Eine Fachtagung im Zeichen der Qualität

«Spitex mit Qualität – heute und morgen» hiess das Thema der Fachtagung von Spitex Schweiz vom 16. März 2023. Über 400 Besuchende erfuhren viel über die neuen nationalen Qualitätsvorgaben – aber auch über die zahlreichen Instrumente, mit denen die Spitex ihre Qualität sicherstellt und optimiert.

FLORA GUÉRY, FRANCESCA HEINIGER, KATHRIN MORF UND PIERRE GUMY. Mit den leisen Klängen einer Viola und eines Klaviers läutete die MusikSpitex1 die Fachtagung von Spitex Schweiz ein. «Musik ist die Sprache, die alle verstehen», sagte Thomas Heiniger, Präsident von Spitex Schweiz, in seiner Begrüssungsrede zu den über 400 Besuchenden
– und leitete zum Thema des Anlasses über: «Spitex mit Qualität – heute und morgen».

Die Vorgaben des Bundes und das Beispiel Genf
Die erste Referentin, Anne Lévy, Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), drückte ihre Dankbarkeit gegenüber der «bemerkenswerten Arbeit der Spitex» aus. Dann berichtete sie, dass «in der Schweiz 2500 bis 3000 Todesfälle pro Jahr auf unerwünschte Ereignisse in der Gesundheitsversorgung zurückzuführen sein dürften – und rund die Hälfte davon wären vermeidbar».

Anne Lévy, Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), sprach zum Publikum.

Darum wolle der Bund die Qualität im Gesundheitswesen optimieren, zum Beispiel durch Qualitätsverträge zwischen Leistungserbringern und Versicherern (vgl. Bericht «Die Qualität im Fokus von Spitex und Politik»). «Ziel der Qualitätsentwicklung ist, bestehende Qualitätsstandards zu formalisieren, schweizweit zu vereinheitlichen und damit Verbindlichkeit und Transparenz herzustellen», erklärte Anne Lévy. Die Direktorin des BAG sprach auch über das elektronische Patientendossier (EPD), dessen Qualität ebenfalls laufend verbessert werde und das zum Beispiel bald ein eImpfdossier und eine eMedikation enthalte. Und sie betonte eine Grundlage, die an der Tagung oft wiederholt werden sollte: «Im Fokus der Qualitätsbemühungen müssen stets die Patientinnen und Patienten stehen.»

Ziel der Qualitätsentwicklung ist, bestehende Qualitätsstandards zu formulieren, schweizweit zu vereinheitlichen und damit Verbindlichkeit und Transparenz herzustellen.

ANNE LÉVY

Direktorin Bundesamt für Gesundheit (BAG)

Marie Da Roxa, Direktorin der Genfer Spitex imad (institution genevoise de maintien à domicile) sprach daraufhin über einen umfassenden Ansatz für Qualität, der alle Akteure einbezieht, die an der Pflege zu Hause beteiligt sind. Dabei stellte sie klar, dass eine Organisation für gute Qualität nicht nur ein gutes Qualitätskonzept benötige – Qualität sei auch eine Frage der Unternehmenskultur. «Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter muss Qualität verkörpern», bekräftigte sie. Imad setzt im Qualitätsmanagement auf vielfältige Instrumente, zum Beispiel auf Zufriedenheitsumfragen und ein vorausschauendes Risikomanagement (vgl. auch Infokasten zum «Huddle» unten). Weiter betonte die Direktorin, dass die Qualität der Ausbildung in der Pflege von zentraler Bedeutung sei, auch wenn der Bund derzeit auf die Qualität der KLV-Leistungen fokussiert. «Es gibt keine Qualitätsverbesserung ohne Ausbildung. Und diese Ausbildung muss anerkannt und finanziert werden», sagte sie. Ebenfalls von zentraler Bedeutung für die Qualitätsentwicklung seien «Daten, Daten, Daten»: Durch Daten könne die Spitex ihre Qualität optimieren und belegen. Und schliesslich sprach die Genferin ein Thema an, das für spontanen Applaus sorgte: «Die grösste Herausforderung rund um die Frage, ob wir Qualität weiterhin gewährleisten können, ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Es ist zu hoffen, dass die Umsetzung der Pflegeinitiative nicht ins Stocken gerät.»

Jede Mitarbeiterin
und jeder Mitarbeiter muss
Qualität verkörpern.

MARIE DA ROXA

Direktorin der Genfer Spitex imad

Das Genfer Qualitätsinstrument «Huddle»

Die Genfer Spitex imad setzt seit einigen Monaten ein neues Instrument für die Qualitätsentwicklung ein: den «Huddle». «Der Huddle bedeutet fünf gut investierte Minuten, um für einen Tag Qualität sicherzustellen», sagt Wilfried Tourne, Leiter Pflegequalität. Er ist der Initiator des neuen Ansatzes, der bereits in sechs Teams implementiert wurde. «Huddle» ist die Besprechung des nächsten Spielzugs durch American- Football Spieler («to huddle» heisst «kuscheln» auf Englisch). Bei imad ist der Huddle hingegen ein maximal fünfminütiger, strukturierter Austausch aller Teammitglieder. Dabei treffen diese auch Entscheidungen, welche «die Probleme des Tages lösen – oder verhindern, dass sie überhaupt auftreten», wie Wilfried Tourne erklärt. Der Huddle findet zu Beginn des Tages und am frühen Nachmittag statt, und zwar vor einem «Weissen Brett», welches das Team selbst gestaltet: Die Mitarbeitenden wählen aus der. Tabelle darauf jeweils die zu besprechenden Themen aus – zum Beispiel Apothekenbestellungen, Klientenzufriedenheit oder einsatzbereite Fahrräder. Dann wird das Team ermutigt, Verbesserungsmassnahmen vorzuschlagen und zu testen. Huddle sorge für die Antizipation von Problemen und Risiken – und für die effiziente Weitergabe von Informationen im Team, was schlussendlich mehr Zeit für die Klientinnen und Klienten bedeute, lobt Wilfried Tourne.

Qualität messen und die Premiumpartner
Prof. Dr. Franziska Zúñiga, Mitglied der Eidgenössischen Qualitätskommission (EQK), erklärte in ihrem Referat, dass die EQK für die Umsetzung der Qualitätsziele des Bundes eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung anstrebt. «Wir wollen einheitlich definieren, auf welcher Basis die Leistungserbringer entscheiden, in welchen Bereichen sie an ihrer Qualität arbeiten», erklärte sie. Um dies zu erreichen, werde für alle Leistungserbringer ein internes Monitoring aufgebaut – und ein «Dashboard», also ein öffentlich einsehbares Reporting über Qualitätsentwicklungen. Laut Franziska Zúñiga verfügt die Spitex bereits über gute Instrumente, welche die Grundlage für Monitoring und Dashboard bilden könnten; etwa über interRAI-HCSchweiz für das Assessment und über den Datenpool Home Care Data (HCD) für die Datenanalyse. «Die Frage ist nun, wie die Spitex diese Instrumente in etwas Nationales und Verpflichtendes umwandeln kann», sagte sie (mehr dazu im Bericht S. 15).

Daraufhin machten Vertreter der drei Premiumpartner von Spitex Schweiz klar, dass Qualität auch für sie ein grosses Thema ist. Für Fabian Heeg, Leiter Neuroth-Hörcenter Zug, bedeutet Qualität unter anderem, dass allen Kundinnen und Kunden in allen Filialen die gleiche gute Qualität geboten wird. «Um eine gute Qualität zu erreichen, ist die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeitenden das A und O», fügte Publicare-Geschäftsführer Martin Künzler an. Und Andreas Mäder, Generalagent von Allianz Suisse, erklärte: «Qualität ist, wenn die Kundin oder der Kunde mit Freude wiederkommt.»

Ein angeregtes Podium
Den Fragen von Moderator Hannes Blatter stellte sich am Podiumsgespräch unter anderen Prof. Dr. Bernhard Güntert, Vizepräsident der EQK. Er erklärte, dass eine Herausforderung für die Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen die vielen Player mit unterschiedlichen Verantwortlichkeitsbereichen seien. «Das führt in der Schweiz gewissermassen zu einer hochorganisierten Unzuständigkeit», sagte er. Eine Herausforderung sei diese Unzuständigkeit bei der Finanzierung der nationalen Qualitätsentwicklung. «Durch die Qualitätsmassnahmen, Qualitätsmessungen und das Qualitätsreporting entstehen Zusatzaufwände auf allen Ebenen», betonte er. Der ökonomische Nutzen einer verbesserten Leistungsqualität falle aber vor allem bei den Krankenversicherern an. Darum seien die Verhandlungen der Qualitätsverträge ins Stocken geraten, als der Bundesrat verkündete, dass alle Aufwände der Leistungserbringer und deren Verbände für die Umsetzung der Qualitätsverträge bereits durch die obligatorische Krankenversicherung (OKP) vergütet seien. «Wir werden wohl noch einmal diskutieren müssen, wer für die Finanzierung der Qualitätsentwicklung zuständig ist», schlussfolgerte Bernhard Güntert.

Am Podium der Fachtagung von Spitex Schweiz wurde angeregt diskutiert, aber auch gelacht. Es nahmen teil: Bernhard Güntert (von links), Kathrin Huber, Moderator Hannes Blatter, Marie Da Roxa und Cornelis Kooijman. Bilder: Anja Zurbrügg

Imad-Direktorin Marie Da Roxa hinterfragte derweil, wieso vonseiten der Finanzierer nur die Versicherer in die Verhandlungen der Qualitätsverträge einbezogen werden. «Die Restfinanzierer tragen vielerorts gleich viel oder mehr als die Versicherer zur Finanzierung der ambulanten Pflege bei. Und dennoch können derzeit nur die Versicherer bestimmte Bedingungen oder Grenzen für die Qualitätsentwicklung festlegen», sagte sie. Diese Problematik sieht auch Kathrin Huber, designierte Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK). Sie bemängelte, «dass die Versicherer die Eckpunkte der Qualitätsentwicklung definieren, aber offenbar keinen Rappen an die Finanzierung der entstehenden Zusatzaufwände leisten können». Stattdessen werde erwartet, dass die Kosten von den Restfinanzierern getragen werden. «Die Kantone sind zudem für die Aufsicht und Zulassung der Leistungserbringer und damit ebenfalls für deren Qualität verantwortlich», ergänzte sie. Sie hoffe, dass sich die künftigen Qualitätsverträge mit den Qualitätsvorgaben der Kantone vereinbaren lassen.

Weil Pius Zängerle, Direktor von curafutura, wegen Krankheit ausfiel, sprang Cornelis Kooijman kurzfristig als vierter Podiumsteilnehmer ein. Der Co-Geschäftsführer von Spitex Schweiz betonte, dass sich der Dachverband dafür einsetzt, dass bestehende kantonale Vorgaben wie periodische Qualitäts-Audits im Qualitätsvertrag der Pflege zu Hause berücksichtigt werden. Ansonsten käme doppelte Arbeit auf viele Spitex-Organisationen zu. Schliesslich forderte er, dass «die Versicherer alle Zusatzaufwände mitfinanzieren müssen, welche für die Spitex durch den Qualitätsvertrag entstehen» (vgl. auch Bericht «Die Qualität im Fokus von Spitex und Politik»). Dies sorgte erneut für Applaus im Publikum, das kurz darauf in die Mittagspause voller angeregter Gespräche entlassen wurde.

Session A: Spitex und Labels
Am Nachmittag wurde die Tagung mit vier Parallelsessionen gestaltet. Session A drehte sich um die Frage, ob es sich für Spitex-Organisationen lohnt, ein Qualitätslabel anzustreben. Beatrice Jenni, Geschäftsführerin der Spitex Wasseramt (SO), bejahte diese Frage in Bezug auf das «Swiss Care Excellence Certificate» (SCEC, vgl. «Spitex Magazin» 4/2021) – auch wenn ihre Organisation für die Dokumentation zu jedem der 30 Kriterien des SCEC zwischen 5 und 30 Stunden aufgewendet habe. Dadurch habe man aber die Stärken und Schwächen der eigenen Leistungen erkannt und Prioritäten in der Qualitätsentwicklung klären können. «Zudem sind unsere Mitarbeitenden stolz auf diesen Prozess, der die Qualität ihrer Arbeit sichtbar macht. Und das ist auch ein Pluspunkt bei der Suche nach Fachkräften.»

Thierry Monod, wissenschaftlicher Berater der Genfer Gesundheitsdirektion, berichtete von einer Kooperation aller Spitex-Betriebe des Kantons, darunter imad und der Verein qualitépalliative. Im Rahmen dieser Kooperation wurden ein Konzept und Kriterien entwickelt, die den Organisationen das Erlangen des Labels «Qualität in Palliative Care» von palliative.ch ermöglicht (zu einer aktuellen Verleihung vgl. Infokasten unten). «Wir haben die ersten fünf Kriterien ausgewählt, welche den Austausch zwischen allen Akteuren des kantonalen Palliative- Care-Netzwerks erleichtern sollen. Zwei Pilotbetriebe werden das Modell ab 2023 testen», erklärte er.

Team Brückendienst der Spitex Stadt Luzern erhält Zertifikat
Der Schweizerische Verein für Qualität in Palliative Care hat dem Brückendienst der Spitex Stadt Luzern am 28. Februar 2023 das Label «Qualität in Palliative Care» verliehen, basierend auf den Qualitätsstandards von palliative.ch. Das Team Brückendienst hat seit seiner Gründung im Jahr 2011 über 2000 unheilbar kranken und sterbenden Menschen durch eine umfassende Betreuung bis zuletzt das Leben zu Hause ermöglicht. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit von vier Monaten habe der Brückendienst das Audit am 19. Januar 2023 mit Bestnoten bestanden, schreibt die Spitex Stadt Luzern in einer Medienmitteilung. Das Label bestätige die hohe Qualität der Arbeit des Teams und mache diese Qualität nach aussen sichtbarer, sagt Caroline Kriemler, Projektleiterin und Pflegexpertin Palliative Care. Zudem habe der Zertifizierungsprozess das Team dazu angeregt, «kreativ und konstruktiv Lösungen neu zu denken und die Qualität seiner Leistungen für die betroffenen Menschen weiter zu verbessern».
→ www.spitex-luzern.ch/brueckendienst

Yves O. Aeschbacher, Geschäftsführer von healthy+ (www.healthyplus.ch), betonte die Wichtigkeit der Verständlichkeit und Zugänglichkeit von Informationen wie Richtlinien für die Ausbildung des Personals und damit für die Qualität. Sein Unternehmen bietet ein Instrument zur Verbesserung des Informationsflusses an, welches die Spitex Heitersberg (AG) derzeit einführt. «Das bringt uns dazu, unsere bestehenden Kommunikationsmittel zu hinterfragen und über noch fehlende nachzudenken», erklärte Lucia Erne, Leiterin Qualität und Sicherheit bei der Spitex Heitersberg.

Session B: Qualität und Daten
In Session B sprachen die Pflegeexpertinnen APN Azra Karabegovic und Rachel Jenkins über den Nutzen von HCD in komplexen Situationen (vgl. auch «Spitex Magazin» 4/2021). Die grösste Spitex der Deutschschweiz trägt die vielen Daten über ihre Klientinnen und Klienten in HCD ein, von wo diese in das Datenverarbeitungssystem Qlik Sense weiterfliessen. Mit diesem lassen sich die Daten zum Beispiel grafisch darstellen. Die Pflegeexpertinnen haben in den vergangenen zwei Jahren die Daten von 65 Klientinnen und Klienten analysiert und dabei herausgefunden, dass die durchschnittliche Klientin der Pflegeexpertinnen von Spitex Zürich weiblich, alleinstehend und 72 Jahre alt ist. Ihre wichtigsten Pflegediagnosen sind Probleme bei der Hauswirtschaft, das Frailty-Syndrom im Alter sowie eingeschränkte Mobilität. Und ihr Bedarf an Nicht-KLV-Leistungen (Hauswirtschaft) beträgt pro Quartal zum Beispiel 53 Stunden. «Diese Daten sind wichtig, damit wir unserer Kundschaft besser begegnen, unsere Herausforderungen besser definieren und die Teams in komplexen Situationen gut unterstützen können», erklärte Rachel Jenkins. «Zum Beispiel können wir damit zeigen, wie wichtig Hauswirtschaftsleistungen sind», fügte Azra Karabegovic an.

Der Frage, welche Qualitätsindikatoren (QI) sich für die Qualitätsmessung bei der Spitex eignen, ging eine HCD-Forschungsgruppe (vgl. auch «Spitex Magazin» 1/2021) im Rahmen der Studie «Bessere Daten zur Qualität der häuslichen Pflege» nach. Dies als Teil des Nationalen Forschungsprogramms «Gesundheitsversorgung» (NFP74). Co-Autorin Dr. Aylin Wagner berichtete an der Fachtagung, dass Public-Health-Fachpersonen 18 von 43 untersuchten QI als praxistauglich beurteilen, Spitex- Fachpersonen dagegen nur sieben. Dazu gehörten zum Beispiel der tägliche Schmerz und die Dehydratation der Klientinnen und Klienten.2 (vgl. «Spitex Magazin» 4/2021).

Weil HCD keine Aussagen zur Klientenzufriedenheit zulässt, erarbeiteten Eva Hollenstein, Sarah Schmelzer und Florian Liberatore von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Rahmen des NFP74 zudem das «CSI-HC», das «Client Satisfaction Instrument Home Care» (vgl. «Spitex Magazin» 4/2021). Dr. Florian Liberatore stellte das Instrument zur Messung der Klientenzufriedenheit bei der Spitex vor. Die Beziehungsqualität sei zum Beispiel ein Faktor, den Klientinnen und Klienten oder gegebenenfalls auch deren Angehörige beurteilen könnten. Die Forschenden haben auch das kostenlose Handbuch «Client Satisfaction Instrument Home Care» erarbeitet, das bereits von zahlreichen Spitex-Organisationen genutzt wird3.

Alle Mitarbeitenden der Geschäftsstelle von Spitex Schweiz waren im Einsatz, hier Ruth Hagen und Aziz Moudi beim Verteilen der Programmhefte.

Session C: Umgang mit Fehlern und Beschwerden
«Wir können voneinander lernen, sodass wir nicht alle die gleichen Fehler machen müssen», erläuterte Helmut Paula, Leiter des CIRRNET der Stiftung Patientensicherheit Schweiz. Dank dieses «Critical Incident Reporting & Reacting NETwork» können auch Spitex-Organisationen, die sich diesem nationalen Netzwerk angeschlossen haben, die Fehlermeldungen aus ihrem Critical Incident Reporting System (CIRS) anonymisiert in einen nationalen Datenpool einspeisen (www.patientensicherheit.ch/cirrnet/). Die einfache Theorie des Lernens aus den Fehlern der anderen sei in der Praxis jedoch schwer umzusetzen, fügte Helmut Paula an. Beispielsweise müsse der Austausch zwischen verschiedenen Teams, Abteilungen und sogar mit verschiedenen Partnern im Pflegenetzwerk häufiger stattfinden.

Als Qualitätsverantwortliche bei der Waadtländer Spitex AVASAD (Association vaudoise d’aide et soins à domicile) betonte Julie Bucher Andary, wie wichtig es sei, Beschwerden als Ressourcen zu betrachten – um die Leistungen der Spitex zu verbessern und die Rechte der Klientinnen und Klienten geltend zu machen. AVASAD habe 200 Führungskräfte geschult – insbesondere in der Handhabung eines Tools zur Rückverfolgung von Beschwerden –, damit immer anhand der gleichen
Standards mit Beschwerden umgegangen wird.

Zudem umriss die klinische Pflegefachfrau Florence Meister, wie das Fehlermanagement im sozialmedizinischen Zentrum (SMZ) Martigny & Region digitalisiert und systematisiert wird (mehr dazu im Bericht S. 30).

Session D: Medikation und Wissensaustausch
In Session D sprach Prof. Dr. Carla Meyer-Massetti über ihr Projekt «doMESTIC RedPIM», in dessen Rahmen eine interprofessionelle Medikationsanalyse erprobt wird (mehr dazu im Bericht zum Thema Medikationssicherheit). Dann betonte Dr. Angela Schnelli, Leiterin der Fachstelle Spitexentwicklung beim Spitex Verband Thurgau (vgl. auch Bericht «Wie Pflegeexpertinnen und Pflegeexperten für mehr Qualität sorgen»), die Wichtigkeit des Wissensaustauschs für die Qualitätsentwicklung. Der Austausch zwischen den Mitgliederorganisationen des Spitex Verbands Kanton Thurgau werde mit verschiedenen Austauschgefässen und gemeinsamen Arbeitsgruppen sichergestellt – oder auch mit der Schweizer App Beekeeper. «Über diese App können sich auch Spitex-Mitarbeitende aus unterschiedlichen Organisationen austauschen und vernetzen», berichtete Angela Schnelli. Weiter seien kantonale Vorgaben wichtig für die Qualitätsentwicklung. Spitex-Organisationen mit einer Betriebsbewilligung im Kanton Thurgau seien alle zwei Jahre zu einem Peer Review oder einer Selbstevaluation verpflichtet. «Trotz des hohen Initialaufwands bevorzuge ich das Peer Review, da es neben einer Selbstwahrnehmung auch die Fremdwahrnehmung durch eine Partnerorganisation umfasst», erklärte Evelyn Schwab, Geschäftsleiterin der Spitex Regio-Arbon. Ihre Organisation arbeitet mit dem Peer Review von Spitex Schweiz4, das die Selbst- und Fremdevaluation miteinander vergleichen hilft, um Schwachstellen in beiden Organisation zu erkennen.

Die letzten Worte und Klänge der Fachtagung
Für die «Take-Home-Messages» der Fachtagung sorgten die Co-Geschäftsführenden von Spitex Schweiz (vgl. auch Edito): Cornelis Kooijman bilanzierte, er habe erneut erfahren, «wie intensiv und mit welch unterschiedlichen Instrumenten die Spitex-Organisationen bereits an ihrer Qualität arbeiten». Marianne Pfister fügte an: «Die Tagung hat mir zudem noch bewusster gemacht, wie wenige Ressourcen die Spitex-Organisationen zur Verfügung haben.» Beide bekräftigten, dass Spitex Schweiz sich darum weiter intensiv dafür einsetzen werde, dass die nationale Qualitätsentwicklung für die Spitex einen möglichst geringen Zusatzaufwand verursacht, der zudem angemessen finanziert wird.

Daraufhin berichtete Mirjam Toews, Geschäftsleiterin der MusikSpitex, von beeindruckenden Erlebnissen. Zum Beispiel vom Wunsch eines todkranken Mannes nach einem letzten Konzert, den ihm die MusikSpitex erfüllen konnte. Dann griffen die vier anwesenden Musikerinnen und Musiker erneut zu ihren Instrumenten und sorgten dafür, dass die letzten Klänge der Fachtagung – wie schon die ersten – der Musik gehörten.

Cornelia Demmer von der MusikSpitex spielte auf ihrer Laute.

Eine Bildstrecke mit mehr Eindrücken von der Fachtagung findet sich hier. Die nächste Fachtagung von Spitex Schweiz findet am 12. September 2024 statt.

1 Über die MusikSpitex wurde im «Spitex Magazin» berichtet (vgl. Ausgabe 4/2022). Neu arbeitet die MusikSpitex mit Fachpersonen für Musiktherapie zusammen, um auch speziell pflegebedürftigen Personen mit Diagnosen wie z. B. fortgeschrittener Demenz ein Konzert «nach Hause liefern» zu können (www.musikspitex.ch).

2 Die Studie und mehr Informationen dazu finden sich unter www.zhaw.ch/de/medien/medienmitteilungen/detailansichtmedienmitteilung/event-news/qualitaetsindikatoren-fuerspitex-fallen-bei-pflegefachleuten-durch

3 Das Handbuch (in Deutsch) und der Fragebogen können kostenlos heruntergeladen werden.

4 Der Peer Review Leitfaden wurde 2013 von Spitex Schweiz auf der Grundlage des Qualitätsmanuals von 2010 entwickelt. Er muss nun noch an die überarbeitete Version des Manuals von 2022 (www.spitex-qualitaetsmanual.ch) angepasst werden.

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