch die Zielgruppe der Spitex-Mitarbeitenden», versichert Andrea Käppeli abschliessend. «Ein Erfolgsfaktor scheint der humorvolle Ansatz. Die Szenen lassen sich witzig und leicht überspitzt gestalten, so dass Leichtigkeit in ein grundsätzlich ernstes Thema kommt. Dies schätzen die Teilnehmenden, die im Alltag oft mit belastenden Situationen zu tun haben. Ausserdem zeigt der ‹Raum des Horrors› auf, das Lernen nicht nur aktiv, sondern auch lustvoll sein kann – und was lustvoll ist, ist oft nachhaltiger als herkömmliche Lernarrangements.»

Wer mehr über den «Raum des Horrors» erfahren will, kann sich an Andrea Käppeli wenden: andrea.kaeppeli@spital-muri.ch

Spitex Muri und Umgebung
Die Spitex Muri und Umgebung stellt die Pflege und Hilfe zu Hause in 11 Gemeinden mit insgesamt rund 23000 Einwohnerinnen und Einwohnern sicher. Mit diesen 11 Gemeinden hat die Spitex Muri und Umgebung eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen und hat deshalb eine Versorgungspflicht. Ausser Pflege und Hilfe zu Hause bietet die Spitex Muri und Umgebung auch spezialisierte Pflege wie Spezialisierte Palliative Care (SPC), psychiatrische und gerontopsychiatrische Pflege sowie Betreuung an.

Auch Utensilien wie Hilfsmittel für die Fortbewegung werden auf Sicherheitsrisiken geprüft, und die Kleidung der «Klientin» kann zum Beispiel Hinweise auf eine kognitive Einschränkung liefern.

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