Giana und Aimee: dank der Kinderspitex zu Hause

Wie komplex die Fälle der Kinderspitex Zentralschweiz sind, zeigt sich an Giana (1) aus Luzern, die auf künstliche Ernährung und Beatmung angewiesen ist. Oder an Aimee (11) aus Galgenen SZ, die wegen einer seltenen Magenkrankheit schon ihr ganzes Leben von der Kinderspitex gepflegt wird.

KATHRIN MORF. Betritt jemand das Zimmer von Giana Noela, demonstriert das Kleinkind sogleich strahlend, was es kürzlich gelernt hat: begeistertes Winken. «Sie freut sich riesig über jeden Menschen», sagt Mutter Aika Stadelmann lächelnd. Doch dann beginnt der Atem des Mädchens zu rasseln, und es wird klar: Gianas Start ins Leben war keineswegs nur von Fröhlichkeit geprägt.

Giana: Speise- und Luftröhre machen Probleme
Dass etwas mit Giana nicht stimmte, bemerkten die Ärzte, als sich immer mehr Fruchtwasser in der Gebärmutter der werdenden Mutter Aika Stadelmann staute. Es war augenscheinlich, dass der Fötus das Wasser nicht zu schlucken vermochte. Am 6. Oktober 2021 wurde die Kleine per Kaiserschnitt auf die Welt geholt; in der 28. Schwangerschaftswoche. Bald stellten die Ärzte verschiedene Diagnosen, darunter Ösophagusatresie, Ösophagusstenose, Laryngotracheale Spalte und schwere Laryngotrachebronchomalazie. «Das bedeutet, dass Gianas Speiseröhre nicht durchgehend und zu eng war. Und ihre Luftröhre war zu weich und mit der Speiseröhre verwachsen», erklärt ihr Vater Oswald Stadelmann. Insgesamt dreimal wurde das Neugeborene in Luzern und Lausanne operiert.

Weil ihre Luftröhre immer noch zu weich war, musste Giana dennoch weiterhin rund um die Uhr über eine Trachealkanüle beatmet werden. Und weil sie noch nicht schlucken konnte, wurde sie künstlich ernährt. Trotz alledem verkündeten die Ärzte im Sommer 2022, Giana könne nun nach Hause. «Wir dachten damals, dass dies mit der Beatmung unmöglich ist», erinnert sich Oswald Stadelmann. Anfänglich sei ihm mulmig beim Gedanken gewesen, mit seinem kranken Kind zu Hause zu leben. Aber die Eltern merkten schnell, dass sie keineswegs ins kalte Wasser geworfen wurden – und auf die Unterstützung der Kinderspitex Zentralschweiz zählen konnten.

Mir gefällt, dass ich bei der Kinderspitex die verschiedensten Familien in ihrem Zuhause unterstützen kann.

Elisabeth Wehrli

Mitarbeiterin Kinderspitex Zentralschweiz

Giana: Heimkehr von langer Hand vorbereitet
«Sehr komplexe Fälle von Spitalentlassungen werden weit vorausgeplant und schrittweise umgesetzt», erklärt Pflegefachfrau Pädiatrie Ramona Zeier, welche die Familie Stadelmann an diesem kalten Wintertag unterstützt. Zuerst wurde im Sommer 2022 ein runder Tisch mit allen Beteiligten durchgeführt, um die Spitalentlassung zu planen. «Die Kinderspitex hat Giana und ihre Eltern zudem im Spital kennengelernt und sie begleitet, als sie nach Hause durften», berichtet Ramona Zeier weiter. Erst war Giana nur wenige Stunden zu Hause; daraufhin wurden die Aufenthalte sukzessive verlängert und die Eltern wurden Schritt für Schritt mit ihrer Tochter alleingelassen. «Die kompetenten und engagierten Mitarbeiterinnen der Kinderspitex waren eine grossartige Unterstützung und haben all unsere Fragen beantwortet. Damit gaben sie uns die Sicherheit, die wir benötigten, um Giana nach Hause zu holen», lobt Oswald Stadelmann. 

Eine dieser Mitarbeiterinnen ist Ramona Zeier. Die Mutter dreier Kinder konnte ihr Arbeitspensum bereits mehrfach an ihre Familiensituation anpassen, derzeit liegt es bei 30 Stellenprozent. «Die grösste Herausforderung meiner Arbeit ist der Umgang mit dem Tod eines Kindes», berichtet sie. «Ich habe aber gelernt, dass ich auch als professionelle Pflegefachfrau trauern darf. Und dass mir die Kinderspitex dabei hilft, sei es durch Trauerrituale im Team oder durch eine Supervision.» Trotz aller Herausforderungen gefalle ihr aber grundsätzlich alles an ihrem Beruf, fügt sie an. «Besonders mag ich die grosse Selbstständigkeit, dass ich die Kinder und ihre Familien während des gesamten Krankheitsverlaufs begleiten darf und dass meine Arbeit äusserst abwechslungsreich ist.»

Aimee: Die Verdauung funktioniert nicht richtig
In Galgenen SZ ist derweil Elisabeth Wehrli für die Kinderspitex Zentralschweiz unterwegs. «Ich freue mich, dass ich im März ins Skilager darf», erzählt Aimee-Lou Egli der Pflegefachfrau soeben strahlend. Aimees Grossvater wird die Elfjährige ins Lager begleiten, weil jemand ihre künstliche Ernährung betreuen muss.

Dass Aimees Verdauung nicht funktionierte, zeigte sich bald nach ihrer Geburt: Der Säugling erbrach andauernd und nahm nicht an Gewicht zu. «Erst wurde Aimees verdrehter Magen operiert, aber zu einer verbesserten Nahrungsaufnahme führte dies nicht», berichtet ihre Mutter Corin Egli. Nach vielen Tests konnte endlich eine Diagnose gestellt werden: Aimee leidet an der seltenen Darmerkrankung Hypoganglionose. «Diese führt dazu, dass Aimees Ganglienzellen nicht ausreichend Kontraktionen des Darms auslösen. Darum kann sie ihr Essen nicht richtig absorbieren», erklärt ihre Mutter. Aimee wird darum seither nachts über einen zentralen Venenkatheter mit einer speziellen Infusionslösung ernährt und lebt mit einem künstlichen Darmausgang.

Aimee-Lou Egli braucht eine spezielle Infusionslösung über einen zentralen Venenkatheter; hier wird sie betreut von Elisabeth Wehrli.
Bild: Michael Steck

Aimee: Die Kinderspitex begleitet die Heimkehr
Als Aimee 3 Monate alt war, eröffnete man ihren Eltern, dass die Kleine bereit für die Spitalentlassung war. Auch Corin Egli hatte bis dahin nicht geglaubt, dass ein Baby mit einem solch komplexen Pflegebedarf nach Hause darf. «Die Umstellung funktionierte aber gut, weil die Kinderspitex mich bestens in meine Aufgaben einführte. Und weil jeden Morgen und jeden Abend eine Pflegefachfrau bei mir war, bis ich das Anschliessen und Abhängen der parenteralen Ernährung beherrschte», erzählt die Mutter. Seither wird die Familie noch einmal pro Woche von der Kinderspitex besucht, seit acht Jahren auch von Elisabeth Wehrli.

Die 63-Jährige hat selbst drei erwachsene Kinder sowie einen Enkel und arbeitet seit acht Jahren für die Kinderspitex Zentralschweiz; derzeit einen halben Tag pro Woche. Drei Tage ist sie zudem im Spital von Lachen tätig. «Ich habe diese Kombination gewählt, weil ich in der Wöchnerinnenabteilung des Spitals arbeite und dort die grösseren Kinder vermisse», erklärt sie. Ihr gefalle zudem, dass sie bei der Kinderspitex «die verschiedensten Familien in ihrem Zuhause unterstützen und dazu beitragen kann, dass ein Kind nicht im Spital bleiben muss.» Zudem sei die Arbeit sehr interessant und wertschätzend. «Und sie ermöglicht mir viele besondere, oft langjährige Beziehungen zu Kindern und ihren Familien», ergänzt sie.

Aimee: Auch auf die Kinder wird gehört
Dann schliesst die Pflegefachfrau sanft den Beutel mit der Infusionslösung an Aimees zentralen Venenkatheter an. «Ich bin froh, dass die Kinderspitex einmal pro Woche Aimees Gesundheitszustand kontrolliert», sagt Corin Egli. Die Mitarbeiterinnen der Kinderspitex seien zudem äusserst herzlich, ein wichtiges Verbindungsglied zum Kinderspital – und flexibel, wenn die Eglis einen Termin verschieben möchten. «Das alles macht die Kinderspitex für uns sehr wertvoll», betont Corin Egli, die Teilzeit in der Betreuung von beeinträchtigten Menschen arbeitet. Gleich nach Aimees Geburt habe das Kinderspital bei der IV erfolgreich darum gekämpft, dass Aimees Krankheit als Geburtsgebrechen anerkannt wurde, berichtet sie weiter. Seither stelle die Finanzierung von Aimees Pflege glücklicherweise kein Problem mehr dar.

Die Mitarbeiterinnen der Kinderspitex sind alle sehr nett und
hören gut auf mich.

Aimee-Lou Egli

Patientin der Kinderspitex Zentralschweiz

Inzwischen tröpfelt die künstliche Nahrung in Aimees Venen, und das Mädchen schiebt den bunt geschmückten Infusionsständer in die Küche. Dort kontrolliert sie, ob Corin Eglis Lebenspartner Fabio Sacco am Herd alles richtig macht. «Kochen ist mein Hobby, neben Klettern und Schwimmen», erklärt die Elfjährige – und berichtet weiter, dass sie «ganz normal die 5. Klasse besucht; nur meinen Stoma-Beutel muss ich in den Pausen manchmal leeren.» Über die Mitarbeiterinnen der Kinderspitex sagt Aimee begeistert: «Sie sind alle sehr nett. Und sie hören gut auf mich.»

Kinder trotz ihres jungen Alters ernst zu nehmen, ist laut Elisabeth Wehrli von zentraler Bedeutung. «Auch Kinder haben zum Beispiel ein Recht auf eine gute Aufklärung über ihre Pflege. Wie man dies in kindgerechter Sprache gewährleistet, haben wir bei der Kinderspitex Zentralschweiz in einer Weiterbildung vertieft», berichtet sie. In einer anderen Weiterbildung habe sie zum Beispiel erfahren, wie wichtig der Einbezug allfälliger Geschwister ist. «Oft ist ein krankes Kind das Zentrum der Familie. Darum muss auch die Kinderspitex darauf achten, dass seine Geschwister nicht vergessen gehen», erklärt sie – und betrachtet schmunzelnd, wie Aimee mit ihrer Katze Charlie spricht. «Aimee wird ihre künstliche Ernährung noch vor ihrer Volljährigkeit allein handhaben können und die Kinderspitex nicht mehr brauchen», sagt die Pflegefachfrau. Sie selbst will Aimees Pflegeteam allerdings bereits in einem Jahr ­verlassen, weil der Ruhestand lockt. «Dann musst du mich aber doch weiter besuchen kommen», stellt Aimee klar – und «ihre» Pflegefachfrau bestätigt dies lachend.

Trotz künstlicher Ernährung und Beatmung darf Giana dank der Kinderspitex zu Hause sein, hier auf den Knien ihres Vaters.
Bild: Natalie Melina Fotografie

Giana: Das Zuhause fördert die Genesung
Doch zurück zu Giana nach Luzern: Sie ist inzwischen 14 Monate alt und muss nur noch alle eineinhalb Monate ins Spital, damit dort ihre Speiseröhre geweitet werden kann. «Zudem mussten wir in letzter Zeit wegen eines Infekts zweimal notfallmässig ins Spital», ergänzt Oswald Stadelmann. Weil Giana sich häufig übergab, wurde ihr zudem ein zusätzlicher Zugang direkt in den Dünndarm gelegt, ein sogenannter jejunaler Zugang. Mit der Kombination aus jejunaler und gastraler Ernährung kann sie ihre Mahlzeiten nun besser bei sich behalten. Zwei bis vier Stunden pro Tag ist eine Mitarbeiterin der Kinderspitex Zentralschweiz bei Giana und kümmert sich zum Beispiel um ihre Flüssigkeitsaufnahme, schliesst die Magensonde an oder wechselt Kanülen. «Zudem braucht Giana eine professionelle Überwachung rund um die Uhr, weil sich ihr Gesundheitszustand schnell verschlechtern kann», erklärt Ramona Zeier. Auch in drei bis vier Nächten pro Woche wacht die Kinderspitex über das Kleinkind, das nachts noch beatmet werden muss. Dabei gilt es zum Beispiel regelmässig Sekret abzusaugen, die Sonde zurechtzurücken oder im Falle eines Alarms des Beatmungsgeräts den Zustand von Giana zu prüfen. «Angesichts der komplexen Medizinaltechnik, welche die Kinderspitex heute einsetzt, sind wir längst auch Technikerinnen und nicht nur Pflegefachpersonen», sagt Ramona Zeier.

Dass Giana in einem normalen Zuhause leben darf, wo ihre ganze Familie rund um die Uhr bei ihr ist, ist ein riesiger Vorteil in ihrer Genesung.

Oswald Stadelmann

Vater von Giana (1)

Neben den Kinderspitex-Mitarbeitenden haben nur Oswald und Aika Stadelmann die nötigen Kenntnisse für Gianas Überwachung. «Meine Frau und ich sind längst Fachpersonen für die Pflege unserer Tochter. Dennoch stossen wir mit der anspruchsvollen 24-Stunden-Betreuung manchmal an unsere Grenzen», räumt Oswald Stadelmann ein. Die Familie hätte eigentlich Anspruch auf mehr Unterstützung durch die Kinderspitex – das nötige Pflegefachpersonal ist in der Region aber schlichtweg nicht vorhanden (vgl. Interview mit Helene Meyer-Jenni). Die gebürtige Tansanierin Aika Stadelmann ist vollumfänglich zu Hause; Oswald Stadelmann arbeitet indes als Projektingenieur Umwelt und kümmert sich zeitweise um seinen Sohn aus einer früheren Beziehung. «Und manchmal muss ich mich auch um den teilweise kräftezehrenden Kampf um die angemessene Finanzierung aller entstandenen Kosten durch die Pflege und Betreuung von Giana kümmern», ergänzt er. Genauer möchte er auf dieses Thema jedoch nicht eingehen. Lieber erzählt er, dass die Ärzte davon ausgehen, dass Giana bereits ab Sommer 2023 auch nachts eigenständig atmen kann. Durch viel Stimulation lernt die Kleine zudem derzeit das Schlucken. «Ich denke gerne optimistisch und glaube darum daran, dass Giana in einem Jahr auch selbstständig essen kann», sagt Aika Stadelmann. Und ihr Mann fügt an, dass das Paar trotz aller Herausforderungen sehr dankbar dafür ist, dass seine Tochter nicht im Spital leben muss: «Dass Giana in einem normalen Zuhause leben darf, wo ihre ganze Familie rund um die Uhr bei ihr ist, ist ein riesiger Vorteil in ihrer Genesung», sagt er.

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