Die Spitex sorgt für Jung und Alt

Das Fokusthema «Die Spitex ist auch für jüngere Menschen da» widmet sich den 31 Prozent der Spitex-Klientel, die nicht im Pensionsalter sind. Dazu gehören Erwachsene, welche die Spitex-Einsätze oftmals mit ihrer Erwerbstätigkeit vereinen müssen. Dazu gehören die jungen Klientinnen und Klienten, die gemeinsam mit ihrem Umfeld von der Kinderspitex oder auch von der Mütter-Väter-Beratung der Spitex versorgt werden. Und dazu gehören ganze Familien, die mehrfach belastet sind und ebenfalls auf die Unterstützung der Spitex zählen können.

Fast ein Drittel der Gepflegten ist unter 65 Jahre alt

Das teilweise verbreitete Image, dass die Spitex ausschliesslich Betagte pflegt, ist falsch. 31 Prozent der von ihr gepflegten Klientinnen und Klienten sind nicht im Pensionsalter, Tendenz steigend. 

KATHRIN MORF. «Ich begegne immer wieder dem falschen Bild, dass die Spitex ausschliesslich für die Grundpflege und Betreuung betagter Menschen zuständig ist», sagt Cornelis Kooijman, Co-Geschäftsführer von Spitex Schweiz. Selbst in der Gesundheitsbranche sei man teilweise erstaunt zu hören, dass die Spitex Menschen jeglichen Alters pflegt, auch solche in äusserst komplexen Pflege- und Betreuungssituationen. «Die Spitex ist zwar Expertin für die Pflege und Betreuung ihrer betagten Klientinnen und Klienten – aber diese sind nicht unsere einzige Zielgruppe», betont er. Nationale Statistiken belegten sogar, dass der Anteil an jüngeren Klientinnen und Klienten der Spitex stetig wachse. Genauer zeigt die «Statistik der Hilfe und Pflege zu Hause» des Bundesamts für Statistik (BFS) zum Beispiel das Folgende1:

Ramona Zeier von der Kinderspitex Zentralschweiz mit Giana (1).
Bild: Natalie Melina Fotografie
  • Klientinnen und Klienten in der Pflege: 37,4 % der 290’260 Bezügerinnen und Bezüger von Pflegeleistungen der Nonprofit-Spitex waren 2021 mindestens 80 Jahre alt. Dieser Anteil ist seit 2011 um 12 % gesunken. Der Anteil der 65- bis 79-Jährigen ist von 29,2 % im Jahr 2011 leicht gestiegen auf 31,9 % im Jahr 2021. Der Anteil der 20- bis 64-Jährigen ist hingegen um gut 9 % gestiegen, von 20 % auf 29,3 %. Der Anteil der 5- bis 19-Jährigen stieg gering von 0,9 % auf 1 % und derjenige der 0- bis 4-Jährigen von 0,4 % auf 0,6 %. Betrachtet man die Unterscheidung «bis 64 Jahre alt» und «ab 65 Jahre alt», zeigt sich: 69 % der Gepflegten sind im Rentenalter, 31 % sind es nicht. 2011 lag dieses Verhältnis noch bei 78,5 % zu 21,5 %.
  • Leistungsstunden in der Pflege: 77 % der Behandlungspflege leistete die Nonprofit-Spitex im Jahr 2021 für Menschen ab 65 Jahren, in der Grundpflege waren es 86 %. Menschen vor dem Pensionsalter benötigen in Relation also häufiger komplexere Pflegeleistungen.
  • Klientinnen und Klienten in der Unterstützung: Von den 104 860 Personen, die hauswirtschaftliche Leistungen (HWL) und Sozialbetreuung der Nonprofit-Spitex in Anspruch nahmen, waren 50,7 % mindestens 80 Jahre alt. 2011 waren es noch 46,2 % gewesen. 28,2 % dieser Klientinnen und Klienten waren 2021 65- bis 79-jährig (2011: 27,4 %), 15,2 % waren 20- bis 64-jährig (26,2 %). Rund 0,1 % der unterstützten Personen waren 2021 und 2011 unter 20 Jahre alt. Addiert bedeutet das: Der Anteil der unterstützten Menschen im Pensionsalter lag 2021 bei 79 % und 2011 bei 73,6 %. Der Anteil der Pensionierten an der Gesamtklientel ist bei HWL und Sozialbetreuung folglich grösser als in der Pflege – und wird grösser und nicht kleiner.

«Ein realistisches Bild der Spitex kommunizieren»
Der Anstieg des Anteils jüngerer Klientinnen und Klienten kann laut Cornelis Kooijman mit der zunehmenden Spezialisierung und Professionalisierung der Spitex erklärt werden. «Die Spitex versorgt immer mehr äusserst komplexe Fälle zu Hause. Und komplexe Pflegeleistungen werden von allen Altersstufen benötigt, sei es
wegen einer Krankheit, eines Unfalls oder einer Beeinträchtigung», sagt er. Die zunehmende Komplexität sei wiederum mit dem pflegerischen, medizinischen und medizinaltechnischem Fortschritt zu erklären – aber auch mit dem Leitsatz «ambulant vor stationär»: Die
finanziellen Vorteile der ambulanten Versorgung oder auch die Fallpauschalen führten unter anderem zu immer weniger stationären Betten und immer früheren Spitalentlassungen. «Im Weiteren wird wohl auch allen Zuweisern und den jüngeren Menschen selbst zunehmend bewusst, dass sie die Spitex beiziehen können», fügt er an. Und schliesslich leiste die Spitex immer mehr spezialisierte Pflege wie Psychiatriepflege (vgl. Infokasten hier) oder Onkologiepflege. «Und in diesen Bereichen liegt der Anteil der Klientinnen und Klienten unter 65 Jahre deutlich höher als in der somatischen Pflege, wie interne, nicht repräsentative Zahlen aus dem Datenpool HomeCareData zeigen.»

Die Spitex versorgt immer mehr äusserst komplexe Fälle zu Hause. Und komplexe Pflegeleistungen werden von allen Altersstufen benötigt.

Cornelis Kooijman

Co-Geschäftsführer Spitex Schweiz

Der Co-Geschäftsführer wünscht sich, «dass sich zunehmend das aktuelle Bild einer Spitex verbreitet, die Menschen aller Altersstufen auf hochprofessionellem Niveau pflegt und unterstützt.» Dieses realistische Bild sei insbesondere wichtig, damit die Finanzierer um die Breite und Komplexität der Spitex-Leistungen wissen. «Denn in komplexen Fällen spielt zum Beispiel die Koordination eine zentrale Rolle. Doch die Finanzierer sind oftmals nur mühsam von der Wichtigkeit der Koordinationsleistungen der Spitex zu überzeugen», erklärt er. Das realistische Bild sei aber auch wichtig, damit auch jüngere (potenzielle) Klientinnen und Klienten sowie alle Zuweiser die Spitex als kompetente Dienstleisterin betrachten. Und damit im umstrittenen Fachkräftemarkt bekannt ist, dass die Spitex ihren Arbeitnehmenden ein abwechslungsreiches Arbeitsumfeld mit Klientinnen und Klienten aller Altersstufen bieten kann. «Damit sich dieses realistische Bild immer mehr durchsetzt, sollte die Spitex auf allen Ebenen mit Zahlen und Bildern aufzeigen, dass sie Menschen jeglichen Alters hochprofessionell pflegt und unterstützt», fordert der Co-Geschäftsführer.

Steigende Nachfrage in der ambulanten Psychiatriepflege
In der ambulanten Psychiatriepflege durch die Spitex dürfte der Anteil jüngerer Menschen an der
Gesamtklientel besonders hoch liegen. Das Obsan Bulletin 2/2022 hält zum Beispiel fest, dass psychische Erkrankungen in der Bevölkerung zunehmen, und dies insbesondere unter Kindern und Jugendlichen.
Zur Behandlung der zunehmenden Fälle sind laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) vermehrt ambulante und intermediäre Settings nötig; hier bestünden aber Versorgungslücken. Auch die Spitex spüre diese ­Zunahme an psychischen Erkrankungen und die Verlagerung ihrer Behandlung in den ambulanten Bereich, sagt Ruth Hagen, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Spitex Schweiz. «Zum Beispiel sind viele Kinder­spitex-Organisationen stark mit Anfragen von Kindern und Jugendlichen mit psychiatrischen Diagnosen konfrontiert. Und viele Organisationen möchten die Psychiatriepflege auf- oder ausbauen.» Noch ver­füge man aber nicht über ausreichend psychiatrisches Fachpersonal, das auf Kinder und Jugendliche spezialisiert ist (vgl. auch Interview mit Helene Meyer-Jenni). 

Auch die Erwachsenen-Spitex verzeichnet laut Ruth Hagen eine Zunahme an Anfragen für die Versorgung psychisch kranker Menschen. «Die Spitex-Organisationen finden kaum spezialisiertes Personal – und wenn sie es gefunden haben, erschweren manche Krankenversicherer die Zulassung», kritisiert sie. Damit sich Kinderspitex und Erwachsenenspitex häufiger an der psychiatrischen Versorgung beteiligen
könnten, müsste zudem die Finanzierung gesichert sein. «Heute gibt es in der Psychiatriepflege der Spitex noch zu viele Rückweisungen der Versicherer», sagt sie. Genauer wird auf die Spitex-Psychiatriepflege im «Spitex Magazin» 4/2023 eingegangen.


1 – Grundlage sind die Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) zu den 337 629 Klientinnen und Klienten, welche im Jahr 2021 durch 41 463 Mitarbeitende der Nonprofit-Spitex gepflegt und unterstützt wurden. Verglichen werden die Angaben zum Alter dieser Klientinnen und Klienten mit der Statistik des BFS aus dem Jahr 2011. Die Zahlen werden auf eine Dezimalstelle gerundet.

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