Gewalt in der Partnerschaft kommt auch im Alter vor 

Die Sensibilisierungskampagne «Gewalt bei älteren Paaren» wurde Mitte Dezember 2023 von der Haute Ecole de la Santé La Source (HES-SO), dem senior-lab und dem nationalen Kompetenzzentrum Alter ohne Gewalt lanciert. Sie wird in Zusammen­arbeit mit verschiedenen Verbänden – darunter Spitex Schweiz - durchgeführt und basiert auf den Ergebnissen einer nationalen qualitativen Studie.

FLORA GUÉRY. Statistiken zeigen, dass Seniorinnen und Senioren die vorhandenen Schweizer Hilfsangebote bei häuslicher Gewalt (Beratungsstellen für Opferhilfe, Schutzhäuser, Polizei usw.) kaum in Anspruch nehmen. Zudem fällt auf, dass Präventionskampagnen zu Gewalt in der Partnerschaft sehr selten den Fokus auf Personen ab 64 Jahren legen, obwohl diese fast 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Im Weiteren ist in der Schweiz eine von fünf Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Angesichts all dieser Feststellungen haben die Haute Ecole de la Santé La Source (HES-SO) und das senior-lab aus Lausanne von 2022 bis 2023 eine nationale qualitative Studie durchgeführt. 

Im Rahmen dieser Studie kamen ältere Menschen, darunter ehemalige Opfer von Partnerschaftsgewalt, sowie Fachpersonen zu den Themen Altern und häus­liche Gewalt zu Wort. Mehrere Spitex-Kantonalverbände nahmen an Interviews und Fokusgruppen in fünf ­Kantonen in den drei grössten Sprachregionen teil. ­Spitex Schweiz arbeitete von Beginn weg als Mitglied des Sounding Boards am Projekt mit.

Spitex-Mitarbeitende spielen eine wichtige Rolle
Die Studie zeigt, wie schwierig es für ältere Opfer ist, Hilfe zu suchen. Eine Vertrauensperson in ihrem Umfeld zu haben (etwa eine Freundin, einen Nachbarn oder eine Fachperson) ist eine wichtige Ressource, um diesen Schritt zu wagen. Spitex-Mitarbeitende können diese Rolle übernehmen, indem sie das Thema ansprechen und das Opfer an die richtigen Hilfsangebote verweisen. Da Spitex-Mitarbeitende oft der einzige regelmässige Besuch älterer Menschen sind, haben sie eine ­privilegierte Position, um Situationen von Partnerschaftsgewalt im Alter zu erkennen. «Wir haben deswegen ein Handbuch zur Unterstützung bei der Erkennung und Betreuung von Gewaltopfern entwickelt, das zahlreiche Tipps, Instrumente und Informationen enthält», sagt Dr. Delphine Roulet Schwab, Professorin an der Fachhochschule für Gesundheit La Source (HES-SO) und Leiterin der Studie.

Weiter hat diese Studie ergeben, dass Partnerschaftsgewalt bei älteren Menschen im Grossen und Ganzen die gleichen Merkmale aufweist wie bei jüngeren Paaren – also Allgegenwart von psychischer Gewalt und Zwangskontrolle, häufig verbunden mit körperlicher und sexueller Gewalt, sowie eine Strategie der sozialen und familiären Isolation. Soziale und gesundheitliche Probleme im Alter (zum Beispiel eingeschränkte Mobilität, ­Abhängigkeit vom Partner, fehlender Internetzugang) treten häufig zusätzlich zur Gewalt auf und erschweren den Zugang zu Hilfsangeboten. Eine Unkenntnis der Hilfs­angebote, Scham, Angst vor Konsequenzen, unflexible Hilfsleistungen (etwa in Bezug auf den Ort der Beratung) und generationsspezifische Normen sind ebenfalls wichtige Hürden. «Wir haben auch festgestellt, dass Kinder von betroffenen Paaren oft in einem Loyalitätskonflikt gegenüber ihren Eltern gefangen sind. Sie haben Angst, dass die Familie auseinanderbricht oder leugnen das Problem. Es ist wichtig, dass die Spitex-Mitarbeitenden auch für diese Problematik sensibilisiert und für solche Situationen gerüstet sind», erklärt Dr. Delphine Roulet Schwab.

Kampagne zur Verbesserung des Zugangs zu Hilfe
Der Zugang zu Hilfsangeboten muss vertraulich und vertrauensvoll erfolgen können. Die Kampagne «Gewalt bei älteren Paaren –
es ist nie zu spät, Hilfe zu holen!» hebt die Nummer des nationalen Kompetenzzentrums Alter ohne Gewalt 0848 00 13 13 hervor, das kostenlose Beratung und Unterstützung anbietet.
Das Sensibilisierungsmaterial (Flyer, Poster, Handbuch und Videos) sowie die Zusammenfassung der Studie sind in Deutsch, Französisch und Italienisch auf der Website www.alterohnegewalt.ch verfügbar. Die vollständige Studie wird Ende März 2024 veröffentlicht und ist online frei zugänglich.

www.alterohnegewalt.ch

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