KI arbeitet im Backoffice mit
In Bereichen wie HR, Führung sowie Marketing und Kommunikation kann künstliche Intelligenz (KI) der Spitex viel Unterstützung bieten – dieser Überzeugung ist KI-Spezialistin Dr. Anne Scherer.
KATHRIN MORF. «KI kann das Backoffice [1] der Spitex bereits heute erheblich entlasten, indem sie insbesondere repetitive Aufgaben übernimmt. Darum rate ich Spitex-Organisationen, hier mit dem Einführen von KI zu beginnen», sagt Dr. Anne Scherer. Die Betriebswirtschafterin hat bis November 2023 als Assistenzprofessorin an der Universität Zürich die Auswirkungen neuer Technologien erforscht, sie hat das Buch «You & AI» [2] mitverfasst, sie leitet unter anderem KI-Kurse für Spitex-Organisationen – und sie ist Mitgründerin von Delta Labs. Diese Zürcher Beratungsfirma unterstützt andere Unternehmen bei der Implementierung von KI. «Bei neuen Kunden analysieren wir spezifische Abläufe und Herausforderungen in den einzelnen Abteilungen genau», berichtet sie. Denn: Welches KI-Tool am besten für den jeweiligen Bereich geeignet ist, hänge von Faktoren wie dem Budget, der Datengrundlage sowie spezifischen Zielen ab. Besonders gut dürften indes folgende Bereiche des Spitex-Backoffice von KI profitieren:
- HR: «Für HR, Marketing und Kommunikation sowie den Kundenkontakt gibt es eine besonders grosse Vielzahl von KI-Angeboten auf dem Markt», sagt Anne Scherer. Zuerst zum HR: «KI sorgt hier zum Beispiel für ‹Targeted Recruiting›, also für eine gezielte Rekrutierung. Dies, indem die Technologie die Stelleninserate der Spitex nur interessierten Menschen zeigt und den Inhalt der Inserate sogar an die jeweilige Zielperson anpasst», erklärt sie. Weiter könnten Anbieter wie «Humanyze» (www.humanyze.com) auf verschiedene Art und Weise Hilfestellung für die Personalentwicklung bieten: «Sie können unter anderem dafür sorgen, dass KI ‹Hidden Champions› aufdeckt. Dies sind Mitarbeitende, die nicht auffallen, sich aber für eine Förderung oder Beförderung gut eignen.»
- Marketing und Kommunikation: «Im Marketing kann ein Chatbot die Kundenkommunikation ganz übernehmen oder zumindest die kurzen Nachrichten von Mitarbeitenden schön ausformulieren – und dabei auf die Präferenzen der Kundinnen und Kunden eingehen», sagt Anne Scherer. In ihren KI-Kursen für Kommunikationsfachpersonen stellt sie insbesondere «Large Language Models» (LLM) vor, welche menschliche Anweisungen verstehen und auf Basis von Deep Learning und riesigen Datenmengen arbeiten. So kann «ChatGPT» von OpenAI für eine Kommunikationsabteilung verschiedenste Texte schreiben, kürzen und zusammenfassen sowie unzählige Fragen beantworten (chat.openai.com). «Aber: Wird mit solchen LLM gearbeitet, kann dies in Bezug auf den Schutz von sensiblen Spitex-Daten problematisch sein», gibt sie zu bedenken. Auch darum habe Delta Labs die KI-Kommunikationsassistenz «DeltaOne» auf Basis der Modelle von OpenAI kreiert. DeltaOne erlernt den Kommunikationsstil einer Organisation und verfasst dazu passende Texte für Kanäle wie Newsletter, Reden oder verschiedene Social-Media-Plattformen (www.delta-one.ai). «Dabei bleiben die eingegebenen Daten in der Schweiz und werden nicht wie bei ChatGPT für das Training der KI-Modelle verwendet», erklärt sie. Zur kostenpflichtigen Version ChatGPT 4.0 gehört «DALL-E-3», das Bilder und Illustrationen generiert. Die urheberrechtliche Situation in Bezug auf diese Bilder ist derzeit allerdings nicht geklärt. Immerhin verweigert sich DALL-E aus rechtlichen Gründen, wenn jemand Bilder mit Prominenten oder Logos gestalten will. Weiter stellt Anne Scherer «Canva» (www.canva.com) für die Gestaltung von Präsentationen vor – und «Midjourney» (www.midjourney.com), das ebenfalls Bilder generiert, wenn auch mit einem noch risikoreicheren Umgang mit Urheberrechten. «Bei all diesen KI-Systemen müssen Kommunikationsfachpersonen auf ein gutes ‹Prompten› achten, also auf das genaue Instruieren der KI. Zudem sind das Prüfen und Nachbearbeiten aller Ergebnisse zentral», fügt sie an. «Wird generative KI gut eingesetzt, kann sie in Marketing und Kommunikation für eine Zeitersparnis von 40 Prozent sorgen.»
- Kundenkontakt: «KI-basierte Chatbots können zur Verbesserung der Erreichbarkeit und Effizienz des Kundenkontakts beitragen», so Anne Scherer. «Hat ein Mensch wenig Zeit, wird seine Kommunikation kurz und funktional – der Chatbot bleibt hingegen immer freundlich und antwortet jederzeit und ausführlich. Darum wird die Interaktion mit Chatbots in Studien oft besser bewertet als diejenige mit gestressten Gesundheitsfachpersonen.» Ein Anbieter solcher Bots ist die Firma Aveniq (vgl. Bericht). «Ein Bot kann bei der Kontaktierung durch eine neue Klientin oder einen neuen Klienten bereits einfache Fragen wie diejenige nach dem Wohnort klären», erklärt Roland Prüssmann, Head of Digital Solutions & Professional Services. Auch könne ein Bot auslesen, was Klientinnen und Klienten auf standardisierten Formularen angekreuzt haben. Und er könne helfen, Anfragen per Mail automatisiert zu beantworten, wobei der Bot auch erkennt, wann er im Zweifelsfalle Mails an einen menschlichen Bearbeiter weiterleiten soll. «Vor allem häufige Fragen kann der Bot nicht nur per Mail, sondern auch im Chat beantworten», erklärt er. «Die Herausforderung bei der Spitex sehe ich jedoch in der Akzeptanz eines Bots durch die oft älteren Klientinnen und Klienten. Zudem muss sichergestellt werden, dass der Bot keine Auskunft über sensible Daten erteilt.»
- Führung: LLM können Führungspersonen laut Anne Scherer helfen, mit der heutigen «Informationsflut» umzugehen: Denn die Technologie könne verschiedenste Informationen wie Studien oder News gemäss den Interessen einer Organisation filtern und zusammenfassen. «Zudem kann sie aus den Daten einer Spitex-Organisation eine Übersicht zu Themen wie der Auslastung der einzelnen Teams erstellen. Mit alledem können Führungspersonen schneller und besser informierte Entscheidungen treffen.»
- Einsatzpläne: Eine technologische Lösung, welche das gesamte komplexe Erstellen eines Spitex-Einsatzplans allein übernehmen kann, kennen weder Anne Scherer noch Roland Prüssmann. Sie sind sich einig, dass hier ein umfassendes Pilotprojekt nötig sein dürfte. Laut Roland Prüssmann hat Aveniq allerdings eine App für einen Teilbereich der Dienstplanung entwickelt: «Die App reagiert sofort, wenn sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter kurzfristig krankmeldet. Dann versendet sie eine Push-Nachricht an alle Personen, die einspringen könnten. Sagt jemand zu, informiert die App die dienstleitende Person sowie das Team. Schliesslich kann ein Bot automatisiert die Einsatzplanung aktualisieren und der einspringenden Person die wichtigsten Informationen zu ihren Einsätzen zusenden», erklärt er.
Hybride Intelligenz bedeutet, dass Menschen die
Entscheidungen von KI
überwachen, überprüfen und
gegebenenfalls korrigieren.
DR. ANNE SCHERER
KI-Spezialistin, Delta Labs
Die Wichtigkeit von Kontrolle und Management
Die Benutzerfreundlichkeit von KI Mangelnde Benutzerfreundlichkeit stehe der Einführung von KI immer weniger im Weg, ist Anne Scherer überzeugt. Eine grosse Hürde seien hingegen die unklare Rechtslage (vgl. Infokasten) und die verbreitete «KI-Skepsis». «Die Forschung zeigt, dass im medizinischen Bereich oft eine gewisse ‹Algorithmus-Aversion› existiert. Um diese Hürde zu überwinden, braucht es Bildungsmassnahmen, um das Verständnis für künstliche Intelligenz zu vergrössern und das Vertrauen in sie zu stärken», sagt sie. «Das Management einer Organisation muss zudem eine klare Vision und Richtung vorgeben, wie KI die Arbeit unterstützen kann. Dies beinhaltet unter anderem die Entwicklung von KI-Richtlinien und die Schaffung einer Kultur, in der Innovationen gefördert werden.» Die KI-Spezialistin rät allen Spitex-Organisationen, die Möglichkeiten von KI proaktiv zu erkunden – auch, um nicht den Anschluss an diese wichtige technologische Entwicklung zu verlieren. «Indem wir die Stärken von Mensch und Maschine kombinieren, können wir eine Zukunft gestalten, in der Technologie und Menschlichkeit Hand in Hand gehen», sagt sie.
«In den umschriebenen und vielen weiteren Bereichen des Backoffice bringe KI zwar viele Chancen mit sich, aber auch Risiken», mahnt Anne Scherer dann. Das Risiko des Datenmissbrauchs mache klare Richtlinien zum Umgang mit sensiblen Daten nötig. «Weil KI voreingenommen sein kann, muss mit regelmässigen Überprüfungen sichergestellt werden, dass keine diskriminierenden Muster oder Verzerrungen in den KI-Systemen vorhanden sind», fügt sie an.
Weiter würden insbesondere Sprachmodelle manchmal Inhalte generieren, die irreführend oder ungenau sind. Um dieses Risiko zu minimieren, sei der Ansatz der «hybriden Intelligenz» zentral: «Im Alltag bedeutet dies, dass Menschen die Entscheidungen der KI überwachen, überprüfen und gegebenenfalls korrigieren», erklärt sie. «Um dies sicherzustellen, müssen die Mitarbeitenden geschult werden, um die Funktionen und Grenzen der KI-Technologie zu verstehen – und damit in der Lage zu sein, KI jederzeit zu hinterfragen.»
[1]Mit «Backoffice» ist der Bereich einer Spitex-Organisation gemeint, der sich nicht direkt mit dem Kerngeschäft – der Pflege und Betreuung – befasst, sondern mit dessen Aufrechterhaltung. Dazu gehören unter anderem Finanzbuchhaltung, HR, Marketing und Kommunikation und IT.
[2]Anne Scherer, Cindy Candrian: «You & AI: Alles über Künstliche Intelligenz und wie sie unser Leben prägt». Herausgegeben am 05.04.2023 von der Delta Labs AG in Deutsch und Englisch: www.delta-labs.ch/you-and-ai