Alterswohnungen mit Rundum-Versorgung bei Tag und bei Nacht

Die Thurvita AG aus Wil SG sorgt mit dem Modell «Älterwerden im Quartier» dafür, dass ältere Menschen bis zum Lebensende in ihrer eigenen Wohnung leben können. Dies unter anderem dank eines Spitex-Stützpunkts in unmittelbarer Nähe, eines Finanzierungssystems, das keine Grenzen zwischen ambulant und stationär kennt – und eines breiten Angebots an Pflege und Betreuung, auch in der Nacht.

KATHRIN MORF. Mit dem Modell «Älterwerden im Quartier» will die Thurvita AG den Wunsch vieler Menschen erfüllen, bis zum Lebensende in den eigenen vier ­Wänden wohnen zu können. «Dies passt zu unserem Leitgedanken ‹Daheim – ein Leben lang›», sagt Esther ­Indermaur, Leiterin ambulante Leistungen und Geschäftsleitungsmitglied der gemeinnützigen Thurvita AG, die sich im Besitz der Gemeinden Wil SG, Nieder­helfenschwil SG und Wilen TG befindet (vgl. Spitex Magazin 1/2022). Die Organisation betreibt unter anderem vier Pflegeheime, Angebote für Übergangspflege, die Thurvita Spitex – und das intermediäre Angebot «Älterwerden im Quartier», das auf fünf Bausteine setzt:

So wird das «Quartierzentrum City» der Thurvita AG, das direkt am Bahnhof Wil gelegen ist und unter anderem einen Spitex-Stützpunkt sowie 32 Alterswohnungen mit Pflege und Betreuung bei Tag und Nacht umfasst, aussehen. Visualisierung: 1291 Die Schweizer Anlagestiftung (Nacht-Bearbeitung: Stutz Medien)
  1. Wohnungen für selbstbestimmtes Wohnen im Alter: Bereits jetzt erprobt die Thurvita «Älterwerden im Quartier» in 28 Wohnungen der Genossenschaft für Alterswohnungen in Wil. Mit all seinen Bau­steinen so richtig zum Tragen kommen wird das Modell allerdings erst mit eigens dafür konstruierten 32 Alterswohnungen, die zum «Quartierzentrum City» gehören. Dieses befindet sich neben dem Bahn­hof Wil im Bau und soll im April 2026 eröffnen. Weitere 32 «Älterwerden im Quartier»-Alterswohnungen entstehen bis Frühling 2027 beim Thurvita-Alterszentrum «Sonnenhof» in Wil. Die 2- bis 3,5-Zimmer-Wohnungen sind von Grund auf barrierefrei gestaltet und erfüllen die Bedingungen für altersgerechte Bauten. «Für alle Mietenden steht zudem ein Notrufknopf sowie ein Notruf-Armband zur Verfügung, und dieses System ist beliebig ­ausbaubar, zum Beispiel durch Bewegungs- und Sturzsensoren», erklärt Esther Indermaur.
  2. Ein angeschlossener Quartierstützpunkt: Ein Stützpunkt der Thurvita Spitex befindet sich im gleichen Gebäude wie die «Älterwerden im ­Quartier»-Alterswohnungen und ist 24/7 besetzt. Im Falle des «Quartierzentrums City» sind auch eine Tagesstruktur und ein Thurvita-Restaurant in diesem Gebäude untergebracht – und die Be­wohnenden können trockenen Fusses zum Bahnhof Wil ­gelangen. «Dass sich unsere Quartierzentren am Puls des Lebens befinden, ist für das selbstbestimmte Wohnen im Alter genauso wichtig wie ein umfassendes Betreuungsangebot», sagt Esther Indermaur.
  3. Ein umfassendes Betreuungsangebot: «Als Betrieb mit vielen Facetten können wir unseren Mietenden sehr viele Angebote bieten. Dazu gehört die qua­lifizierte somatische, psychiatrische und palliative Pflege durch die Spitex – bei Tag und bei Nacht», beginnt Esther Indermaur aufzuzählen. Wei­ter verfüge die Thurvita AG über Angebote für ­Physiotherapie und Ergotherapie und biete zahlreiche ­Betreuungsleistungen an – wie Hauswirtschaft, Mahlzeitendienst, Hilfe bei administrativen Anliegen, Mittagstische und Aktivierungsangebote. Für eine gute Versorgung der Bewohnenden setze man im Weiteren auf eine gute Kooperation mit externen Akteuren wie der Hausärzteschaft, den Gemeinden, Pro Senectute, den Angehörigen – und dem Spitex-Förderverein Thurvita, der dank 120 Freiwilligen «viel Abwechslung und Freude in den Alltag unserer Mietenden bringt», wie Esther Indermaur anfügt.
  4. Eine quartierverantwortliche Person: Eine Quartier­verantwortliche oder ein Quartierverantwortlicher begleitet alle Bewohnenden. «Die quartierverantwortliche Person steht den Mietenden bei Fragen und Anliegen zur Verfügung und hilft ihnen, sich im Alltag zu organisieren. Zudem führt sie selbst Anlässe wie einen Mieter-Stammtisch durch oder unterstützt die Bewohnenden bei der Organisation», umreisst Esther Indermaur. Für die Wohnungen der Genossenschaft für Alterswohnungen amtet derzeit Pflege-Teamleiterin Sandra Künzli als Quartierverantwortliche. Sie kennt alle Bewohnenden gut und geht auch proaktiv auf sie zu. Beispielsweise erfuhr sie eines Tages von der Buchhaltung, dass ein Mieter seine Rechnungen nicht fristgerecht bezahlte. «Ich wurde bei ihm vorstellig und fand eine mit Wäsche- und Zeitungsbergen zugestellte, muffig riechende Wohnung vor», erzählt sie. «In mehreren Gesprächen konnte ich den Mieter für die hauswirtschaftliche und psychosoziale Unterstützung der Spitex gewinnen.»
  5. Die Überwindung der Finanzierungsgrenzen: Aussergewöhnlich an der vielschichtigen Finanzierung von «Älterwerden im Quartier» ist, dass die Thurvita in den Alterswohnungen stationär oder ambulant abrechnet. «Sobald eine Person viele Betreuungsleistungen benötigt oder sobald die Einsätze für ihre Pflege nicht mehr plan­bar sind, muss diese Person aktuell meist in ein Pflegeheim ziehen», sagt Esther Indermaur. Dank der genannten Bausteine von «Älterwerden im Quartier» erfüllen die zugehörigen Alterswohnungen nun aber die Vorgaben des Kantons St. Gallen an ein Alters- und Pflegeheim. «Darum dürfen wir in einer Wohnung ein ‹virtuelles Heim› eröffnen und dort fortan stationär abrechnen», erklärt sie. «Dies ist relevant, weil die stationäre Finanzierung in der Tagestaxe unter anderem auch Betreuungsleistungen beinhaltet.» Derzeit rechnet die Thurvita in vier der 28 Alterswohnungen, in denen sie «Älterwerden im Quartier» erprobt, stationär ab – und bekundet damit laut Esther Indermaur keinerlei Probleme.

Eine Spitex-Mitarbeiterin wird Tag und Nacht auf Unterstützungsbedarf reagieren und in spätestens 10 bis 15 Minuten bei den Bewohnenden sein.

Esther Indermaur

Thurvita AG

Das Spitex-Angebot genauer betrachtet
Dank «Älterwerden im Quartier» müssten Mietende ihre Alterswohnung selbst mit Pflegestufe 12 nicht verlassen, sagt Esther Indermaur. Das Angebot habe jedoch seine Grenzen: «Starke kognitive Einschränkungen, wie sie bei fortgeschrittener Demenz vorkommen, sind ein Ausschlusskriterium, weil sie die nötigen Absprachen verunmöglichen und die Sicherheit der Mietenden gefährden.» Keine Grenze stellt indes dar, wenn ältere Menschen auch in der dunklen Tageszeit auf Dienstleistungen angewiesen sind: «Die Thurvita Spitex bietet schon länger Einsätze in der Nacht für Personen an, die darauf medikations- oder behandlungsbedingt angewiesen sind», berichtet sie. Zudem könnten Kundinnen und Kunden nachts auf die Pikett-Nummer der Thurvita Spitex anrufen. Kostendeckend führen könne die Spitex dieses nächtliche Angebot aber nicht. «Das Angebot wird von den Gemeinden Wil und Wilen, für die wir Spitex-Leistungen erbringen, finanziell unterstützt.»

Im Rahmen von «Älterwerden im Quartier» wird das Nachtangebot der Thurvita Spitex durch den erwähnten Spitex-Stützpunkt ausgebaut, der rund um die Uhr besetzt ist. «Bewohnende von stationären Einrichtungen können jederzeit eine Glocke läuten, wenn sie Unterstützung benötigen. Da unsere Quartierzentren für stationär abgerechnete Mietende ein stations-äquivalentes Angebot bieten, wird eine Spitex-Mitarbeiterin dort Tag und Nacht auf Unterstützungsbedarf reagieren und in spätestens 10 bis 15 Minuten bei den Bewohnenden sein», erklärt Esther Indermaur. Wie genau die Nachtteams der Thurvita Spitex künftig zusammengesetzt werden, hänge unter anderem von der Pflegebedürftigkeit der künftigen Mietenden ab. «Für unser Unternehmen sind dank seiner verschiedenen Angebote für Menschen im Alter rund um die Uhr Pflegende aller Ausbildungsstufen im Einsatz», sagt sie. «Dadurch können wir unser Nachtangebot für ‹Älterwerden im Quartier› relativ einfach an die jeweiligen Bedürfnisse der Bewohnenden anpassen.»

Angebot wird weiter ausgeweitet
Die Zahl der «Älterwerden im Quartier»-Wohnungen ist begrenzt. Darum dürfen nur Menschen dort einziehen, welche das breite Betreuungsangebot wirklich brauchen. Am Geldbeutel der Interessierten scheitere der Zuschlag indes nicht, versichert Esther Indermaur: Dank der grosszügigen Unterstützung einer privaten Stiftung könne die Thurvita einen Teil der Wohnungen auch an Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL) vergeben. Sie ist überzeugt, dass die grosse Nachfrage nach selbstständigen Wohnformen mit einem umfassenden Angebot an Pflege und Betreuung bei Tag und bei Nacht weiter zunehmen wird. Dies zeigt sich auch an den 158 Personen auf der Liste der Interessierten für die Alterswohnungen beim «Quartierzentrum City» und «Sonnenhof». «Wir prüfen darum bereits weitere Standorte», sagt das Geschäftsleitungsmitglied.

In Zukunft dürften demnach immer mehr Quartierverantwortliche im Einsatz stehen, damit ältere Menschen rund um die Uhr gut versorgt sind – und ebendieser Einsatz umfasst zeitweise aussergewöhnliche Aufträge: «Einmal habe ich gemeinsam mit der Tochter eines Mieters, die im Ausland lebt, eine Überraschungs-Geburtstagsfeier mit Kindern und Enkeln aus verschiedenen Ländern organisiert», berichtet Sandra Künzli. «Am Ende hat sich niemand verplappert und die Freude des Mieters war riesig.»

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