Grossprojekt bringt Mikroteams und Kontinuität
Das sozialmedizinische Zentrum (SMZ) der Region Sion-Hérens-Conthey will mit einem gross angelegten Projekt die Individualisierung seiner Spitex-Leistungen verbessern. Es startete vor über drei Jahren und umfasst unter anderem die Bildung von Mikroteams.
FLORA GUÉRY. Das sozialmedizinische Zentrum der Region Sion-Hérens-Conthey (SMZ SHC) ist in der Vergangenheit von Klientinnen und Klienten sowie Angehörigen häufig auf die mangelnde Individualisierung seiner Pflege angesprochen worden. Was sie damit meinten: Häufig waren sie mit einer hohen Personalfluktuation bei der Spitex konfrontiert, was die Kontinuität in der Pflege beeinträchtigte – und dazu führte, dass die Angehörigen teilweise Schwierigkeiten hatten, die richtige Ansprechperson bei der Spitex zu finden. Insbesondere für die Verbesserung dieser Ausgangslage erarbeitete das SMZ SHC ein Projekt, das seit Januar 2021 umgesetzt wird. Herausfordernd ist dies, weil die Spitex des SMZ über 400 Mitarbeitende zählt, die in multidisziplinären Teams an fünf Standorten organisiert und für beinahe 3300 Klientinnen und Klienten zuständig sind. «Das ehrgeizige, auf einem partizipativen Ansatz beruhende Projekt begann in Pilotphase an zwei Standorten, bevor es auf alle fünf ausgeweitet wurde», berichtet Arnaud Zufferey, Spitex-Leiter eines Standorts und Projektverantwortlicher. «Erst analysierten wir die Ausgangslage anhand qualitativer und quantitativer Indikatoren und begannen auf dieser Basis mit der Arbeit an den Projektzielen», ergänzt Christine Libanore, Pflegeexpertin und wissenschaftliche Beraterin des Projekts.
Die Ziele des Projekts
Um die Individualisierung der Spitex-Leistungen – im Sinne von der Kontinuität im Pflege-Team, das jeweils für eine Klientin oder einen Klienten zuständig ist – zu erhöhen, besteht das übergeordnete Projektziel darin, die Organisation der Einsätze bei den Klientinnen und Klienten zu verbessern. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Unterziele festgelegt:
- Die Anzahl der Mitarbeitenden, die bei einer Klientin oder einem Klienten Einsätze leisten, verringern.
- Individuelle und qualitativ hochwertige Dienstleistungen anbieten, um die Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten und die Wettbewerbsfähigkeit des SMZ SHC zu erhöhen.
- Monitoring der Entwicklung der Spitex-Leistungen durchführen.
- Die Autonomie der Mitarbeitenden erhöhen, um die Kosten des SMZ zu senken.
- Die Personalbindung erhöhen und die Fluktuation verringern.
- Ein gut umsetzbares neues Betriebsmodell in den Bereichen Management, Pflegequalität und Klientenbetreuung ausstatten.
- Die Hierarchien durch eine Änderung der Management-Philosophie stark reduzieren (im Pilotprojekt wurde die Zahl der Führungskräfte von sieben auf drei reduziert – ohne Entlassungen, sondern durch berufliche Veränderungen).
«Die Entwicklung eines neuen Modells für unsere Berufspraxis war wesentlich, um den Wandel hin zur Individualisierung der Pflege zu begleiten», sagt Arnaud Zufferey. Das Projekt beinhalte eine umfassende Transformation in Verbindung mit dem holokratischen Modell1 und der transformationalen Führung2, ergänzt Christine Libanore, die einen ausführlichen Projektbericht erstellt hat, der als Grundlage für diesen Bericht diente.
Der enge Einbezug der Teams ist eine der grossen Stärken unseres Projekts.
Arnaud Zufferey
Projektleiter SMZ SHC
Der Ablauf des Projekts
Die Vorbereitungsphase, in welche die Direktion und das gesamte Teams eingebunden wurde, fand Anfang 2021 statt. Die Pilotstandorte starteten das Projekt im September 2022 (Nendaz) und Januar 2023 (Les Coteaux du Soleil). Die anderen Standorte (Hérens, Le Coteau und Sion) waren rund ein Jahr später bereit. Jeder Standort setzte seine eigenen Prioritäten, behielt jedoch die folgenden zentralen Umsetzungsschritte bei:
- Schulung der Standortleitenden im horizontalen Management
- Informationsveranstaltungen für die Teams
- Einbeziehung aller Teams in Überlegungen zur individuellen Pflege während Workshops, die mit der Bono-Hut-Methode3 moderiert wurden
- Befragung der Klientinnen und Klienten sowie Mitarbeitenden zum Thema Individualisierung der Leistungen – dies zu Beginn des Projekts sowie nach der Einführung der Änderungen, genauer ein Jahr nach der Stabilisierung der neuen Situation.
Arnaud Zufferey sagt, dass der enge Einbezug der Teams eine der grossen Stärken des Projekts war: «Die Kritik der Mitarbeitenden hat es ermöglicht, das Projekt erst zu dekonstruieren – um es dann noch besser neu konstruieren zu können.» Weiter berichtet der Projektleiter, dass die Klientinnen und Klienten es schätzten, dass das SMZ an Verbesserungen arbeitet und dabei an ihrer Meinung interessiert ist. In Bezug auf die Individualisierung der Pflege ergab die erste Zufriedenheitsumfrage, dass sowohl die Klientinnen und Klienten als auch die Mitarbeitenden das Projekt überwiegend positiv wahrnehmen. Um diese subjektive Wahrnehmung mit der Realität abgleichen zu können, setzt das SMZ quantitative Daten ein. Deren Analyse ergab: Je grösser der Standort und je grösser der verfügbare Pool an Mitarbeitenden ist, desto mehr unterschiedliche Personen kommen bei den Klientinnen und Klienten zum Einsatz. Die Möglichkeit, auf Mitarbeitende anderer Teams zurückgreifen zu können, erhöht zusätzlich die Anzahl der für eine Klientin oder einen Klienten zuständigen Personen, insbesondere bei Einsätzen am Abend und am Wochenende. Die Problematik betrifft zudem vor allem Klientinnen und Klienten mit täglichen oder sogar mehrmals täglichen Einsätzen der Spitex. Auch Klientinnen und Klienten, die verschiedene Leistungen des SMZ in Anspruch nimmt, sieht sich mit grösserer Wahrscheinlichkeit mit einer hohen Anzahl unterschiedlicher Mitarbeitenden konfrontiert.
Ohne proaktives Eingreifen sind in Bezug auf diese Problematik keine Fortschritte zu erwarten. «Sobald wir mit der Umsetzung unserer Ziele begannen, waren hingegen Verbesserungen zu beobachten», berichtet Christine Libanore. «Wir waren angenehm überrascht, dass sich die Kontinuität im Pflege-Team verbesserte und sich auch HR-Indikatoren positiv entwickelten – so gab es weniger Fehlzeiten und eine bessere Effizienz der Leistungen», ergänzt Arnaud Zufferey.
Arbeit in Mikroteams
Um den die Kontinuität in den für einen Klienten oder eine Klientin zuständigen Teams zu fördern, wurden Mikroteams mit rund zwölf Spitex-Mitarbeitenden gebildet, wobei auch die Rolle der «infirmière référente » gestärkt wurde – also die Rolle einer bestimmten Pflegefachperson als zentrale Ansprechpartnerin. Den Mitarbeitenden wurde mehr klinische Verantwortung übertragen und parallel dazu wurden die Zahl der Kaderstellen reduziert, wie Arnaud Zufferey erklärt. «Die Arbeit am Abbau der Hierarchien war an den grossen Standorten eine grössere, weil dort die Hierarchien viel stärker ausgeprägt waren», sagt Christine Libanore.
Die Minderheit der Klientinnen und Klienten wünschten keine Abnahme der Zahl ihrer Betreuenden, was gewährleistet wurde. «Einige Klientinnen und Klienten äussersten ihr Bedauern darüber, dass sie nach der Änderung von bestimmten Personen, mit denen sie sich angefreundet hatten, nicht mehr besucht würden», erklärte Christine Libanore. Um eine Erschöpfung der Teams zu vermeiden, wurde auch die grössere Rotation der Zuständigen bei Klienten und Klientinnen in sehr komplexen Situationen beibehalten. Die Arbeit in Mikroteams erforderte Anpassungen. An einem Standort kam es beispielsweise während der Sommerferien zu einer Überlastung der Mikroteams, weil die Urlaubsplanung noch vor der Einführung der neuen Strukturen durchgeführt worden war. Dies machte eine Verstärkung der Teams erforderlich. Insgesamt hoben die Mitarbeitenden in der Umfrage aber hervor, dass sich die Zusammenarbeit in den Mikroteams im Laufe der Zeit verbessert hat, was vor allem auf eine bessere Planung der Einsätze, die Verbesserung des Informationsaustausches und eine bessere Unterstützung zurückzuführen ist. Auch bewerten die Mitarbeitenden die Betreuung der Klientinnen und Klienten als besser und schätzen es, dass sie öfters dieselben Personen pflegen können. Laut Arnaud Zufferey wurde auch die Änderung des Betriebsmodells gut aufgenommen. Er und Christine Libanore ziehen dann auch eine erste positive Gesamtbilanz: «Mit den Mikroteams haben wir den Mitarbeitenden die Möglichkeit eingeräumt, wieder die Führung über ihre klinische Praxis zu übernehmen», freut er sich.
Widerspruch zu einem bisherigen grossen Vorteil?
Die beiden Interviewten betonen, dass das SMZ SHC seine Dienste jeweils schnell nach einer Anmeldung anbieten kann – bei der Pflege innert bloss vier Stunden. Dies Stärke des Zentrums erfordere eine schnelle Reaktionsfähigkeit in der Einsatzplanung der Mitarbeitenden, und laut Arnaud Zufferey stellen die neuen Mikro-Teams in diesem Zusammenhang eine Herausforderung dar. «Diese beiden Faktoren stehen im Spannungsverhältnis zueinander. Aber das Pilotprojekt und die Datenauswertung haben gezeigt, dass es hier möglich ist, einen guten Mittelweg zu finden», versichert er.
Der Projektbericht wird in der Endphase des Projekts auf Anfrage zur Verfügung gestellt (in Französisch): christine.libanore@cms-smz.ch
- Das holokratische Modell zielt darauf ab, Autorität und Entscheidungsfindung innerhalb einer Organisation zu verteilen und dabei traditionelle Hierarchien zu überwinden. ↩︎
- Transformationale Führung setzt auf die Motivation der Teammitglieder und die Schaffung einer gemeinsamen Vision, um die Ziele einer Organisation zu erreichen. ↩︎
- Die Bono-Hut-Methode ist eine Denktechnik, die vom Psychologen Edward de Bono entwickelt wurde. Sie besteht darin, mithilfe von sechs symbolischen «Hüten» verschiedene Aspekte einer Situation oder eines Problems zu analysieren und damit ein strukturierteres, kreativeres Denken zu fördern. ↩︎