Ein Team, das sich ganz der psychischen Gesundheit widmet

Seit 15 Jahren ist Sven Bonzi auf Psychiatriepflege spezialisiert. Nun hat er sich dem neuen Team angeschlossen, das sich seit Anfang 2021 ganz der psychischen Gesundheit der Klientinnen und Klienten der Spitex des Gesundheitsnetzes Saane FR widmet.

Sven Bonzi spricht mit einem Klientin, die seit einen Verkehrsunfall an psychischen Problemen leidet. Fotos: Michael Maillard

PIERRE GUMY. Der «Psy-Stützpunkt» des Gesundheitsnetzes Saane, zu dem auch die Spitex gehört, befindet sich in der Nähe der Stadt Freiburg und nur einen Steinwurf von der Autobahn entfernt. Angesichts der über 100 Klientinnen und Klienten, welche das Team derzeit im ­gesamten Bezirk pflegt und betreut, haben die Mitarbeitenden einen engen Zeitplan. So auch Sven Bonzi, der zu einer Klientin fährt, die seit einem Verkehrsunfall an psychischen Problemen leidet. «Nach diesem Ereignis wurden die Schmerzen für sie unerträglich, was zu Angstattacken und Selbstmordgedanken führte», berichtet der Pflegefachmann, der seit drei Monaten für die Klientin zuständig ist. «Durch meine Arbeit mit ihr konnten solche Krisen weitestgehend vermieden werden. Demnächst wird auch ein Kollege, der Experte für traumatische ­Situationen ist, an ihrer Betreuung mitwirken.»

Sven Bonzi freut sich zusammen mit sieben weiteren Teammitgliedern über die Dynamik, welche das Angebot auszeichnet, das sich ganz der psychischen Gesundheit widmet. Im Laufe seiner über 26-jährigen Karriere in der Pflegebranche hat der 47-Jährige aus Estavayer-le-Lac für verschiedene Organisationen gearbeitet, darunter intermediäre Strukturen mit Personen, die auf Bewährung entlassen wurden, und andere Spitex-Organisationen. Doch jedes Mal war die Pflege der psychischen Gesundheit nur eine von vielen Aufgaben, und er war oft der einzige Experte auf diesem Gebiet. Im Dezember 2022 ­begann er schliesslich seine Tätigkeit für die Spitex des Gesundheitsnetzes Saane. 

«Die Arbeitsweise hier gefällt mir», sagt der Pflegefachmann. «Denn in diesem neuen Team habe ich das Glück, mich täglich mit meinen Kolleginnen und Kollegen mit tertiärer oder sekundärer Ausbildung auszutauschen, die alle über unterschiedliche Kenntnisse, An­sätze und Ausbildungen im Bereich der psychischen Gesundheit verfügen.» Sven Bonzi ist überzeugt, dass dieses Konzept sowohl den Klientinnen und Klienten als auch den Mitarbeitenden zugutekommt. Das 2021 ins Leben gerufene Angebot kann auf eine wertvolle Vielfalt an Ressourcen zurückgreifen, um die stets individuellen und komplexen Situationen von Menschen mit psychischer Krankheit zu bewältigen.

Grenzen setzen können
Sven Bonzi schätzt es besonders, eine enge Beziehung zu seinen Klientinnen und Klienten aufbauen zu können. «Mein Ansatz ist eher systemisch und ich baue auf die Ressourcen der von mir betreuten Menschen, damit sie während des gesamten Pflegeprozesses möglichst viel Selbstbestimmung ausüben können.» Ein solches Vertrauensverhältnis lasse sich umso besser aufbauen, wenn das Vertrauen gegenseitig ist. «Als Fachperson für psychische Gesundheit habe ich gelernt, meine Grenzen zu kennen. Je nach Situation teile ich aber durchaus bestimmte Momente meines Privatlebens oder stehe manchmal in meiner Freizeit zur Verfügung», sagt er. Dies bedeute einen heiklen Balanceakt, der eine professionelle Haltung erfordert, die auf viel Erfahrung aufbaut, erklärt er – und parkt sein Auto vor dem Gebäude, in welchem sein erster Einsatz stattfindet. Der Empfang der Klientin ist herzlich, auch wenn man ihr die Schmerzen, die ihr das Leben schwer machen, am Gesicht ablesen kann. 

Der Pflegefachmann und die Frau sitzen bald darauf im Wohnzimmer und beginnen das Gespräch mit den Ereignissen der vergangenen Woche. Ohne das Dossier der Klientin zu öffnen, zählt Sven Bonzi mühelos die letzten Arzttermine auf, welche sie wahrnehmen musste. Es handelte sich dabei um komplexe Behandlungen oder sogar experimentelle Schmerztherapien. Der Pflegefachmann vergewissert sich, dass die Frau all diese Termine ohne allzu grossen Stress bewältigt hat. Seit die Klientin in ihrer Nachbarschaft von einem Auto angefahren worden ist, hat sie Angst, wenn sie aus dem Haus gehen muss. Gestresst ist sie zudem manchmal auch wegen Sprachbarrieren, wegen der vielen an ihrer Behandlung beteiligten Personen oder wegen des Austauschs mit Familienmitgliedern. «Mein Sohn hat aufgehört, Motorrad zu fahren, weil er weiss, dass mir dies seit dem Unfall Angst macht», räumt sie ein. 

Es ist das Vertrauensverhältnis, das sich im Laufe der Treffen entwickelt hat, welches es dem Pflegefachmann nun ermöglicht, mit seiner Patientin Pläne für die Zukunft zu schmieden. «Wir planen Spaziergänge im Freien, die ihre Schmerzen lindern, achten aber gleichzeitig darauf, dass diese Ausflüge nach draussen nicht zu anstrengend sind, um auf ihre Ängste Rücksicht zu nehmen», erklärt er. Als die Klientin sich zu Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und zu Lähmungen im Arm äussert, kann der Spitex-Mitarbeiter erneut die Grenzen seiner Kompetenzen benennen. «Ich bin kein Spezialist auf diesem Gebiet. Wenn die Symptome anhalten, ist ein Arztbesuch das Beste, was Sie tun können», rät er. «Und bei Schmerzen können vielleicht die Fachpersonen für Ergotherapie des Gesundheitsnetzes Saane oder externe Physiotherapeutinnen und -therapeuten Linderung verschaffen.»

«Wie ein Bruder»
Dank seiner 15-jährigen Erfahrung vergisst der Fachmann für Psychiatriepflege keinen wichtigen Aspekt des täglichen Lebens der Klientin – von der Schlafqualität über die Mahlzeiten bis hin zu Besuchen von Angehörigen. Und er leitet gewissermassen einen «Rundgang» durch alle schwierigen Ereignisse für die Frau, die nicht mehr die Kraft hat, ihren Enkel zu tragen, und die ihre Kinder um Hilfe bei vielen alltäglichen Aufgaben bitten muss. «Sie haben Ihre Mutterrolle lange und allein glänzend erfüllt», betont Sven Bonzi, der stets beide Seiten einer Situation beleuchtet, um Schuldzuweisungen zu vermeiden. «Sie sind jetzt eine Seniorin, und es ist normal, dass sich nun die Rollen zwischen Ihren Kindern und Ihnen manchmal umkehren.» Trotz des schwierigen Lebensabschnitts muss die Klientin während des Gesprächs mit dem Fachmann mehrmals lächeln, und schliesslich wird das Gespräch lockerer und dreht sich auch um leichtere Themen. 

«Mein Bruder versteht meine Ängste und ich kann ihm alles sagen. Mit Sven ist es genauso, er ist wie ein Bruder », sagt die Klientin. Der Pflegefachmann nimmt dieses Kompliment mit Freude entgegen – und gibt es in diesem Moment des Vertrauens zurück. «Sie sind eine Frau mit vielen Ressourcen und Qualitäten. Trotz der Schmerzen und der psychologischen Schwierigkeiten sind Sie die Chefin an Bord», sagt er. Seine Bemerkung unterstreicht die Charakterstärke dieser Frau, die es trotz stark angeschlagener psychischer Gesundheit schafft, ihren Haushalt tadellos zu führen und die herausfordernden administrativen Schritte zu bewältigen, die zum Beispiel für die Unterstützung durch die Invaliditätsversicherung nötig sind.

Geteilte Verantwortung
«Diese Situation ist für mich ein konkretes Beispiel für eine erfolgreiche Partnerschaft in der Psychiatriepflege», sagt Sven Bonzi nach dem Einsatz. «Ich habe Menschen betreut, die auf Bewährung waren oder von der Justiz der psychologischen Betreuung zugewiesen wurden. In diesen Fällen ist ein solcher vertrauensvoller Ansatz selten möglich», erzählt er. Dies ist ein weiterer Grund, wieso ihn die Arbeits- und Funktionsweise des neuen Freiburger Teams freut. «In komplexen Situationen können wir zudem unser Fachwissen austauschen und die Verantwortung im Team teilen», ergänzt er. Für den Spitex-Mitarbeitenden ist es notwendig, sich in seiner Freizeit mit seiner Familie zu erholen, um die mentale und emotionale Belastung zu verarbeiten, welche sein Beruf mit sich bringt. «In der Psychiatriepflege ­arbeitet man über die menschliche Beziehung. Da kann man nicht verhindern, dass man manchmal eine Unmenge an Emotionen verarbeiten muss», sagt er.

Das rein psychiatriepflegerische Team ermöglicht schliesslich auch regelmässige formelle und informelle Sitzungen, in welchen stets auch positive Aspekte der Arbeit des Teams hervorgehoben werden. «Unsere Interventionen führen nur zu wenigen greifbaren, klar messbaren Ergebnissen. Es ist darum manchmal schwierig, die Ergebnisse allein zu bewerten», erklärt Sven Bonzi abschliessend. «Durch den Aussenblick meines Teams, aber auch von externen Fachpersonen aus Spitälern oder auch Vormundschaftsbehörden werden die kleinen, langfristig erzielten Erfolge besser sichtbar.»

Durch den Aussenblick meines Teams und externer Fachpersonen werden die kleinen, langfristig erzielten Erfolge besser sichtbar

Sven Bonzi

Pflegefachmann Psychiatrie Gesundheitsnetz Saane

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